Strafzumessung: Mitte des Strafrahmens

Die ist eine Kunst für sich – und regelmässig kaum zu prognostizieren: Insbesondere wenn die Strafrahmen einmal richtig bestimmt wurde erscheint es oft so, dass Gerichte sich frei in diesem Rahmen bewegen dürfen. Dem aber ist ausdrücklich nicht so, auch wenn man nicht konkret belegen muss warum man sich in der konkreten Höhe orientiert hat und Vergleiche ohnehin unzulässig sind, gibt es Regeln. Eine sehr interessante hat – recht unbemerkt – der 2. Senat des Bundesgerichtshofs aufgestellt.

Orientierung im Strafrahmen

Schon im Jahr 2000 hatte der zweite Senat festgehalten, dass man Gründe benötigt, um sich im mittleren Strafrahmen zu bewegen:

(…) ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen das Landgericht eine Strafe in der Mitte des Strafrahmens für angemessen erachtet, obwohl es meint, keine Straferschwerungsgründe feststellen zu können.

BGH, 2 StR 249/00

Diese Entscheidung ist nach meiner Lesart die grundlegende Entscheidung der aktuellen Rechtsprechung, die der zweite Senat bisher drei Mal zitiert hat:

  • Bekräftigung: Strafe in der Mitte des von einem bis zu zehn Jahre reichenden Strafrahmens kaum angemessen, wenn das Gericht meint, keine Straferschwerungsgründe feststellen zu können (BGH, 2 StR 184/20)
  • Der Rechtsgedanke ist bei einer Strafe deutlich über der Mindeststrafe heranzuziehen (BGH, 2 StR 417/07)
  • Und natürlich erst Recht wenn man in den oberen Strafrahmen hinein möchte (BGH, 2 StR 463/02)

Die einzige senatsfremde BGH-Entscheidung in der neueren Rechtsprechung, die ich bisher dazu gefunden habe, ist eine des 3. Senats (BGH, 3 StR 503/18), die aber nur allgemein verwiesen hat. Absolut grundlegend ist für die gesamte Rechtsprechung BGH, 3 StR 313/76:

Falsch wäre es dagegen, eine Strafe aus der Mitte des Strafrahmens zu wählen, wenn die Schwere der Tat im mittleren Bereich der erfahrungsgemäß immer wieder vorkommenden Fälle liegt. Denn die große Mehrzahl der Straftaten erreicht schon wegen der weiten Fassung der gesetzlichen Tatbestände nur einen verhältnismäßig geringen Schweregrad. Verwendet man diese zahlreichen Fälle zusammen mit den bei Weitem weniger häufigen schweren und schwersten Fällen bei der Ermittlung eines Durchschnittswertes der Tatschwere, so muss dieser Wert, der den Regelfall kennzeichnet, notwendig in einem Bereich unter der Mitte der vom Gesetzgeber ins Auge gefassten Tatbestandsverwirklichungen, die er sämtlich mit der durch Höchst- und Mindeststrafe begrenzten Strafandrohung treffen will, liegen. 

BGH, 3 StR 313/76

Insgesamt zeigt sich damit gleichwohl für Strafzumessungsrevisionen ein Ansatzpunkt, insbesondere, da man in seiner Zeit als Strafverteidiger immer wieder auf diesen einen Vorsitzenden trifft, der meint, durch Mittelung des Strafrahmens die für eine durchschnittliche Tat angemessene Strafe finden zu können – solche Gedanken sind mit der vorliegenden BGH-Entscheidung ausdrücklich zurückzuweisen.

Begründung bei Gesamtstrafe

Ähnliche Überlegungen wird man bei der Bildung einer Gesamtstrafe anwenden müssen: Die Gesamtstrafenbildung nach § 54 Abs. 1 StGB ist ein eigenständiger
Zumessungsakt, bei dem hauptsächlich das Verhältnis der einzelnen Taten zueinander, ihre größere oder geringere Selbstständigkeit, die Häufigkeit der Begehung, die Gleichheit oder Verschiedenheit der verletzten Rechtsgüter und der Begehungsweisen sowie das Gesamtgewicht des abzuurteilenden Sachverhalts zu berücksichtigen sind.

Das Tatgericht braucht zwar insoweit wie bei den Einzelstrafen nur die bestimmenden Zumessungsgründe im Urteil darzulegen; eine erschöpfende Darstellung ist nicht erforderlich.

Allerdings ist der Gesamtstrafenausspruch umso eingehender zu begründen, je mehr sich die Gesamtstrafe der oberen oder unteren Grenze des Zulässigen nähert. Fehlt es in einem solchen Fall an einer näheren Begründung, ist die Besorgnis gerechtfertigt, dass sich der Tatrichter bei der Bemessung der Gesamtstrafe nicht an den hierfür maßgeblichen Kriterien, sondern rechtsfehlerhaft an der Summe der Einzelstrafen orientiert hat (siehe hierzu BGH, 4 StR 330/21).

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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