Bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen ist heute grundsätzlich an ein Widerrufsrecht zu denken. Der Anwendungsbereich des Widerrufsrechts wurde damit im Vergleich zur früheren Rechtslage deutlich erweitert, über die früheren Fälle des „Haustürgeschäfts“ hinaus. Allerdings gibt es im §312b Abs.2 BGB eine wichtige Ausnahme, die erst langsam in der Rechtsprechung eine Rolle spielt: Der „bewegliche Gewerberaum“:
Geschäftsräume im Sinne des Absatzes 1 sind unbewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit dauerhaft ausübt, und bewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt. Gewerberäume, in denen die Person, die im Namen oder Auftrag des Unternehmers handelt, ihre Tätigkeit dauerhaft oder für gewöhnlich ausübt, stehen Räumen des Unternehmers gleich.
Die Frage ist: Wann ist ein solcher Gewerberaum anzunehmen?
Das LG Freiburg (14 O 176/15) hat sich anlässlich eines Messestands mit dieser Frage beschäftigt und festgestellt:
Ein auf der „Grünen Woche“ in Berlin in der Messehalle 11.1. – Haustechnik – betriebener Messestand eines Dampf-Staubsauger vertreibenden Unternehmens ist ein beweglicher Geschäftsraum im Sinne von § 312b Abs. 2 S. 1 2. Alt. BGB. Verbrauchern, die dort Kaufverträge abgeschlossen haben, steht kein Widerrufsrecht nach §§ 312g Abs. 1, 355 BGB zu, weil die Verträge nicht außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wurden.
Die Entscheidung könnte durchaus als erstes gewisse Abwehrreflexe hervorrufen, ist aber sauber und auch nachvollziehbar begründet. Letztlich muss man sehen, dass man als Verbraucher auf einer Messe eher selten nicht mit der Möglichkeit von Vertragsabschlüssen rechnet und naturgemäß eher selten „überrumpelt“ werden dürfte. Insbesondere die gut aufbereitete Gesetzgebung zum Thema macht diese Entscheidung zu einer, die sicherlich in Zukunft wegweisend sein dürfte – allerdings hängt es gleichwohl am Einzelfall.
Es ist damit aus meiner Sicht falsch, pauschal einen Messestand als beweglichen Geschäftsraum zu qualifizieren – aber eben auch, pauschal von einem Widerrufsrecht auszugehen. Es kommt auf die Gesamtumstände an.
Aus der Entscheidung:
Die Beklagte ist nicht verpflichtet gewesen, als Aussteller der Grünen Woche 2015 ihre Kunden bei Abgabe einer Bestellung über ein Widerrufsrecht zu belehren, da sie ihre Waren in beweglichen Gewerberäumen angeboten und verkauft hat. Sie hat somit nicht gegen ein Verbraucherschutzgesetz verstoßen.
Die Beklagte hat ihre Produkte auf der Grünen Woche 2015 vom 16.01.2015 bis zum 25.01.2015 in Halle 11.1, Stand 129, auf einer Fläche von 20,00 m² ausgestellt und vertrieben. Dies folgt aus der von der Beklagten vorgelegten Rechnung der Messe Berlin GmbH vom 25.02.2015. Die im Untergeschoss befindliche Halle 11.1 wird in dem Geländeplan der Messegesellschaft (vgl. AS. 87, Anlage B 1), der insbesondere der Orientierung der Messebesucher dient, als einzige Halle mit „Haustechnik“ – in farblich deutlich abgesetzter Weise – ausgewiesen. Die Halle verfügt über einen eigenen Eingang. Sie ist damit hinreichend deutlich für den Verbraucher als „Haustechnik“-Bereich erkennbar.
Einem Verbraucher steht gemäß § 312g Abs. 1 BGB nur bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zu. Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge sind nach § 312b Abs. 1 Nr. 1 BGB Verträge, die bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist. Geschäftsräume sind nach der Legaldefinition des § 312b Abs. 2 S. 1 BGB „unbewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit dauerhaft ausübt, und bewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt“.
Der Messestand der Beklagten auf der Grünen Woche 2015 war ein beweglicher Geschäftsraum im Sinne des § 312b Abs. 2 S. 1 BGB. Verbrauchern, die dort mit der Beklagten Kaufverträge über Haushaltsgeräte, wie beispielsweise Dampf-Staubsaugern, abgeschlossen haben, steht somit kein Widerrufsrecht nach §§ 312g Abs. 1, 355 BGB zu.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Gesetzeshistorie oder der von der Klägerin angeführten Gesetzesbegründung. § 312b Abs. 2 S. 1 BGB wurde mit dem Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 20.09.2013 (BGBl I 2013, 3642) in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen. Das Gesetz diente unter anderem der Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EUR (ABl 2011 L 304/64) in deutsches Recht und ist hinsichtlich der neuen §§ 312a ff. und §§ 355 ff. BGB auf Verbraucherverträge anzuwenden, die seit dem Inkrafttreten des Umsetzungsgesetzes am 13.06.2014 abgeschlossen worden sind. Nach der Gesetzesbegründung sind auch Marktstände sowie Stände auf Messen und Ausstellungen im Sinne der §§ 64, 65 der Gewerbeordnung als Geschäftsräume anzusehen, wenn der Unternehmer sein Gewerbe dort für gewöhnlich ausübt (BR-Drucks. 817/12, S. 80; BT-Drucks. 17/12637, S. 50).
