In einem Beschluss vom 11. September 2024 (Az. 3 ORbs 165/24) setzte sich das Kammergericht Berlin mit der Frage auseinander, unter welchen Umständen von einem Fahrverbot abgesehen werden kann. Im vorliegenden Fall ging es um eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb geschlossener Ortschaften, die vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten lediglich mit einer geringen Geldbuße und ohne Fahrverbot geahndet wurde. Die Staatsanwaltschaft legte dagegen Rechtsbeschwerde ein, welche vom Kammergericht als begründet erachtet wurde.
Sachverhalt
Der Betroffene überschritt innerhalb einer geschlossenen Ortschaft die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 42 km/h und wurde deshalb zunächst mit einer Geldbuße von 800 Euro und einem einmonatigen Fahrverbot belegt. Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten setzte jedoch die Geldbuße auf 55 Euro herab und verzichtete auf das Fahrverbot. Begründet wurde dies unter anderem mit dem Umstand, dass der Betroffene, ein Rechtsanwalt, auf seine Fahrerlaubnis sowohl beruflich als auch familiär angewiesen sei. Zudem habe der Betroffene argumentiert, dass er aufgrund eines technischen Defekts an seinem Oldtimerfahrzeug kurzfristig habe beschleunigen müssen, um ein Liegenbleiben im Tunnel zu verhindern.
Rechtliche Analyse
Das Kammergericht bemängelte mehrere Fehler in der Begründung des Amtsgerichts:
- Bewusstsein der gesetzlichen Regelwirkung: Der Tatrichter muss sich der gesetzlichen Regelwirkung des Fahrverbots gemäß § 4 Abs. 1 der Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV) bewusst sein. Das Amtsgericht habe dies nicht ausreichend dargelegt, was das Kammergericht als wesentlichen Mangel ansah.
- Technischer Defekt als Rechtfertigung: Die Argumentation, der Betroffene habe wegen eines technischen Defekts beschleunigen müssen, um das Liegenbleiben im Tunnel zu verhindern, wurde als unzureichend betrachtet. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte der Betroffene aufgrund der ihm bekannten Fahrzeugmängel nicht am Verkehr teilnehmen dürfen.
- Voreintragungen im Fahrerlaubnisregister: Das Fehlen von Voreintragungen im Fahrerlaubnisregister wurde vom Amtsgericht fälschlicherweise als Grund für eine mildere Sanktion angeführt. Dieser Umstand ist jedoch bereits in den Regelrechtsfolgen des Bußgeldkatalogs berücksichtigt.
- Berufliche und familiäre Abhängigkeit: Auch die Argumentation, dass der Betroffene aus beruflichen und familiären Gründen auf die Fahrerlaubnis angewiesen sei, wurde nicht durch Tatsachen untermauert. Das Kammergericht stellte klar, dass dies allein keinen ausreichenden Grund darstellt, um von einem Fahrverbot abzusehen.
- Prozessökonomie: Schließlich stellte das Kammergericht fest, dass die Erwägung der Prozessökonomie – die Entscheidung, keine weiteren Beweise oder Gutachten einzuholen, um Kosten zu sparen – keine legitime Grundlage für das Absehen von einem Fahrverbot darstellt.
Fazit
Das Kammergericht hob das Urteil des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung zurück. Es stellte klar, dass das Fahrverbot in Fällen erheblicher Geschwindigkeitsüberschreitungen eine gesetzlich vorgesehene Sanktion darstellt, von der nur in Ausnahmefällen abgewichen werden kann. Diese Ausnahmen müssen jedoch durch Tatsachen belegt und sorgfältig begründet werden. Die Entscheidung des Kammergerichts verdeutlicht die strengen Anforderungen an die tatrichterliche Begründung beim Absehen von einem Fahrverbot.
- BGH zur heimlichen Überwachung und Täuschung durch Ermittler - 1. Dezember 2024
- Populäre Musik und politische Veranstaltungen: Rechte der Künstler und urheberrechtliche Grenzen - 1. Dezember 2024
- Herausforderungen bei der Entwicklung von KI-Systemen: Juristische Fallstricke für Softwareentwickler - 30. November 2024