Strafrechtliche Risiken für Lehrkräfte bei schulischen Veranstaltungen

Lehrkräfte tragen eine immense Verantwortung für die ihnen anvertrauten Schüler – nicht nur pädagogisch, sondern auch im Bereich der Aufsicht und Fürsorge. Doch was passiert, wenn bei einer schulischen Veranstaltung eine Tragödie geschieht? Zwei aktuelle Fälle verdeutlichen die strafrechtlichen Risiken für Lehrer:

  • Der Tod einer Schülerin mit Diabetes auf einer London-Fahrt, der zur Verurteilung von zwei Lehrerinnen wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen führte.
  • Der Tod eines siebenjährigen Kindes während des Schwimmunterrichts, nach dem sowohl die Lehrerin als auch die Referendarin wegen fahrlässiger Tötung verurteilt wurden.

Diese Fälle werfen die Frage auf: Wann macht sich eine Lehrkraft strafbar, wenn etwas schiefgeht? Und wann ist ein Urteil möglicherweise überzogen?

Die strafrechtliche Verantwortung von Lehrkräften

Grundlage der Strafbarkeit ist § 222 StGB (fahrlässige Tötung). Entscheidend ist dabei eine Garantenstellung gemäß § 13 StGB, denn Lehrer haben eine besondere Fürsorgepflicht für ihre Schüler. Sie müssen aktiv dafür sorgen, dass sich keine vermeidbaren Gefahren realisieren. Eine Garantenstellung kann sich aus mehreren Faktoren ergeben:

  1. Aufsichtspflicht: Lehrer müssen sicherstellen, dass Schüler nicht zu Schaden kommen.
  2. Sorgfaltspflichten: Insbesondere bei gefährlichen Aktivitäten (z. B. Schwimmunterricht oder Klassenfahrten) müssen sie besondere Maßnahmen zur Risikominimierung treffen.
  3. Organisationspflichten: Die Planung von Schulausflügen oder Sportunterricht muss potenzielle Risiken berücksichtigen.

Wer diese Pflichten verletzt und dadurch einen tödlichen Unfall (auch durch Unterlassen) verursacht, kann strafrechtlich belangt werden.

Fall 1: Die tragische London-Fahrt – Fahrlässige Tötung durch Unterlassen

In einem aufsehenerregenden Fall des LG Mönchengladbach wurden zwei Lehrerinnen wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen verurteilt, nachdem eine 13-jährige Schülerin während einer Klassenfahrt nach London an den Folgen einer unbehandelten Überzuckerung gestorben war.

Die Lehrkräfte hatten keine schriftliche Abfrage von Vorerkrankungen durchgeführt und waren über die Diabetes-Erkrankung des Mädchens nicht informiert. Als sie während der Fahrt über Unwohlsein und Erbrechen der Schülerin informiert wurden, unterließen sie es, ärztliche Hilfe zu rufen. Erst als die Schülerin am letzten Tag bewusstlos war, reagierten sie – zu spät.

Das Gericht entschied: Wären sie ihrer Organisationspflicht nachgekommen und hätten sie frühzeitig gehandelt, hätte der Tod der Schülerin verhindert werden können. Damit wurde die Verurteilung auf die Verletzung der gestützt.

Das Urteil ist aus juristischer Sicht vertretbar, zeigt aber die immense Verantwortung, die Lehrer tragen. Die Pflicht, sich über gesundheitliche Risiken zu informieren, ist nachvollziehbar – aber hätte jede Lehrkraft eine sich verschlechternde Stoffwechsellage ohne medizinische Ausbildung als lebensgefährlich erkennen können?

Fall 2: Der Tod eines Kindes im Schwimmunterricht – Schuldbeladene Referendarin?

Auch das Amtsgericht Konstanz verurteilte zwei Pädagoginnen wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen, nachdem ein siebenjähriges Kind während des Schwimmunterrichts ertrunken war.

Das Gericht argumentierte, dass die Lehrkräfte nicht genug für die Sicherheit der Schüler gesorgt hätten: Alle Kinder seien gleichzeitig ins Wasser gelassen worden, ohne zwischen Schwimmern und Nichtschwimmern zu differenzieren. Das Kind trieb eine Minute lang im Wasser, bevor es geborgen wurde.

Ungerechte Bewertung der Referendarin? Besonders problematisch an diesem Urteil für mich ist die gleichwertige Verurteilung der Referendarin. Anders als die verantwortliche Lehrkraft hatte sie kaum Handlungsspielraum:

  1. Keine Entscheidungsgewalt: Sie konnte die Lehrerin nicht dazu zwingen, die Kinder anders ins Wasser zu lassen.
  2. Zwangslage: Wäre sie einfach weggegangen, hätte sie sich selbst der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen schuldig gemacht.

Das Urteil lässt diese Zwangslage unberücksichtigt. Referendare befinden sich in einem Abhängigkeitsverhältnis und sind keine gleichwertigen Entscheidungsträger. Die Verurteilung erscheint daher fragwürdig, da die junge Pädagogin in einer Situation war, in der sie gar nicht anders hätte handeln können.


Die Gefahr einer überzogenen Strafbarkeit

Diese Urteile verdeutlichen ein generelles Problem: Lehrer müssen in kürzester Zeit Entscheidungen über Leben und Tod treffen – ohne medizinische Ausbildung, oft ohne vollständige Informationen und in Stresssituationen.

Während eine strafrechtliche Verantwortlichkeit in Fällen klarer Fahrlässigkeit geboten ist, sollte die Rechtsprechung differenzierter bewerten:

  • Hat die Lehrkraft tatsächlich eine reelle Handlungsalternative gehabt?
  • War die Gefahr für die Lehrkraft als medizinischer Laie überhaupt erkennbar?
  • Welche äußeren Zwänge bestanden?

Eine zu weitgehende Strafbarkeit könnte dazu führen, dass sich Lehrer immer weniger trauen, Verantwortung zu übernehmen – mit möglicherweise negativen Folgen für Schüler.

Fazit: Mehr Prävention, weniger Überstrafung

Die beiden Urteile zeigen: Lehrer müssen sich ihrer rechtlichen Verantwortung bewusst sein. Schulträger und Ministerien müssen klare Leitlinien vorgeben und präventive Maßnahmen etablieren, um Risiken zu minimieren – etwa verpflichtende Schulungen oder standardisierte Notfallprotokolle.

Ein anderes Problem ist, dass Lehrer bekanntlich alles können: So wie in jeder gefahrgeneigten Tätigkeit ist auch hier dringend geboten. Eine Anforderung, die dem öffemntlichen Dienst per se fremd ist, dazu kommt der bekannte Geiz von Staatsdienern – ohne fachkundige strafrechtliche Beratung (die jemanden mit Erfahrung im Gerichtssaal voraussetzt!) setzt man seine Lehrkräfte am Ende aber unnötigen strafrechtlichen Risiken aus. Gerade dort wo es kritisch ist, bei Klassenfahrten und Sportveranstaltungen, sollten Konzepte auf den Prüfstand … bevor man vor einem Richter sitzt.

Doch ebenso wichtig ist eine realistische Einschätzung durch die Gerichte: Nicht jeder tragische Ausgang ist automatisch eine strafrechtlich relevante Pflichtverletzung. In besonders schwierigen Situationen muss differenziert bewertet werden, ob eine Lehrkraft realistisch anders hätte handeln können. Andernfalls könnte sich der Lehrerberuf bald in eine permanente rechtliche Risikozone verwandeln.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybersecurity & Softwarerecht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft.Als Softwareentwickler bin ich in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

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Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung.
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