Reform des Strafprozessrechts 2017: Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens (STPO Reform 2017)

Der Bundestag hat den Entwurf eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens beschlossen und damit einschneidende Veränderungen im Strafprozessrecht beschlossen, die mit Fug und Recht als einer der gravierendsten Einschnitte in Bürgerrechte der letzten Jahrzehnte bezeichnet werden kann. Dabei wurde das Gesetz nicht nur überraschend schnell beschlossen, sondern zudem wesentlich durch den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am 20.06.2017 nochmals verändert.

Überblick über die StPO-Änderungen

So wird das deutsche Strafrecht und Strafprozessrecht in Zukunft durch die Gesetzentwürfe unter den Drucksachen 18/11277 (Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens) sowie 18/11272 (Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze) vorsehen:

  • Ein bei allen Delikten, gleich ob ein Bezug zum Strassenverkehr vorliegt,
  • das Eindringen in IT-Systeme zum staatlichen mithören,
  • eine Online-,
  • einen Zwang zur Zeugenaussage bereits bei der Polizei mit echten Zwangsmitteln,
  • die Blutprobe ohne einen Richter.

Die Auswirkungen sind massiv, aus Sicht des Strafverteidigers fällt es schwer, hierzu noch Worte zu finden. Dabei begleite ich auf dieser Seite die Gesetzgebung zur Reform der StPO bereits seit Ihrem Beginn, wobei über die Dauer zu beobachten war, dass immer mehr Rechte für Beschuldigte gestrichen wurden und die Druckmöglichkeiten des Staates im Gegenzug immer mehr ausgebaut wurden.

Am Ende stehen Zeugen und Beschuldigte in einem unbeschreiblichen Druckmoment, während Beschuldigte sich mit einem Miminal-Katalog an Rechten versehen sehen, der weiterhin auf dem Stand von vor über 100 Jahren steht. Insbesondere konnte man sich nicht einmal dazu durchringen, wenigstens ein eigenes Antragsrecht auf eine Pflichtverteidigung während des Ermittlungsverfahrens zu schaffen.

Fahrverbot als Nebenstrafe

Meine Meinung zum Fahrverbot als Nebenstrafe habe ich bereits geäußert, dabei verbleibt es: Es ist ein Fehler, der die Lebenswirklichkeit verkennt und von Kurzsichtigkeit geprägt ist.

Eindringen in IT-Systeme

Der §100a ermöglicht den Zugriff auf IT-Systeme um dort an der Quelle auf vorhandene Nachrichten zuzugreifen. Sinn ist, den Schutz durch Quellen-Verschlüsselte Messaging-Dienste zu umgehen, indem auf die unversclüsselten Inhalte im IT-System zugegriffen wird:

Die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation darf auch in der Weise erfolgen, dass mit technischen Mitteln in von dem Betroffenen genutzte informationstechnische Systeme eingegriffen wird, wenn dies notwendig ist, um die Überwachung und Aufzeichnung insbesondere in unverschlüsselter Form zu ermöglichen. Auf dem informationstechnischen System des Betroffenen gespeicherte Inhalte und Umstände der Kommunikation dürfen überwacht und aufgezeichnet werden, wenn sie auch während des laufenden Übertragungsvorgangs im öffentlichen Telekommunikationsnetz in verschlüsselter Form hätten überwacht und aufgezeichnet werden können.

Online-Durchsuchung

Der Gesetzgeber bekommt endlich seinen lange gewünschten „Staatstrojaner“ mit dem neuen §100b StPO im Falle schwerer Straftaten:

Auch ohne Wissen des Betroffenen darf mit technischen Mitteln in ein von dem Betroffenen genutztes informationstechnisches System eingegriffen und dürfen Daten daraus erhoben werden (Online- Durchsuchung), wenn (…)

Pflicht für Zeugen zu erscheinen

Bereits früher von der CDU/FDP-Regierung gewünscht kommt nun der Wunschtraum vieler Ermittler, den es zuletzt in den 1930ern in Deutschland gab: Eine Verfügungsgewalt der Polizei über (potentielle) Zeugen im neuen §163 StPO:

Zeugen sind verpflichtet, auf Ladung vor Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt. Soweit nichts anderes bestimmt ist, gelten die Vorschriften des Sechsten Abschnitts des Ersten Buches entsprechend.

Meine drastische Wortwahl lässt bereits durchblicken was ich davon halte: Nichts. Diese gesetzgeberische Entscheidung ist ein Desaster das in seiner weitreichenden Beeinträchtigung der Grundrechte nicht zu überschätzen ist.

Es beginnt bereits damit, dass die Ermittlungsbehörden selber entscheiden, wen sie als Zeugen betrachten und wen nicht – der Kampf darum, ob man doch Beschuldigter ist, gehört bereits jetzt zum Alltag eines Strafverteidigers und es ist nicht selten, dass Beschuldigtenrechte durch ein erst einmal Anhören als unterlaufen werden sollen. Nun entsteht eine Drucksituation dadurch, dass der Staat entscheidet, wer aus seiner Sicht Zeuge ist und dann – ohne Ladungsfrist! – zur Polizei zu erscheinen hat.

