Alkohol und §21 StGB: Keine Schuldminderung bei selbstverschuldeter Trunkenheit

Schuldminderung nach §21 StGB bei Alkoholkonsum: Der große Senat für Strafsachen beim BGH (GSSt 3/17) hat klargestellt, dass bei der im Rahmen der bei der tatgerichtlichen Ermessensentscheidung über die Strafrahmenverschiebung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gebotenen Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände eine selbstverschuldete Trunkenheit die Versagung der Strafrahmenmilderung tragen kann, auch wenn eine vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls nicht festgestellt ist:

Um dem Prinzip zu genügen, dass die Strafe das Maß der Schuld nicht überschreiten darf, erfordert die Versagung einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB schulderhöhende Umstände, die diese Schuldminderung kompensieren (…), dass sich die auf einer Gesamtabwägung beruhende Ermessensentscheidung des Tatgerichts an diesem Kompensationsgedanken auszurichten hat (…). Das Ausmaß der fakultativen Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB lässt dabei erkennen, dass der Gesetzgeber die Tatschuld als typischerweise beträchtlich verringert ansieht, wenn der Täter vermindert schuldfähig war. Hieraus folgt, dass es für die Verweigerung der Milderung eines besonderen Grundes bedarf, der umso gewichtiger sein muss, je gravierender sich die Beibehaltung des Regelstrafrahmens auswirkt (…).

Dies führt jedoch nicht dazu, dass die tatgerichtliche Ermessensentscheidung über die Strafrahmenverschiebung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB ohne Weiteres dann als rechtsfehlerhaft zu bewerten ist, wenn das Tatgericht von der Strafmilderung maßgeblich deshalb absieht, weil der Angeklagte die Trunkenheit selbst verschuldete. Denn das selbstverantwortliche Sich-Betrinken des Täters vor der Tat stellt für sich allein einen schulderhöhenden Umstand dar, der im Rahmen der Ermessensausübung nach § 21 StGB regelmäßig Berücksichtigung finden darf, ohne dass dies von einzelfallbezogenen Feststellungen dazu abhängig ist, ob sich auf Grund der jeweiligen persönlichen oder situativen Verhältnisse das Risiko der Begehung von Straftaten infolge der Alkoholisierung (für den Täter) vorhersehbar signifikant erhöht hatte.

Dabei war schon vorher gefestigter Rechtssatz, dass Umstände, welche die Schuld erhöhen, zur Versagung der Strafrahmenmilderung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB führen können, wenn sie die infolge der Herabsetzung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit verminderte Tatschuld aufwiegen. Mit der vorliegenden Entscheidung steht damit nun fest, dass dies bei einer alkoholbedingten Verminderung der Schuldfähigkeit dann der Fall sein kann, wenn sie auf einer selbst zu verantwortenden, verschuldeten Trunkenheit beruht, die dem Täter uneingeschränkt vorwerfbar ist.

Alkoholkrankheit führt zur Schuldminderung

Doch Vorsicht: Ein die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigender Alkoholrausch ist dann nicht verschuldet, wenn der Täter alkoholkrank oder überempfindlich ist (so auch nochmals ausdrücklich BGH, 4 StR 53/20). Eine Alkoholerkrankung, bei der schon die Alkoholaufnahme nicht als ein die Schuld erhöhender Umstand zu werten ist, liegt dabei für den BGH regelmäßig vor, wenn der Täter den Alkohol aufgrund eines unwiderstehlichen oder ihn weitgehend beherrschenden Hanges trinkt, der seine Fähigkeit, der Versuchung zum übermäßigen Alkoholkonsum zu widerstehen, einschränkt (BGH, 3 StR 84/08, 5 StR 194/16 oder auch 3 StR 575/19).

Schuldfähigkeit bei Alkoholgenuss

Der (4 StR 397/14) hat zur Schuldminderung nach Alkoholgenuss nochmals erklärt:

Zwar gibt es keinen gesicherten Rechts- oder Erfahrungssatz, wo- nach ab einer bestimmten Höhe der Blutalkoholkonzentration ohne Rücksicht auf psychodiagnostische Beurteilungskriterien regelmäßig vom Vorliegen einer krankhaften seelischen Störung auszugehen ist. Bei einem Wert von über 2 ‰ ist eine erhebliche Herabsetzung der Hemmungsfähigkeit aber je nach den Umständen des Einzelfalles in Betracht zu ziehen, naheliegend oder gar in hohem Maße wahrscheinlich (BGH, Urteil vom 29. April 1997 – 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66; Beschluss vom 10. Januar 2012 – 5 StR 517/11, StraFo 2012, 109; Beschluss vom 7. Februar 2012 – 5 StR 545/11, NStZ-RR 2012, 137). Das war hier erörterungsbedürftig.

Dabei kommt dem Blutalkoholgehalt mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Prüfung, ob die Schuld des Täters zur Tatzeit erheblich eingeschränkt war, gewichtige Indizwirkung zu – vor dem Hintergrund ist notfalls die BAK zu schätzen solange Anhaltspunkte existieren (siehe dazu zusammenfassend BGH, 3 StR 443/19).

