Begriff des Betäubungsmittels im Lichte der Cannabisreform: Mit dem Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes (KCanG) zum 1. April 2024 ist der gesetzliche Umgang mit Cannabis grundlegend neu geordnet worden. Damit stellt sich für zahlreiche laufende Strafverfahren die Frage, welche Auswirkungen diese Gesetzesänderung auf die Auslegung bestehender Normen hat – insbesondere solcher, die an den Begriff des „Betäubungsmittels“ anknüpfen, wie § 6 Nr. 5 StGB.
In seinem Beschluss vom 5. März 2025 (3 StR 399/24) hat der Bundesgerichtshof erstmals höchstrichterlich klargestellt, dass der Begriff des Betäubungsmittels im Sinne dieser Norm trotz der Cannabisreform weiterhin Cannabis und Marihuana umfasst. Die Entscheidung berührt zentrale Fragen des Strafanwendungsrechts, der völkerrechtlichen Anbindung und der Gesetzesauslegung.
Sachverhalt
Dem Verfahren lag ein grenzüberschreitender Drogenhandel zwischen den Niederlanden und Deutschland zugrunde. Der Angeklagte H. hatte in zwei Fällen im Jahr 2020 mehrere Kilogramm Marihuana an deutsche Abnehmer übergeben, die das Rauschmittel anschließend nach Deutschland einführten. Unterstützt wurde er dabei vom Mitangeklagten T., der sowohl bei der Logistik als auch bei der Bereitstellung seines Wohnhauses für eine Übergabe mitwirkte. Das Landgericht Duisburg verurteilte H. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie T. wegen Beihilfe dazu. Die Revisionen führten zur Änderung des Schuldspruchs: Die Taten wurden nun als Handeltreiben mit Cannabis im Sinne von § 34 Abs. 1 KCanG gewertet. Zugleich hob der BGH die Strafaussprüche auf, ließ die Feststellungen aber aufrechterhalten.
Juristische Analyse
Anwendbarkeit deutschen Strafrechts bei Auslandstaten: § 6 Nr. 5 StGB
Die zentrale dogmatische Frage betraf die Fortgeltung des § 6 Nr. 5 StGB in Bezug auf Cannabis: Gilt deutsches Strafrecht auch nach der Cannabisreform weiterhin für im Ausland begangenen, unbefugten Umgang mit Cannabis, obwohl dieser Stoff nicht mehr in den Anlagen des BtMG geführt wird?
Der BGH bejaht dies mit überzeugender Begründung. § 6 Nr. 5 StGB konkretisiert das sogenannte Weltrechtsprinzip. Es erlaubt die Anwendung deutschen Strafrechts auf Auslandstaten, die bestimmte Deliktsbereiche betreffen – darunter den unerlaubten Vertrieb von Betäubungsmitteln. Die Norm ist dabei autonom auszulegen und nicht auf den stofflichen Katalog des BtMG beschränkt. Entscheidend ist, dass sich aus dem Gesetzeszweck und der historischen Systematik ergibt, dass auch Cannabis weiterhin in den sachlichen Anwendungsbereich fällt.
Systematik und Auslegung des Betäubungsmittelbegriffs
Ausgangspunkt der Argumentation des Senats ist die Erkenntnis, dass § 6 Nr. 5 StGB einen autonomen Begriff des Betäubungsmittels verwendet. Der Verweis auf das BtMG sei zwar naheliegend, aber nicht zwingend. Vielmehr sei nach herrschender Meinung ein normübergreifender Betäubungsmittelbegriff zugrunde zu legen, der alle Stoffe erfasse, die nach ihrer Wirkungsweise Sucht erzeugen oder gesundheitlich gefährlich sind. Derartige Erwägungen sind in der Kommentarliteratur verbreitet und wurden nun höchstrichterlich bestätigt.
Maßgeblich sei auch, dass sich der Bundesgesetzgeber selbst bei der Einführung des KCanG auf die Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG (Betäubungsmittelrecht) beruft. Daraus folgt, dass Cannabis trotz seiner Entnahme aus den Anlagen I bis III des BtMG weiterhin als Betäubungsmittel im weiteren rechtlichen Sinn angesehen wird. Diese dogmatische Klammer verhindert eine ungewollte Entwertung des internationalen Kooperationsrahmens in der Drogenbekämpfung, wie ihn § 6 Nr. 5 StGB umzusetzen sucht.
Völkerrechtliche Bezüge und teleologische Erwägungen
Der BGH stützt sich zur Auslegung weiter auf völkerrechtliche Verträge, insbesondere das Einheitsabkommen über Suchtstoffe von 1961, das Wiener Übereinkommen von 1988 sowie das Übereinkommen über psychotrope Stoffe von 1971. Alle genannten Verträge listen Cannabis ausdrücklich als Rauschmittel auf und verlangen von den Vertragsstaaten die strafrechtliche Bekämpfung des unerlaubten Umgangs.
Auch die Gesetzesbegründung zum KCanG betont die gesundheitlichen Risiken des Schwarzmarktkonsums und bestätigt damit indirekt den weiterhin repressiven Grundzug des Gesetzes. So zielt das Gesetz nicht auf eine vollständige Legalisierung, sondern auf Regulierung und Risikominimierung. Dementsprechend bleibt § 6 Nr. 5 StGB trotz der teilweisen Entkriminalisierung im innerstaatlichen Recht voll wirksam – gerade bei Auslandstaten, die die Gesundheit der Bevölkerung gefährden können.
Inlandsbezug als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal?
Der Senat lässt offen, ob § 6 Nr. 5 StGB stets einen Inlandsbezug erfordert. Im konkreten Fall war dieser ohnehin gegeben: Die deutschen Abnehmer führten das Marihuana nach Deutschland ein und vertrieben es hier. Dennoch verweist der Senat auf die kritische Diskussion in Literatur und Rechtsprechung, wonach ohne eine konkrete Inlandstangierung eine Strafbarkeit auf Grundlage des Weltrechtsprinzips verfassungsrechtlich zweifelhaft sein könnte. Auch das BVerfG hat in früheren Entscheidungen betont, dass das Weltrechtsprinzip nicht schrankenlos angewendet werden dürfe.
Anwendung des milderen Gesetzes und Konsequenzen für den Schuldspruch
Wegen der zwischen Tatzeit und Revisionsentscheidung in Kraft getretenen Reform war nach § 2 Abs. 3 StGB i.V.m. § 354a StPO das mildere Gesetz anzuwenden – hier also § 34 KCanG statt § 29a BtMG. Der BGH ändert entsprechend den Schuldspruch und hebt die Strafaussprüche auf. Zugleich hält er die Urteilsfeststellungen aufrecht, was für die neue Strafkammer bedeutet: Die tatsächlichen Grundlagen stehen fest, die rechtliche Würdigung ist aber neu vorzunehmen – unter dem deutlich abgesenkten Strafrahmen des neuen Cannabisgesetzes.
Schlussfolgerung
Mit dem Beschluss vom 5. März 2025 sorgt der Bundesgerichtshof für dringend benötigte Rechtsklarheit im Hinblick auf § 6 Nr. 5 StGB und dessen Verhältnis zur Cannabisreform. Der Senat stellt unmissverständlich klar, dass Cannabis und Marihuana auch nach Inkrafttreten des KCanG als Betäubungsmittel im Sinne dieser Vorschrift zu qualifizieren sind – insbesondere dann, wenn Auslandstaten mit Inlandsbezug vorliegen.
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