Berufsbezogene Pflichten und strafrechtliche Grenzen: Bundesgerichtshof zur Gehilfenhaftung bei typisierten Berufshandlungen

Die jüngsten Urteile des Bundesgerichtshofs vom 7. November 2024 (Az. III ZR 79/23) und vom 23. Januar 2025 (Az. III ZR 371/23) geben Anlass zur vertieften Auseinandersetzung mit der strafrechtlichen und zivilrechtlichen Haftung von Berufsträgern, deren Tätigkeiten typischerweise „neutral“ erscheinen, im konkreten Einzelfall aber eine strafrechtliche Relevanz entfalten können.

Im Fokus steht dabei die schwierige Abgrenzung zwischen sozialadäquater Berufsausübung und strafbarer zu fremdem Unrecht. Beide Entscheidungen zeichnen eine differenzierte, zugleich aber strenge Linie: Die bloße Berufsausübung schützt nicht vor straf- und haftungsrechtlicher Verantwortlichkeit, wenn der Akteur sich mit einem fremden Tatplan solidarisiert oder zumindest dessen Durchführung mit bedingtem Vorsatz unterstützt.

Die faktische Nähe zum Tatgeschehen als Indiz für Gehilfenvorsatz

In der Entscheidung III ZR 79/23 ging es um die Haftung einer Steuerberaterin, die zugleich Buchhalterin und Ehefrau eines der eines betrügerisch agierenden Unternehmens war. Dieses betrieb ein sogenanntes im Bereich fiktiver Datenspeicheranlagen. Die Beklagte war umfassend in die Finanzstruktur des Unternehmens eingebunden, nahm an wöchentlichen Geschäftsführersitzungen teil und tätigte selbst Zahlungsanweisungen in Millionenhöhe. Sie wurde im Strafverfahren wegen Beihilfe zum verurteilt; im Zivilverfahren jedoch hielt das Berufungsgericht einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch wegen fehlender positiver Kenntnis vom Betrug nicht für durchsetzbar.

Der BGH rügte diese Sichtweise deutlich: Eine Gesamtwürdigung aller Indizien sei unterblieben, das Berufungsgericht habe zu hohe Beweisanforderungen gestellt und sich allein auf die Verneinung eindeutiger positiver Kenntnis beschränkt. Das Gericht betonte, dass auch berufstypische Handlungen – wie Steuerberatung und Buchführung – dann ihre strafrechtliche Neutralität verlieren, wenn sie in Kenntnis oder billigender Inkaufnahme der Tatpläne des Haupttäters erbracht werden. Der Gehilfenvorsatz kann sich in solchen Fällen bereits aus der Dichte der Indizien ergeben: Teilnahme an internen Gesprächen, fehlende wirtschaftliche Substanz des Unternehmens, Fälschungen von Rechnungen und Zahlungsflüsse ohne wirtschaftliche Grundlage können die Annahme eines bedingten Vorsatzes nahelegen.

Kein Rückzug hinter berufliche Rollen: Zur Verantwortung wirtschaftlicher Akteure

Diese Linie bestätigte der BGH auch in der Entscheidung III ZR 371/23, in der es um die Verantwortung eines wirtschaftlich handelnden Verwaltungsratsmitglieds ging. Der Beklagte hatte auf Wunsch eines Haupttäters (ebenfalls Verwaltungsrat) die Darstellung eines künstlich erzeugten Kursverlaufs auf der Webseite eines Emittenten von Inhaberschuldverschreibungen veranlasst. Diese Darstellung sollte den Anschein eines regulierten Marktkurses erwecken, obwohl ein solcher nicht existierte. Die Vorinstanzen sahen darin eine bewusste Täuschung der Anleger über die jederzeitige Verfügbarkeit des angelegten Kapitals und verurteilten den Beklagten auf Schadensersatz.

Auch hier korrigierte der BGH die Entscheidung. Zwar könne eine derartige Handlung eine Beihilfe darstellen, wenn der Helfende die Täuschung und deren Zweck erkenne oder in Kauf nehme. Dies erfordere aber eine präzise Feststellung des subjektiven Tatbestandes. Die Würdigung dürfe sich nicht auf eine einzelne E-Mail stützen, deren Inhalt unterschiedliche Deutungen zulasse. Die bloße Annahme, eine fiktive Kursdarstellung lasse zwingend auf eine Täuschung über die Rückzahlbarkeit des Kapitals schließen, sei denklogisch nicht haltbar. Auch müsse der Umstand berücksichtigt werden, dass die zuständige Aufsichtsbehörde eine Kursdarstellung verlangte, was eine alternative, legitime Erklärung bieten könnte.

Die doppelte Herausforderung: Bewertung des Vorsatzes und professionelle Pflichten

Beide Entscheidungen zeigen, dass die rechtliche Bewertung berufsbezogener Tätigkeiten im Kontext fremden strafbaren Handelns besonders komplex ist. Die Unterscheidung zwischen neutraler Mitwirkung und strafbarer Beihilfe hängt entscheidend von der subjektiven Tatseite ab. Der BGH verlangt in dieser Hinsicht eine tiefgehende und einzelfallbezogene Gesamtabwägung aller relevanten Indizien. Entscheidend ist nicht nur, ob der Berufsträger positive Kenntnis von der Haupttat hatte, sondern auch, ob er ein erkennbar hohes Risiko fremden Fehlverhaltens kannte und es dennoch förderte.

Damit wird der Maßstab für Gehilfenhaftung im beruflichen Umfeld verfeinert: Nicht jede Beteiligung führt zur Strafbarkeit oder zivilrechtlichen Haftung – wohl aber dann, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass das berufliche Handeln mehr als nur ein technisches Hilfsmittel war. Ein bewusstes Hinwegsehen, die Ausnutzung struktureller Intransparenz oder das Hinnahmen offenkundiger Unregelmäßigkeiten kann zur Annahme eines „Sich-Zueigen-Machens“ fremden Unrechts führen.

Ergebnis

In der Kernaussage lässt sich festhalten: Der formuliert für die strafrechtliche Beurteilung berufstypischer Handlungen einen anspruchsvollen, aber nachvollziehbaren Maßstab. Der Schutz durch berufliche Rollen und Funktionen endet dort, wo die Handlung ihren neutralen Charakter verliert und zur bewussten Unterstützung eines erkennbar unrechtmäßigen Plans wird.

Dabei gilt: Nicht die Tätigkeit als solche, sondern die innere Haltung gegenüber dem Gesamtgeschehen entscheidet. Für Rechtsanwender, -Verantwortliche und Berufsträger bedeutet das ein erhöhtes Maß an Sensibilität gegenüber den Risiken, die mit struktureller Nähe zu rechtswidrigem Handeln verbunden sind.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybersecurity & Softwarerecht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft.Als Softwareentwickler bin ich in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

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Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung.
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