Bewusste Alkoholisierung bedeutet keine Schuldminderung

In einer weiteren interessanten Entscheidung hatte auch das AG Bamberg (23 DS 1104 Js 5374/17) entschieden, dass selbst wenn die Eingangsvoraussetzungen des § 21 StGB wegen Alkoholintoxikation zum Tatzeitpunkt vorliegen, eine Strafrahmenmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB grundsätzlich nicht zwingend ist – dies dann, wenn der Täter bewusst und gewollt in erheblichem Umfang Alkohol konsumiert und daher damit rechnen muss, sich im alkoholisierten Zustand nicht rechtstreu zu verhalten.

Dem Gericht ist zuzugestehen, dass der Strafrahmenverschiebung im Fall der Schuldminderung fakultativ ist (§21 StGB spricht ausdrücklich von „kann“). Allerdings kann man den Ansatz des AG durchaus kritisch sehen. So erinnert der gedankliche Aufbau durchaus an das für verhaltensgebundene Delikte vom BGH ausdrücklich aufgegebene Konstrukt der actio Libera in causa. Darüber hinaus ist zu konstatieren, dass gerade dann, wenn jemand offenkundig Probleme mit dem Alkoholkonsum hat, zu fragen ist, ob es nicht Teil des Krankheitsbildes ist, wenn er bereits mit dem Trinken beginnt – somit die Vorverlagerung der Verantwortung auf dem hier beschriebenen weg letztlich gerade verkennt, dass ein kranker Mensch unter Schuldminderung handelt. Wenn das Gericht ausführt

Dies gilt umso mehr, da dem Angeklagten mit Blick die Vielzahl der von ihm binnen kürzester Zeit begangenen Taten gewahr sein musste, dass er im alkoholisierten Zustand zur Begehung erheblicher Straftaten neigt.

verschärft dies die Kritik letztlich nur, denn durch diese Ausführungen drängt sich gerade die Auswirkung eines durch Krankheit gezeichneten unkontrolliert handelnden auf. Die Entscheidung fand bisher wenig Beachtung, aus meiner Sicht ist es ein diskutabler aber untauglicher Versuch eine Verantwortung über Umwege zu konstruieren.

Aus der Entscheidung:

Aus Sicht des Gerichts kommt eine Strafrahmenverschiebung nach § 21 StGB i.V.m. § 49 StGB ohne Verkennung der unwiderlegbaren Einlassung des Angeklagten, bei Begehung der Taten sei er jeweils nicht unerheblich alkoholisiert gewesen, nicht in Betracht. Zur Überzeugung des Gerichts liegen bereits nicht die Eingangsvoraussetzungen des § 21 StGB vor, da keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Steuerungsfähigkeit und/oder Unrechtseinsichtsfähigkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Taten gemäß § 21 StGB erheblich vermindert gewesen sein könnte. Der Angeklagte ist gegenwärtig in der Lage, sich an die mehrere Monate zurückliegenden Taten im Wesentlichen zu erinnern. Er war zum Zeitpunkt der Tatbegehung jeweils ohne Weiteres in der Lage, sich zu Fuß von der Aufnahmeeinrichtung etwa zwei Kilometer in Richtung (Innen-)Stadt zur Begehung der gegenständlichen Autoaufbruchsdiebstahlstaten zu begeben, wobei der Angeklagte nach seiner eigenen Einlassung die Flüchtlingseinrichtung jeweils zu diesem Zweck verlassen hat. Zudem wandte der Angeklagte zur Tatbegehung jeweils erhebliche körperliche Energie auf, indem er mit zum teils schweren Steinen mit brachialer Gewalt die Fensterscheiben der angegangenen Fahrzeuge einschlug bzw. einzuschlagen versuchte. Auch war der Angeklagte in der Lage, das bei ihm (teilweise) sichergestellte Diebesgut in die Aufnahmeeinrichtung zu verbringen und dieses in seiner dortigen Wohnung zu verstecken. Ferner hat der Angeklagte nach seiner Einlassung (mindestens) zwei entwendete Navigationsgeräte einem Freund zur Weiterverwertung überlassen. Schließlich war der Angeklagte nach eigenen Angaben nicht alkoholabhängig, was durch seine glaubhaften Ausführungen, dass er während der Inhaftierung keinerlei Entzugserscheinungen gehabt habe, bestätigt wird. Unter diesen Umständen erachtet es das Gericht für ausgeschlossen, dass die Schuldfähigkeit des Angeklagten unbeschadet seiner unwiderlegbaren Alkoholisierung zum jeweiligen Tatzeitpunkt im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war. Im Übrigen wäre, selbst wenn unterstellt wird, dass die Eingangsvoraussetzungen des § 21 StGB – wie nicht – vorgelegen hätten, eine Strafrahmenmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB nicht veranlasst, da, wer wie der Angeklagte bewusst und gewollt in erheblichem Umfang Alkohol konsumiert, damit rechnen muss, sich im alkoholisierten Zustand nicht rechtstreu zu verhalten. Dies gilt umso mehr, da dem Angeklagten mit Blick die Vielzahl der von ihm binnen kürzester Zeit begangenen Taten gewahr sein musste, dass er im alkoholisierten Zustand zur Begehung erheblicher Straftaten neigt.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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