In den Aachener Nachrichten habe ich heute einen Bericht über eine resolute Seniorin (75 Jahre) gelesen, die andere Autofahrer mittels Winkens auf eine „Radarfalle“ aufmerksam machte. Sie wurde daraufhin „von Beamten angesprochen“ – angeblich von der Polizei – diese forderten Führerschein, Personalausweis und drohten einen „Arrest“ an. Und nicht nur die Dame fragt sich nun
Ist das überhaupt zulässig?
Der Polizeissprecher spricht in der AN von einer „Grauzone“ – und in der Tat ist es nicht ganz so einfach.
Ich fange mal hinten an: Die Sache mit dem „Arrest“ wirkt auf die meisten sicherlich komisch, und das auch zu Recht. Die Polizei darf natürlich nicht nach Gutdünken Menschen in „Arrest“ nehmen. Dabei finde ich die Wortwahl seltsam, korrekt ist der Begriff des „Gewahrsams“. Und wann man den anwenden kann, ist im Polizeigesetz (§35 PolG NW) ausdrücklich normiert. Ohne nun dort hinein zu sehen, möchte ich erst auf einen allgemeinen Grundsatz von Verwaltungshandeln hinweisen: Den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Eine Behörde – dazu zählt auch die Polizei – hat immer die Maßnahme auszuwählen, die unter gleich effektiven Maßnahmen das „mildeste Mittel“ darstellt. Und bevor jemand wegen einer solchen Kleinigkeit in Gewahrsam genommen wird, wird man immer an die Möglichkeit eines Platzverweises (§34 PolG NW) denken müssen. Und genau das liest man dann auch im §35 PolG NW:
Die Polizei kann eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn […] das unerlässlich ist, um eine Platzverweisung nach § 34 durchzusetzen […]
So herum wird also ein Schuh draus: „Arrest“ nur nach einem Platzverweis. Und zum Platzverweis gilt mit dem Polizeigesetz:
Die Polizei kann zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten.
Die „Warnung“ der älteren Dame muss damit eine „Gefahr“ darstellen. Und hier beginnt nun die Frage, ob das Verhalten der Frau rechtmäßig war oder nicht. Die – vieldiskutierte – Frage lautet daher: Ist das Warnen vor einer Radarfalle eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder nicht? Daneben kann man aber auch die Frage stellen, ob das Warnen ein Verstoss gegen die StVO darstellt (und somit mit einem Bussgeld belegt werden kann) und ob es eine Straftat darstellt. Zu allen drei Fragen gibt es Urteile.
Eine Gefahr bejaht das VG Saarland (6 F 6/04), VG Aachen (NVwZ-RR 2003, Seite 684) sowie das OVG Münster (9 A 2118/86 und 5 B 2601/96). Das OLG Stuttgart (4 Ss 33/97) sieht keinen Verstoss gegen die StVO, ebenso das BayObLG (VRS 25, 453) sowie das OLG Zweibrücken (VRS 64, 454). Ebenfalls das OLG Stuttgart war es, das keine Strafbarkeit bei einem solchen Warnen erkannte.
Nun kurz noch einmal: Wenn man eine Gefahr bejaht, eröffnet man den Maßnahmenkatalog der Polizei, die zuerst einmal mit einem Platzverweis reagieren können. Die Rechtsprechung sieht das auch grundsätzlich gegeben. Anders ist es aber, wenn sich die Frage nach einem Bussgeld stellt oder gar nach einer Strafbarkeit. Soweit also klar, die nächste Frage lautet daher: Warum ist die Warnung eine Gefahr?
Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist mit der herrschenden Meinung dann anzunehmen, wenn „der Bestand und die Funktionsfähigkeit des Staates sowie seiner Einrichtungen und Veranstaltungen“ gefährdet ist. Das ist hier durchaus anzunehmen, immerhin geht es um eine Maßnahme einer staatlichen Behörde, die aktiv unterlaufen wird. Zu überlegen ist nur, welcher Zweck der Maßnahme unterlaufen wird – und das ist gar nicht so einfach.
Es ist anzunehmen, dass durchaus Autofahrer, die „geblitzt“ worden wären, nun nicht mehr „geblitzt“ werden. Aber das kann kein Ansatzpunkt sein, es gibt keinen Anspruch des Staates auf potentielle Ordnungswidrigkeiten. Sofern es um die Sicherung eines Vollzugs von Maßnahmen geht, bewegt man sich im Strafprozessrecht und nicht – wie hier – im Gefahrenabwehrrecht.