Diese Sichtweise folgt den Vorgaben der Verbraucherrechterichtlinie (Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl 2011 L 304/64, VRRL). Dort wird in Art. 2 Ziff. 9 der Begriff der „Geschäftsräume“ bestimmt und unter b) ausgeführt:
bewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt.
In Erwägungsgrund (22) VRRL wird dies erläutert:
Als Geschäftsräume sollten alle Arten von Räumlichkeiten (wie Geschäfte, Stände oder Lastwagen) gelten, an denen der Unternehmer sein Gewerbe ständig oder gewöhnlich ausübt. Markt- und Messestände sollten als Geschäftsräume behandelt werden, wenn sie diese Bedingung erfüllen.
Auch wenn die Richtlinie es zunächst vom Wortlaut her nahelegt, den Begriff des „gewöhnlich“ in Abgrenzung zum „ständig“ ausgeübten Gewerbe nur in zeitlicher Hinsicht und damit aus der Sicht des Unternehmers zu bestimmen, liegt es schon aufgrund der ratio legis nicht fern, den genannten Begriff zur Durchsetzung des in Erwägungsgrund (21) VRRL verdeutlichten Schutzzweckes auch aus der Perspektive der Verbraucher zu interpretieren. Dort heißt es:
Außerhalb von Geschäftsräumen steht der Verbraucher möglicherweise psychisch unter Druck oder ist einem Überraschungsmoment ausgesetzt, wobei es keine Rolle spielt, ob der Verbraucher den Besuch des Unternehmers herbeigeführt hat oder nicht.
Erweiternd und in Konkretisierung der Verbraucherrechterichtlinie weist der Gesetzesentwurf der Bundesregierung in seiner Begründung (BR-Drucks. 817/12, S. 80) daher darauf hin, dass die Anwendung des Kriteriums der gewöhnlichen Ausübung der Tätigkeit des Unternehmers auch auf Markt- und Messestände vor dem Hintergrund erfolgt sei, Verbraucher vor übereilten Vertragsschlüssen zu schützen, insbesondere in Fällen, in denen sie nicht mit einem Vertragsschluss über bestimmte Waren rechnen müssen. Eine solche Situation würde regelmäßig nicht vorliegen, wenn der Verbraucher auf einem Wochenmarkt einkauft, an dem dieselben Händler ihre Marktstände aufbauen und für einen Wochenmarkt typische Waren verkaufen. Sie könne aber durchaus vorliegen, wenn dem Verbraucher überraschend fachfremde, nicht mit dem Thema der Messe oder Ausstellung im Zusammenhang stehende Waren angeboten werden würden.
Die Beklagte hat ihren Messestand während der gesamten Grünen Woche 2015 in Halle 11.1 betrieben und vertreibt ihre Produkte auch sonst über Messen. In Halle 11.1 erwartet den Verbraucher nach dem Geländeplan der Messegesellschaft „Haustechnik“. Der Verbraucher kann sich somit bei einem Besuch der Grünen Woche darauf einstellen, dass dort Haustechnik – und damit auch Dampf-Staubsauger – angeboten werden, wenn er Halle 11.1 betritt. Bei 1.600 Ausstellern und 26 Hallenkomplexen (vgl. Anlage K 3), für deren Besichtigung der Besucher acht Kilometer Wegstrecke zurücklegen und mindestens drei Tage Zeit einplanen muss (vgl. Anlage K 8) und deshalb von der Messegesellschaft 10 unterschiedliche Touren „für große und kleine Gourmets und Entdecker“ angeboten werden, hält es das Gericht für nahezu ausgeschlossen, dass sich der aufmerksame, seine Kräfte einteilende und seine eigenen Interessen bevorzugende Messebesucher zufällig in die im Untergeschoss gelegene Halle 11.1 begibt und dann von dem dort Angebotenen überrascht ist. Jedenfalls sind Verbraucher in einem solchen Fall nicht schutzwürdig, weil sie weder einem hinreichenden Druck noch einem hinreichenden Überraschungsmoment ausgesetzt sind. Die Halle verfügt über einen gesonderten Zugang. Um in sie zu gelangen, muss der Messebesucher – wie bereits erwähnt – sich bewusst in das Untergeschoss begeben. Die Halle ist daher schon von ihrer äußeren Ausprägung einem Geschäftsraum angeglichen, in dem der Verbraucher „Haustechnik“ erwartet und somit nicht überrascht sein kann, wenn ihm Dampf-Staubsauger angeboten werden. Zudem sind Besucher von Messen und Ausstellungen nicht so schutzwürdig wie beispielsweise Verbraucher, die außerhalb von Marktveranstaltungen im öffentlichen Verkehrsraum vor dem Geschäft des Unternehmers angesprochen werden (vgl. BT-Drucks. 17/12637, S. 49). Sie rechnen nämlich mit solchen Situationen und können sich ihnen einfach auch dadurch entziehen, dass sie in der Anonymität der Besuchermasse untertauchen (Hilderscheid, GewArch 2014, 11/16 m.w.N.).
Auf den im öffentlichen Bewusstsein dargestellten „Charakter“ der Grünen Woche kommt es – selbst falls sich ein solcher im Sinne der Klägerin feststellen ließe – angesichts der Größe der Messe und der damit verbundenen Notwendigkeit zur Auswahl bestimmter Interessengebiete und zur Orientierung nicht entscheidend an.
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