Der Bundesgerichtshof hatte Gelegenheit, sich zur deliktischen Produzentenhaftung für ein mit Herbiziden verunreinigtes Düngemittel zu äußern.
Es sei daran erinnert, dass Voraussetzung für die Inanspruchnahme eines bei der Herstellung oder dem Vertrieb einer Ware Handelnden auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung eines in dieser Vorschrift genannten Rechtsguts ist, dass dieser eine ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt hat (BGH, VI ZR 1369/20) .
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern.
Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein generelles Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist in der Praxis nicht erreichbar. Eine Gefahr wird erst dann haftungsbegründend, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden.
Es muss also nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Vielmehr sind nur solche Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, eine Schädigung anderer nach Möglichkeit zu verhindern. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Grad von Sicherheit erreicht wird, den die in dem betreffenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält.
Es ist daher anerkannt, dass diejenigen Sicherheitsvorkehrungen genügen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die ihm nach den Umständen zuzumuten sind. Dabei sind Sicherungsmaßnahmen umso eher zumutbar, je größer die Gefahr und die Wahrscheinlichkeit ihrer Verwirklichung sind.
Für die Frage, welche Verkehrssicherungspflichten den im Zusammenhang mit der Herstellung oder dem Vertrieb eines Produkts in Anspruch Genommenen treffen, ist entscheidend, in welcher Funktion er tätig wird. Grundsätzlich trifft den Hersteller die weitestgehende (umfassende) Verantwortung für einen Produktfehler, der in seinem Tätigkeits- und Wissensbereich entstanden ist.
Um die erforderliche Produktsicherheit zu gewährleisten, hat der Hersteller unter anderem bereits im Rahmen der Konzeption und Planung des Produkts diejenigen Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung einer Gefahr objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben zumutbar sind. Demgegenüber haftet der Händler für die Sicherheit der von ihm vertriebenen Produkte nur sehr eingeschränkt. Insbesondere ist eine Haftung für Konstruktions- und Fabrikationsfehler grundsätzlich ausgeschlossen.
Der Händler ist nur dann verpflichtet, die von ihm vertriebene Ware auf ihre gefahrlose Beschaffenheit hin zu untersuchen, wenn er aus besonderen Gründen dazu Anlass hat, etwa weil ihm bereits Schadensfälle bei der Verwendung des Produkts bekannt geworden sind oder wenn die Umstände des Falles eine Untersuchung nahe legen.
Einem Händler können die für den Warenhersteller geltenden Verkehrssicherungspflichten auch nicht allein deshalb auferlegt werden, weil er das von ihm erworbene und anschließend vertriebene Produkt unter einer eigenen Marke in den Verkehr gebracht hat. Diesem Umstand allein kommt außerhalb des Produkthaftungsgesetzes grundsätzlich keine entscheidende haftungsrechtliche Bedeutung zu.
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