Beleidigung via Twitter – Strafrechtliche Relevanz

Eine neue Twitter-Rechtsstreitigkeit beschäftigt die juristischen Blogs: Eine wurde gestellt, weil sich der Vorsitzende des Bundes deutscher Kriminalbeamter (BDK) beleidigt gesehen hat. Eine kurze Analyse, was an der Sache dran sein könnte.

Beleidigung via Twitter: Sachverhalt

Vor einem Bundesparteitag der FDP demonstrierte der BDK um den eigenen Unmut über die Haltung der FDP in Sachen „“ kund zu tun. Jemand twitterte daraufhin folgenden Text:

#BDK fordert Gestapo 2.0 und will die Vorratsdatenspeicherung wieder. Demo vor dem „BPT der #FDP in Köln. #Zensur #Überwachung #Vorrat

Der Bundesvorsitzendes des BDK hat daraufhin Strafanzeige erstattet gegen den Betroffenen Twitterer. Die Pressemeldung des BDK verstehe ich dabei so, dass Strafanzeige wegen der des BDK gestellt wurde, nicht weil der Vorsitzende sich selbst beleidigt fühlt.

Analyse: Beleidigung oder Meinungsäußerung

In der Analyse sind drei Punkte für mich von Bedeutung:

  1. Spielt es eine Rolle, dass Twitter genutzt wurde?
  2. Ist der BDK überhaupt Beleidigungsfähig?
  3. Was spielt die Frage der Meinungsäußerung für eine Rolle?

Beleidigung via Twitter

Die Frage des Mediums ist unbedeutend: Ob ich jemanden via Twitter beleidige, ihm auf der Straße meine Beleidigung zu Rufe oder es in einem Forum schreibe: Das Medium alleine kann keine Bewandtnis haben.

Kollektivbeleidigung?

Interessanter ist die Frage der Beleidigungsfähigkeit. Schon vielfach falsch ist in manchen Kommentaren der Begriff der „Kollektiv-Beleidigung“ zu lesen. Es geht hier – so verstehe ich es zumindest – nicht darum, dass sich ein Mitglied (oder der Vorsitzende) des BDK beleidigt fühlt, weil er sich im Rahmen einer Kollektiv-Beleidigung einzeln angesprochen fühlt. Vielmehr geht es um die Frage, ob der BDK als Gruppierung insgesamt beleidigungsfähig ist.

Dazu sollte zuerst der Blick in den §194 III StGB gerichtet werden: Hier ist in der Tat offensichtlich, dass für einzelne Gruppierungen, wie etwa Behörden, eine Beleidigungsfähigkeit vorausgesetzt wird. Die „sonstige Gruppierung“ ist hier aber gerade nicht erfasst – wie es also nun mit der Beleidigungsfähigkeit z.B. von Gewerkschaften aussieht, ist streitig. Die M.M. lehnt eine Beleidigungsfähigkeit ab: Auch wenn Personenverbände eine Art kollektiv-personalen Wert, eine Art „Ehre“ aufweisen, so ist diese letztlich nur die Konsequenz aus der Bündelung der Individual-Ehre aller Mitglieder[1. Joecks, vor §185, Rn.17]. Die h.M. hält dem entgegen: Nach der grundlegenden Entscheidung BGHST 6, 186 genießt eine Personengesamtheit stets schon dann den strafrechtlichen Ehrenschutz, wenn sie eine rechtlich anerkannte gesellschaftliche (auch wirtschaftliche) Funktion erfüllt und einen einheitlichen Willen bilden kann[2. SK-StGB, vor §185, Rn.35]. Beleidigungsfähig sind daher nach der h.M. sowohl Kapitalgesellschaften als auch Personengesellschaften, Stiftungen und Gewerkschaften sowie jede sonstige Vereinigung, sofern sie nur einen einheitlichen Willen bilden kann und eine rechtlich erlaubte Aufgabe erfüllt[3. SK-StGB, vor §185, Rn.35; Wessels/Hettinger, Rn.468].

