Strafrecht: Zur voreiligen Annahme der Fluchtgefahr innerhalb der Europäischen Union

Es gilt auch hin und wieder, einfach mal positive Beispiele hochzuhalten: Bekanntlich gibt es bei dringendem Tatverdacht und Annahme einer Fluchtgefahr einen . Hier kommt dann die Floskel ins Spiel, dass der auf Grund der angedrohten Strafe im Raum stehende Strafanreiz so hoch ist, dass diesem keine hinreichenden Bindungen entgegenstehen und somit eine Fluchtgefahr anzunehmen ist. Diese „Formel“ kann durchaus berechtigt sein, wird aber mitunter auch schlicht vorschnell angenommen. Insbesondere bei EU-Ausländern, bei denen dann hinter vorgehaltener Hand schnell kommt „Der reist doch eh nicht für den Prozess an“.

Einen solchen Fall hatte ich kürzlich mit einer vermeintlichen Einbrecherbande aus Lettland. Im ersten Anlauf scheiterte die Zustellung einer übersetzten Anklageschrift an zumindest einen der Angeklagten (der sich in der U-haft befand). Auf Grund weiterer Verzögerungen wurde dann nach 6 Monaten U-Haft erreicht, dass der Prozess ausgesetzt wird und die Haftbefehle aufgehoben werden. Zu den Haftbefehlen kam es auf Grund obiger Floskel/Formel, weil die Angeklagten aus Lettland stammten und hier die Flucht bei immerhin einem versuchten und vielleicht (!) zwei vollendeten Einbrüchen für das Gericht naheliegend war.

Die Fortsetzung der Verhandlung fand nach Monaten statt; und wer war, noch vor Anwälten und Gericht schon um 8 Uhr morgens an der Pforte anzutreffen: Die auf eigene Kosten angereisten Angeklagten, denen vorher noch monatelang unterstellt wurde, sich einem solchen Verfahren nicht stellen zu wollen. Dabei war für mindestens zwei der Angeklagten klar, dass es spürbare Freiheitsstrafen geben wird (die es auch gab). Nachdem mein Mandant freigesprochen wurde erklärte das Gericht – das vorher noch Fluchtgefahr annahm! – allerdings allen Ernstes, dass es nicht besonderes sei, dass die Angeklagten erschienen sind. Schliesslich würde ja sonst ein Haftbefehl drohen. Da hätte man sich die U-Haft auch gleich schenken können.

Natürlich ist es immer schwer bei der Frage, ob eine Fluchtgefahr anzunehmen ist. Gleichwohl muss die Sorge geäußert werden, dass die Europäische Union bei Strafgerichten nur sehr langsam Einzug hält. Es muss dringend darauf hingearbeitet werden, Vorurteile abzubauen, das hier geschilderte Positivbeispiel soll einen kleinen Beitrag dazu beisteuern.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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