Ein Eingriff in den Gegenstand des Schutzrechts kann vorliegen, wenn der Vorbenutzer die Erfindung in einem größeren Umfang benutzt, als es seinem Besitzstand entspricht, oder wenn er die Erfindung in einer anderen Weise benutzt, als dies vor dem Anmelde- oder Prioritätstag der Fall war. Die Abwandlung eines vorbenutzten Gegenstandes, die alle Merkmale eines selbständigen Schutzanspruchs des Klagegebrauchsmusters verwirklicht, kann auch dann von einem Vorbenutzungsrecht erfasst sein, wenn der vorbenutzte Gegenstand weitere Merkmale, die nach dem Klageantrag zwingend vorgesehen sind, nicht aufgewiesen hat, so der BGH (X ZR 61/21).
Dies gilt unabhängig davon, ob nur die Verletzungsklage auf eine in dieser Weise beschränkte Fassung eines selbständigen Schutzanspruchs gestützt wird oder ob das Gebrauchsmuster in einem Löschungsverfahren entsprechend beschränkt worden ist:
Zwar darf das Vorbenutzungsrecht nicht so eng gefasst werden, dass der Vorbenutzer davon keinen wirtschaftlich sinnvollen Gebrauch machen kann. Andererseits ist aber dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die technische Lehre eines Patents oder Gebrauchsmusters Alternativen umfassen kann, die die technischen und wirtschaftlichen Vorteile der Erfindung in quantitativ oder qualitativ unterschiedlicher Weise verwirklichen.
Ob in diesem Sinne eine andere Benutzungsform vorliegt, ist am Maßstab der unter Berücksichtigung von Beschreibung und Zeichnungen ausgelegten Schutzansprüche zu entscheiden. Veränderungen, die keinen Einfluss darauf haben, ob und in welcher Weise die technische Lehre eines Schutzanspruchs und deren einzelne Merkmale verwirklicht werden, sind für das Vorbenutzungsrecht ohne Belang. Wird hingegen mindestens ein Merkmal des Schutzanspruchs in technisch anderer Weise verwirklicht, als dies vor dem Anmeldetag oder Prioritätstag der Fall war, kann dies die Grenzen des Vorbenutzungsrechts überschreiten.
Ob letzteres der Fall ist, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung zu entscheiden, die das Interesse des Vorbenutzers, den erworbenen Besitzstand wirtschaftlich sinnvoll nutzen zu können, und das Interesse des Schutzrechtsinhabers, die Benutzung seines Schutzrechts nur dulden zu müssen, soweit die unter Schutz gestellte technische Lehre vom Vorbenutzer auch erkannt und umgesetzt worden ist, in einen angemessenen Ausgleich bringt.
Danach können die Grenzen des Vorbenutzungsrechts überschritten sein, wenn mit der Modifikation ein zusätzlicher Vorteil verwirklicht wird, der von der nicht modifizierten Ausführungsform nicht verwirklicht worden ist. Dies kommt in Betracht, wenn erstmals eine Ausführungsform benutzt wird, die in einem Unteranspruch oder in der Beschreibung wegen dieses zusätzlichen Vorteils hervorgehoben wird.
Sind hingegen in einem Schutzanspruch für ein Merkmal zwei vollständig gleichwertige Alternativen genannt, wird der Umstand, dass der Vorbenutzer nur eine dieser Alternativen benutzt hat, regelmäßig keine entsprechende Beschränkung seiner Benutzungsbefugnis rechtfertigen. Ebenso wird es zu würdigen sein, wenn in der Patentschrift oder der Gebrauchsmusterschrift eine Abweichung von der Vorbenutzung offenbart ist, bei der es sich um eine selbstverständliche Abwandlung handelt, die aus Sicht des Fachmanns mit dem Erfindungsbesitz des Vorbenutzers zum Anmelde- oder Prioritätszeitpunkt ohne Weiteres in Betracht zu ziehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 14. Mai 2019 – X ZR 95/18, BGHZ 222, 54 Rn. 26 ff. – Schutzverkleidung).
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