Wobei, dies ist dann der nächste Punkt, nicht einmal gesagt ist, dass man überhaupt zur Polizei muss: Das Besuchen durch die Polizei am Arbeitsplatz, das Unter-Drucksetzen damit eine Aussage geschieht und gleichzeitige drohen mit Sanktionen (hier: Zwangsgeld oder gar Haft), all das hat der deutsche Gesetzgeber nun beschlossen. So hat man zwar pro Forma immerhin klargestellt, dass alle Zeugenrechte einer zeugenschaftlichen Vernehmung vor Gericht eingreifen, insbesondere das Recht auf einen Zeugenbeistand – doch wer denkt daran einen Rechtsanwalt zu organisieren, wenn die Kripo Zuhause oder am Arbeitsplatz vor einem steht und der Druck schon einmal da ist? Diese Situation ist ausweislich der Gesetzesbegründung auch noch ausdrücklich gewollt, der Gesetzgeber nennt das ein „effektiveres Vorgehen“.

Auch wer hofft, wenn er sich keinen Rechtsanwalt leisten kann, einen gestellt zu bekommen, der darf sich wenig Hoffnung machen: Die Entscheidung, ob ein Zeugenbeistand gestellt wird wenn man sich keinen selber organisiert, trifft die Staatsanwaltschaft in eigener Kompetenz – also die Ermittlungsbehörde die für die Vernehmung selber zuständig ist.

Was heisst das für Zeugen: Sie müssen zur Polizei und müssen aussagen, der Gesetzgeber will es so. Da die Haft durch ein Gericht zu verhängen ist, steht immer erst einmal ein (maßvolles) Ordnungsgeld im Raum, das man in Zweifelsfällen wohl riskieren muss um seine Rechte durch einen Beistand waren zu lassen, wenn die Zeit zu kurz bemessen ist. Da zudem ja ein Zeugenbeistand konsultiert können werden muss, muss man aus meiner Sicht als Ermittlungsbehörde die entsprechende Zeit einräumen – sollte die Ermittlungsbehörde das nicht tun, wäre zumindest ein verhängtes Zwangsgeld rechtswidrig bei zu kurzen Fristen oder bewusst aufgebauten Drucksituationen. Wenn Sie nicht selber mit den „effektiven Beamten“ über bestehende und insbesondere eine potentielle Selbstbelastung diskutieren möchten hilft nichts – organisieren Sie sich einen Strafverteidiger und kommunizieren Sie nur mit einem Wort: „Anwalt“. Auch als Zeuge wird dieses Denken in Zukunft sehr wichtig werden. Insgesamt hat sich an dieser Stelle das Macht- und Druckgefüge ganz maßgeblich zu Lasten der Menschen in solchen Verfahren geändert.

Blutprobe ohne Richter

Es wird nunmehr, wie erwartet, der §46 OWiG geändert:

„Die Entnahme einer Blutprobe bedarf abweichend von § 81a Absatz 2 Satz 1 der Strafprozessordnung keiner richterlichen Anordnung, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine Ordnungswidrigkeit nach den §§ 24a und 24c des Straßenverkehrsgesetzes begangen worden ist.“

Das entspricht der überwiegenden Rechtsprechung zum Thema Richtervorbehalt bei Blutprobe und war abzusehen.

Fazit

Man mag im Bereich Überwachung diskutieren, ob hier zumindest der Grundansatz nachvollziehbar ist – keinerlei Verständnis gibt es von mir für die Entscheidung, Zeugen Zwang auszusetzen. Die Druckmittel die Ermittlungsbeamte hier nunmehr in der Hand haben werden, können nicht nur die Freiheitsrechte massiv schädigen sondern zudem schnell vergiften, wenn Aussagen unter spürbarem Druck und Unwillen zu Stande kommen.

Zumindest aus Sicht der Strafverteidiger kann man der Entwicklung aber auch positives abgewinnen: Wer zukünftig, egal in welcher Rolle, mit Ermittlungsbehörden konfrontiert ist wird einen Strafverteidiger brauchen, spätestens wenn er meint, irgendwelche Aussageverweigerungsrechte zu haben – ansonsten kann man nur viel Erfolg dabei wünschen, alleine zu versuchen, die Ermittlungsbehörde vom zu überzeugen, ohne sich noch weiter in Probleme hinein zu reden.

Geradezu schockierend ist, dass der Gesetzgeber rein gar nichts im Bereich der Grundrechte getan hat: Kein eigenes Antragsrecht für eine Pflichtverteidigung, keine Unterstützung Betroffener dabei einen Beistand zu erhalten – gleich ob als Zeuge oder Beschuldigter, nicht einmal Vorgaben, die verhindern sollen, dass Betroffene durch Ermittlungsbehörden „überfallen“ werden. Richten müssen es Strafverteidiger, die in den nächsten Jahren neue Rechtsprechung zum §136a StPO erarbeiten müssen – auf Kosten von Menschen und Bürgerrechten, die erst einmal von neuen Ermittlungsmethoden konfrontiert sind. Ein wenig fragt man sich auch, welchen Sinn die letzten Jahre der Entwicklung des EU-Strafrechts machen, wenn der deutsche Gesetzgeber diese aggressiv ignoriert: Die Vorgaben zur PKH in Strafsachen sind nicht einmal in einem Entwurf angegangen, die zu den Beschuldigtenrechten ist derart schlecht umgesetzt, dass nicht einmal Strafbefehle zwingend in die Sprache des Betroffenen zu übersetzen sind. Das Strafprozessrecht in Deutschland steht nicht mehr still, es befindet sich im Rückwärtsgang.

 

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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