Die M.M. hat dabei letztlich das treffende Argument, dass der Gesetzgeber dann eine Regelung ähnlich dem §194 III StGB hätte schaffen müssen, ausgerichtet auf Personenverbände. In der Tat ist die h.M. insofern abzulehnen[4. Joecks, vor §185, Rn.17]. Doch alleine die ausdrückliche Rechtsprechung des BGH sowie die erdrückende Mehrheit der Stimmen in der Literatur[5. So sind nur zu nennen: Blei, Schmidhäuser, Kindhäuser, Rengier, Maurach/Schroeder/Maiwald – Kritisch neben Joecks zumindest Wessels/Hettinger] lassen hier wenig Platz für die Hoffnung auf eine Änderung der Rechtsprechung.

Anders wäre es wohl, wenn nicht eine Beleidigung des BDK insgesamt, sondern des Vorsitzenden angezeigt worden wäre: Hier läge die Eingangs aufgeworfene Frage vor, nämlich inwiefern dieser beleidigt sein könne, wenn es allgemein um den BDK geht. Dies würde voraussetzten, dass der betroffene Personenkreis klar umgrenzt und überschaubar ist, wobei der konkrete Betroffene individualisierbar ist. Beides sehe ich, um es hier kurz zu machen, im konkreten Fall mit Blick auf den Vorsitzenden nicht gegeben.

Meinungsfreiheit vs. Beleidigung

Es bleibt die Frage, wie sich die Meinungsäußerungsfreiheit hier auswirkt. Dabei war die „Gestapo“ als Bezeichnung schon einmal Thema beim BVerfG[6. BVerfG, 1 BvR 1770/91]: Hier wurde eine behördliche Abschiebe-Aktion mit „Gestapo-Methoden“ verglichen. Dabei hat das BVerfG (nochmals) klar gestellt, dass auch die Form der Meinungsäußerung dem Schutz des Art. 5 I GG untersteht und nur in einer „derben Begrifflichkeit“ noch nicht alleine eine Beleidigung liegen muss. Interessant und hier besonders passend ist dabei dieser Satz:

Es wurde weiter nicht berücksichtigt, daß es sich bei der Äußerung des Bf. um einen Beitrag zum politischen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt, in dem auch Kritik, die in überspitzter und polemischer Form geäußert wird, hingenommen werden muß, weil andernfalls die Gefahr einer Lähmung oder Verengung des Meinungsbildungsprozesses drohte (vgl. BVerfGE 82, BVERFGE Jahr 82 Seite 272 (BVERFGE Jahr 82 Seite 282) = NJW 1991, NJW Jahr 1991 Seite 95; st. Rspr.).

Das BVerfG[7. BVerfG, 1 BvR 724/98] folgt dabei dem Grundsatz der grundrechtsfreundlichen Auslegung einer Aussage:

Ist eine Äußerung mehrdeutig, so haben die Gerichte, wollen sie die zur Verurteilung führende Deutung ihrer rechtlichen Würdigung zu Grunde legen, andere Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren Gründen auszuschließen (vgl. BVerfGE 43, BVERFGE Jahr 43 Seite 130 [BVERFGE Jahr 43 Seite 136f.] = NJW 1977, NJW Jahr 1977 Seite 799; BVerfGE 82, BVERFGE Jahr 82 Seite 43 [BVERFGE Jahr 82 Seite 52] = NJW 1990, NJW Jahr 1990 Seite 1980 = NStZ 1990, NSTZ Jahr 1990 Seite 383; st. Rspr.).

Nun ergeben sich hier in der Deutung diverse Probleme: Zum einen wurde im Jargon der Gegner der Vorratsdatenspeicherung regelmäßig von der „Stasi 2.0“ gesprochen. Der Sprung zur „Gestapo 2.0“ erscheint willkürlich und inhaltlich zunächst nur teilweise zu passen. Allerdings liegt es der inne, dass man eben eine eigene Meinung vertreten kann – und nicht nur die Meinung der breiten Masse, auch nicht die der Masse der Kritiker. Nur weil in der Breite von „Stasi 2.0“ die Rede ist, ist man selbst in seiner Wortwahl noch lange nicht festgelegt.
Doch auch inhaltlich erscheint es fraglich, eine „Gestapo“ als Bezeichnung für eine Maßnahme anzuwenden, bei der es um allgemeine Überwachung und gerade nicht Verfolgung Andersdenkender als Schwerpunkt geht (sofern man dies als ein Kriterium der Unterscheidung zwischen Gestapo und Stasi heranziehen möchte). An dieser Stelle ist festzuhalten, dass es nicht Aufgabe der Gerichte ist, die Meinung auf Stichhaltigkeit zu überprüfen – sonst würde man die Grenze zur „Gedankenpolizei“ überschreiten. Das BVerfG dazu richtigerweise:

