BGH zur Transparenzpflicht bei variabler Strompreisberechnung: In seinem Urteil vom 27. März 2025 (Az. I ZR 65/22 – „Doppeltarifzähler II“) befasst sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit den Anforderungen an die Preisangaben bei sogenannten Doppeltarifzählern im Heizstrombereich. Dabei geht es um die Frage, welche Informationen Energieversorger im Rahmen eines Online-Tarifrechners und während des Bestellvorgangs bereitstellen müssen, damit Verbraucher eine informierte geschäftliche Entscheidung treffen können. Die Entscheidung steht im Kontext der europäischen Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (2005/29/EG) und klärt zugleich wichtige Fragen des deutschen Lauterkeitsrechts (§§ 5, 5a, 5b UWG).
Sachverhalt
Der Kläger, der Bundesverband der Verbraucherzentralen, beanstandete das Verhalten eines bundesweit tätigen Energieversorgers. Dieser bot Stromtarife für Kunden mit Nachtspeicherheizungen an, die über einen Doppeltarifzähler verfügen. Bei solchen Zählern wird der Stromverbrauch für Heiz- und Allgemeinstrom gemeinsam erfasst, wobei während der günstigeren Freigabestunden beide Stromarten zusammenlaufen. Um diesen Umstand zu berücksichtigen, verwenden Netzbetreiber sogenannte „Ausgleichsmengen“: Ein pauschaler Prozentsatz des während der Freigabestunden gemessenen Verbrauchs wird als Allgemeinstrom klassifiziert und zum Hochtarif abgerechnet.
Die Beklagte übernahm diesen pauschalen Anteil (z. B. 25 %) in ihre Abrechnungen, berücksichtigte ihn aber nicht bei der Preisberechnung im Online-Tarifrechner. Der Kläger hielt dies für eine Irreführung und eine unzureichende Information über die Art der Preisberechnung und klagte auf Unterlassung.
Rechtliche Analyse
1. Wesentliche Information über die Preisberechnung (§§ 5a, 5b UWG)
Der BGH bezieht sich auf die Vorabentscheidung des EuGH vom 23. Januar 2025 (Rs. C-518/23 – „NEW Niederrhein Energie“), wonach die Art der Preisberechnung im Online-Angebot nicht zwingend einen exakten Prozentwert enthalten muss. Entscheidend ist, dass:
- der Verbraucher erkennt, dass eine solche pauschale Umverteilung existiert,
- ein Näherungswert oder eine Spanne genannt wird,
- und diese Information in den Kontext eingebettet wird, sodass eine informierte geschäftliche Entscheidung möglich ist.
Ob dies im konkreten Fall geschehen ist, konnte der BGH nicht abschließend beurteilen. Das Berufungsgericht müsse prüfen, ob es der Beklagten zumutbar ist, die jeweils gültige Ausgleichsmenge der örtlichen Netzbetreiber zu erfassen und im Tarifrechner oder im Bestellprozess anzugeben.
2. Irreführung durch Preisangabe (§ 5 Abs. 1, 2 Nr. 2 UWG)
Der BGH rügt ferner, dass das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft von einer „gespaltenen Verkehrsauffassung“ ausging. Innerhalb eines homogenen Verkehrskreises – hier: Mieter und Eigentümer von Wohnimmobilien – sei davon auszugehen, dass alle Mitglieder denselben Gesamteindruck gewinnen. Ein nicht zutreffend berechneter Gesamtpreis kann demnach eine Irreführung darstellen, wenn der Verbraucher nicht erkennt, dass der tatsächliche Preis höher ausfallen wird.
Entscheidend sei also, wie die Preisangabe im Tarifrechner bei verständigen Verbrauchern ankommt und ob sie den Unterschied durch die Ausgleichsmenge erfassen können.
3. Keine vollständige Entlastung durch AGB-Hinweis
Die Beklagte verwies auf eine Klausel in ihren AGB, wonach die Netzbetreiber die Ausgleichsmengen bestimmen. Der BGH stellte jedoch klar: Allgemeine Hinweise in den AGB ersetzen keine transparente und unmittelbare Information im konkreten Angebot bzw. im Verlauf des Bestellvorgangs – insbesondere dann nicht, wenn diese Information für die Preisbildung wesentlich ist.
Die Entscheidung des BGH stärkt die Position der Verbraucher bei komplexen Preisgestaltungen im Energiemarkt. Anbieter müssen bei verbrauchsabhängigen Tarifen auch variable Preisbestandteile – wie pauschale Ausgleichsmengen – offenlegen oder zumindest so beschreiben, dass der durchschnittliche Verbraucher deren Einfluss auf den Gesamtpreis nachvollziehen kann. Ob eine exakte Prozentangabe erforderlich ist, hängt vom konkreten Aufwand und der Zumutbarkeit ab – pauschales Schweigen jedenfalls genügt nicht.
Fazit
Mit dem Urteil „Doppeltarifzähler II“ konkretisiert der BGH die Anforderungen an die Transparenz von Preisangaben im Online-Vertrieb von Stromtarifen. Anbieter müssen sicherstellen, dass variable Preisbestandteile wie Ausgleichsmengen verständlich und kontextbezogen dargestellt werden. Die Entscheidung verpflichtet Energieunternehmen, technische Komplexität nicht zu Lasten der Verbraucher in Intransparenz umzuschlagen – ein bedeutsames Signal für den digitalen Verbraucherschutz.
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