Abwegig ist es auch, auf die Möglichkeit zu verweisen, dass der Zweck der Kontrolle darin liegt, die Autofahrer an diesem Ort und zu dieser Zeit zu einer angemessenen Geschwindigkeit zu bewegen: Dieser Zweck wird durch die Warnung der Dame ja gerade erreicht. Wie löst man dieses Problem nun? Die Rechtsprechung, die eine Gefahr annimmt, geht insofern einen anderen Weg: Sie sieht als Zweck nicht die konkrete Ahnung des Verstosses, sondern einen „gesamterzieherischen Effekt“. Im Fokus steht die „Mahnung“ an Verkehrsteilnehmer, zukünftig solche Verstösse zu unterlassen. Hartmann formuliert das in der JuS 2008 (s. 984ff.) so:
Das kann man zuspitzen: Die Mahnung funktioniert nachhaltig nur, wenn die Polizei sie ausspricht, und sie gewinnt noch an Wirkung, wenn außerdem ein Bußgeld verhängt wird. Der Mahneffekt bleibt dagegen aus, wenn der zu schnelle Fahrer die Geschwindigkeit auf Grund der Radarwarnung eines Bürgers verringert. Der Fahrer empfindet dann regelmäßig bloß das Gefühl des „Noch-Einmal-Davongekommen-Seins”. und ändert in künftigen Situationen sein Verhalten wahrscheinlich nicht. Ist der Zweck einer Radarkontrolle, die Verkehrserziehung nachhaltig zu fördern, und funktioniert das nur durch polizeiliche Mahnungen, macht die Radarwarnung […] diesen Zweck zunichte.
Dieses Argument begegnet erheblichen Bedenken, die man bei Hartmann a.a.O. im Detail nachlesen kann – letztlich aber ist diese Einschätzung die vorherrschende Meinung in der Rechtsprechung. Das Ergebnis: Es wird eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit angenommen.
Wenn es dann um den – von der Frau selber angesprochenen – Vergleich mit Warnungen im Radio vor „Blitzern“ geht, die so hingenommen werden, krückt die Rechtsprechung ein wenig rum. Ich möchte es so zusammenfassen: Die Warnungen im Radio sind etwas anderes, weil nicht jeder sie hört. Oder bildlich ausgesprochen: Wer vor einer Radarfalle warnt, sorgt dafür, dass wirklich jeder, der dort langfährt, vorher gewarnt ist. Die Radiomeldungen tun das nicht. Damit rechtfertigt die Rechtsprechung die unterschiedliche Behandlung – ob das so wirklich überzeugt, mag hier dahin gestellt sein.
Und wieder einmal die Erinnerung an obige Zeilen: Die Gefahr spielt eine Rolle für polizeiliche Maßnahmen, ein Bussgeld oder gar eine Straftat wird damit aber nicht begründet. Bei den polizeilichen Maßnahmen wird zuerst ein Platzverweis in Frage kommen. Wenn der (oder die) Betroffene sich beharrlich weigert, dem zu folgen, kommt ein Gewahrsam in Betracht, der freilich zeitlich zu begrenzen ist – max. auf die Dauer der Radarkontrolle, da darüber hinaus auch kein Platzverweis mehr angemessen wäre (Wo keine Kontrolle, kann auch keine Gefahr mehr bestehen).
Anders wird es, wenn jemand im Auto unterwegs ist und den entgegenkommenden Verkehr warnt. Wer dies durch Betätigen der Lichthupe macht, wird sich Bussgeldpflichtig machen. Wer dagegen nur „winkt“ könnte in der Theorie zwar wieder eine „Gefahr“ darstellen, letztlich aber, da er ohnehin auf dem Weg von der Kontrolle weg ist, keinen Anlass für polizeiliche Maßnahmen bieten.
Im Ergebnis bleibt nach dem Zeitungsartikel vieles offen. Ich denke, der Begriff der „rechtlichen Grauzone“ ist nicht angebracht, sofern man sauber zwischen den Rechtsfragen (polizeiliche Maßnahme, Bussgeld, Straftat) trennt. Damit versteht man schnell, warum es scheinbar gegensätzliche Urteile gibt. Rein Formel, sofern ein Platzverweis im Raume stand, dürfte das Androhen von Gewahrsam in diesem Fall in Ordnung gewesen sein. Aber es verbleibt die Frage, ob bei einer Dame im Alter von 75 Jahren ein derartiges Vorgehen wirklich angebracht ist – und man aus Sicht der Polizei nicht letztlich eher Ohnmacht als Stärke demonstriert.
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