Das Oberlandesgericht Oldenburg hatte sich in seinem Urteil vom 14. November 2022 (Az.: 1 Ss 199/22) mit der Frage auseinanderzusetzen, ob das Verhalten eines Fahrzeugführers, der sich durch riskante Fahrmanöver einer polizeilichen Kontrolle entzieht, als Teilnahme an einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen (§ 315d Abs. 1 StGB) zu qualifizieren ist. Der Fall bietet Anlass, die strafrechtliche Einordnung solcher „Polizeiflucht-Fälle“ näher zu beleuchten.
Sachverhalt
Ein Autofahrer hatte versucht, einer Polizeikontrolle zu entkommen, indem er mit überhöhter Geschwindigkeit und unter Missachtung zahlreicher Verkehrsregeln fuhr. Dabei setzte er andere Verkehrsteilnehmer erheblichen Gefahren aus. Die Staatsanwaltschaft klagte ihn unter anderem wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens nach § 315d Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 StGB an. Dabei setzt sich – obwohl in anderem Verfahrensgang! – das OLG sehr ausführlich und kritisch mit einer früheren Entscheidung des LG Oldenburg auseinander.
Rechtliche Würdigung
Qualifikation als Einzelrennen (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB)
Das Gericht bestätigte, dass der Tatbestand eines Einzelrennens vorliegen könnte, da der Fahrer objektiv und subjektiv die Voraussetzungen erfüllte: Er bewegte das Fahrzeug mit der Absicht, eine Höchstgeschwindigkeit zu erreichen, und handelte dabei rücksichtslos. Diese Feststellungen rechtfertigten eine Strafbarkeit nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB.
Ausschluss eines Wettbewerbsrennens (§ 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB)
Eine Teilnahme an einem Wettbewerbsrennen gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB verneinte das OLG. Hierbei fehle es an der zentralen Voraussetzung des Wettbewerbscharakters. Der Fahrer agierte allein und ohne die Beteiligung weiterer Personen, die als Konkurrenten in einem Rennen hätten auftreten können. Ein bloß konkludentes Einverständnis mit einer polizeilichen Verfolgung reiche hierfür nicht aus. Auch waren die Polizisten nicht als Teilnehmer zu qualifizieren:
Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach § 315d Abs, 1 Nr. 2 StGB wäre aber weiter, dass der Angeklagte als Kraftfahrzeugführer an Kraftfahrzeugrennen teilgenommen hätte. Kraftfahrzeugrennen ist ein Wettbewerb oder Wettbewerbsteil zur Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten mit Kraftfahrzeugen, bei denen zwischen mindestens zwei Teilnehmern ein Sieger ermittelt wird, wobei es einer vorherigen Absprache der Beteiligten nicht bedarf. Letzteres trifft allerdings nur insoweit zu, als vorbereitende ausdrückliche Verabredungen über Zeit, Ort oder Regeln nicht getroffen werden müssen, mithin eine „Organisation“ nicht erforderlich ist. Ein „Rennen“ selbst setzt aber stets die Kenntnis aller Teilnehmer voraus, denn ein Wettbewerb existiert begrifflich nur dort, wo er als solcher wahrgenommen wird. Vereinbarungen können sich auch spontan und konkludent ergeben (…).
Insoweit weist aber bereits Krenberger in seiner Anmerkung zu der bezeichneten Entscheidung des Landgerichts Osnabrück (ZfS 2021, 412) zutreffend darauf hin, dass schon der Teilnehmerbegriff auf den Fahrzeugführer des Polizeifahrzeugs nur schwerlich anzuwenden ist. Als Teilnehmer an einem Rennen ist zu qualifizieren, wer sich äußerlich den formellen oder informellen Regeln der Veranstaltung im Wesentlichen unterwirft und dabei subjektiv einen Platz im Wettbewerb einnehmen oder das Ziel der Veranstaltung fördern möchte. Der Polizeibeamte hat hier aber mitnichten ein Förderungswillen, sondern will das Rennen so schnell wie möglich beenden. Damit fehlt es aber, wie auch König in seiner Anmerkung zu dem Urteil des Landgerichts Osnabrück (DAR 2022, 363) ausführt, an einer jedenfalls konkludenten Rennabrede. Zudem fehlt der Verfolgungsfahrt selbst der Wettbewerbscharakter, weil sie auf eine Beendigung der „Teilnahme“ des verfolgten Kraftfahrzeugführers abzielt (vgl. Krenberger, a.a.O.).
Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer
Die Strafbarkeit wurde durch die konkrete Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ergänzt. Das Verhalten des Fahrers stellte eine abstrakte Gefahr dar, die in Kombination mit dem rücksichtslosen Fahrstil die Schwelle zur konkreten Gefährdung überschritt.
Bedeutung des Urteils
Das Urteil verdeutlicht die hohe strafrechtliche Relevanz von riskanten Fahrmanövern im Straßenverkehr, die im Kontext einer Polizeiflucht begangen werden. Es präzisiert zudem die Abgrenzung zwischen den Alternativen des § 315d Abs. 1 StGB. Insbesondere klärt es, dass die bloße Flucht vor der Polizei keinen Wettbewerbscharakter im Sinne eines Rennens begründet.
Schlussfolgerung
Die Entscheidung des OLG Oldenburg ist richtungsweisend für die strafrechtliche Einordnung von Polizeifluchten, die sich durch besonders gefährliche Fahrweisen auszeichnen. Sie zeigt, dass solche Fälle zwar oft als Einzelrennen zu werten sind, der Wettbewerbscharakter eines Rennens jedoch eine bewusste Konkurrenzsituation voraussetzt. Dieses Urteil unterstreicht die Notwendigkeit einer differenzierten rechtlichen Bewertung solcher Verkehrsdelikte.