Die aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 27. März 2024 (Az. 2 StR 179/23) behandelt die Anforderungen an die Verwertung von Bild-Ton-Aufzeichnungen im Strafprozess sowie die korrekte Anwendung der Strafzumessungsregeln.
Der Beschluss bietet wichtige Klarstellungen zu den Verfahrensrügen und der Beweiswürdigung und wirft dabei mehrere bedeutende Rechtsfragen auf. Dieser Blog-Beitrag beleuchtet die Hintergründe der Entscheidung, analysiert die aufgeworfenen rechtlichen Probleme im Detail und erörtert die praktischen Implikationen für die Zukunft.
Sachverhalt
Das Landgericht Gera hatte den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Der Angeklagte legte Revision ein, wobei er sowohl die Verletzung formellen als auch materiellen Rechts rügte. Der BGH hob das Urteil im Strafausspruch auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück. Die weitergehende Revision wurde als unbegründet verworfen.
Rechtliche Analyse
1. Verfahrensrügen
Die Revision des Angeklagten umfasste mehrere Verfahrensrügen, darunter die Beanstandung, dass die Darstellung der Angaben der Geschädigten in den Urteilsgründen der von der gerichtlichen Sachverständigen verschrifteten Transkription widerspräche. Der BGH entschied, dass es dahinstehen könne, ob diese Rüge zulässig erhoben wurde, da die Revision lediglich die unvollständige Transkription und nicht die in der Hauptverhandlung in Augenschein genommene Bild-Ton-Aufzeichnung vorlegte. Die Rüge zielte in der Sache auf eine abweichende tatsächliche Wertung zur Beweiswürdigung, die nicht Aufgabe des Revisionsgerichts sei.
a) Anforderungen an die Verfahrensrügen
Der BGH stellte fest, dass Verfahrensrügen hinreichend konkretisiert und vollständig vorgetragen werden müssen, um zulässig zu sein. Insbesondere muss die in der Hauptverhandlung in Augenschein genommene Bild-Ton-Aufzeichnung vorgelegt werden, nicht nur eine unvollständige Transkription. Diese Klarstellung unterstreicht die Bedeutung der Vorlage vollständiger Beweismittel in der Revision.
b) Beweiswürdigung und Revisionsgericht
Der BGH betonte, dass die Revision nicht auf eine abweichende tatsächliche Wertung zur Beweiswürdigung abzielen darf. Die Beweiswürdigung obliegt dem Tatgericht, und das Revisionsgericht prüft nur, ob Rechtsfehler vorliegen. Diese Differenzierung ist entscheidend für die Wahrung der Aufgabenverteilung zwischen Tat- und Revisionsgericht.
2. Sachrüge und Strafausspruch
Während die umfassende Nachprüfung des Urteils zum Schuldspruch keine Rechtsfehler ergab, hielt der Strafausspruch einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Strafkammer hatte minder schwere Fälle nach § 176a Abs. 4 StGB verneint mit der Begründung, dass der große Altersunterschied, die fehlende Einvernehmlichkeit und die Intensität der Übergriffe dagegen sprächen.
a) Doppelverwertungsverbot
Der BGH stellte fest, dass die Strafkammer rechtsfehlerhaft gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB verstoßen hatte. Das Bestehen eines Altersgefälles zwischen Täter und Opfer ist bereits im Schutzbereich des Tatbestandes des sexuellen Missbrauchs von Kindern angelegt und darf nicht erneut strafverschärfend berücksichtigt werden. Diese Klarstellung ist wichtig, um eine doppelte Bestrafung desselben Umstands zu vermeiden.
b) Volle Schuldfähigkeit als Strafzumessungsgrund
Die Strafkammer hatte die volle Schuldfähigkeit des Angeklagten als Argument gegen die Annahme eines minder schweren Falles herangezogen. Der BGH entschied, dass das Fehlen des besonderen Strafmilderungsgrundes der verminderten Schuldfähigkeit nicht zu Lasten des Angeklagten gewertet werden darf. Dies betont die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung der Strafzumessungsgründe und die Vermeidung unzulässiger Strafschärfungen.
c) Rechtsfolgen der fehlerhaften Strafzumessung
Der BGH hob den Strafausspruch auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück. Dabei können die bisherigen Feststellungen bestehen bleiben, soweit sie nicht von den Rechtsfehlern betroffen sind. Diese Entscheidung zeigt die Wichtigkeit der korrekten Anwendung der Strafzumessungsregeln und die Folgen von Verstößen gegen das Doppelverwertungsverbot und die Berücksichtigung unzulässiger Strafzumessungsgründe.
Fazit
Die Entscheidung des BGH vom 27. März 2024 (2 StR 179/23) bietet wichtige Klarstellungen zur Verwertung von Bild-Ton-Aufzeichnungen und zur korrekten Anwendung der Strafzumessungsregeln.
Für die Praxis bedeutet dies, dass Verteidiger und Gerichte sorgfältig auf die Einhaltung dieser Vorgaben achten müssen, um Rechtsfehler zu vermeiden und eine gerechte Strafzumessung zu gewährleisten. Diese Entscheidung stärkt die Rechte der Angeklagten und trägt zur weiteren Präzisierung der Verfahrensregeln im Strafprozess bei.