Deshalb sind Werturteile von Art. GG Artikel 5 GG Artikel 5 Absatz I GG durchweg geschützt, ohne daß es darauf ankäme, ob die Äußerung “wertvoll” oder “wertlos”, “richtig” oder “falsch”, emotional oder rational begründet ist (BVerfGE 33, BVERFGE Jahr 33 Seite 1 (BVERFGE Jahr 33 Seite 14 f.) = NJW 1972, NJW Jahr 1972 Seite 811; BVerfGE 61, BVERFGE Jahr 61 Seite 1 (BVERFGE Jahr 61 Seite 7) = NJW 1983, NJW Jahr 1983 Seite 1415).

Um eine praktikable Grenzziehung zur ermöglichen, hat der BGH das gute Kriterium der Schmähung geschaffen, das Peters in LMK 2004 auf Seite 53 zu zusammenfasst:

Bei der entscheidenden Frage, wo die Schmähung anfängt, hat die Rspr. regelmäßig auf den „Zweck” der Äußerung abgestellt, also ob es dem Äußernden darum ging, Andersdenkende vorsätzlich zu kränken (BGH, NJW 1987, NJW Jahr 1987 Seite 1398 – Kampfanzug unter der Robe).

Eben dies sehe ich hier in keinem Fall: Der Betroffene hat von seinem Recht, seiner Meinung nachdrücklich – und deftig – Gebrauch gemacht. Es ist nicht ersichtlich, dass es ihm um eine konkrete Schmähung Andersdenkender ging, wobei zu bedenken ist, dass es bei der Kritik – die ja gerade nicht immer sachlich sein muss[10. BVerfG, 1 BvR 1770/91] – auch normal ist, dass der Anderdenkende sich angegriffen fühlt und sich durchaus auch so fühlen soll[11. BVerfG, 1 BvR 1770/91]. Auf Grund der Formulierung ist davon auszugehen, dass die „Vorratsdatenspeicherung“ mit einer „Gestapo 2.0“ gleich gesetzt ist, dabei liegt die Lesart nahe, dass hier nicht die „Gestapo“ als Organisation gemeint ist, sondern vielmehr das mit der Gestapo einher gehende Klima von Angst und Einschüchterung in der Bevölkerung. Die Tatsache, dass das BVerfG eben dieses Klima als Folge einer Vorratsdatenpeicherung in seinem Urteil zur selbiger gesehen hat, passt zu dieser Lesart. Die Bewertung „Gestapo“ bezieht sich, als deftige Untermalung, insofern auf die gesellschaftlichen Konsequenzen einer Vorratsdatenspeicherung, die der Autor des Tweets quasi im Zuge der BDK-Forderung aufkommen sieht. Übrigens: Somit wird eben keine Gleichstellung des BDK mit der Gestapo vorgenommen, womit dann bereits die Beleidigung zu verneinen ist.

An dieser Stelle ist damit festzustellen, dass – mit Blick auf die Meinungsäußerungsfreiheit – eine Beleidigung nicht angenommen werden kann. Gleich wie nun ermittelt wird (Beleidigung des BDK als Gesamtheit oder Beleidigung der Mitglieder über die Kollektivbezeichnung) und unabhängig ob man hier eine Beleidigungsfähigkeit bejaht: Die Meinungsäußerungsfreiheit ist hier betroffen und die klaren Vorgaben des BVerfG lassen keine andere Lesart zu.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht, Arbeitsrecht und IT-Recht / Technologierecht.