Kaum ein Begriff wurde in den letzten Jahren so schnell gefeiert und ebenso schnell abgeschrieben wie das Metaverse. Nach einem kurzen, fast schon fiebrigen Hype verschwand es aus den Schlagzeilen, überrollt von der nächsten Welle – der generativen KI. Doch tot ist das Metaverse keineswegs. Der aktuelle Leitfaden des Bitkom 2025 zeigt deutlich: Die Entwicklung hat sich professionalisiert. Und gerade für Juristen lohnt sich der erneute Blick – denn die Rechtsfragen beginnen erst jetzt, ihre volle Komplexität zu entfalten.
Vom Hype zur Reife: Wo das Metaverse wirklich steht
Der Bitkom ordnet die Entwicklung nüchtern ein. Ja, der Enthusiasmus vieler Consumer-Projekte war verfrüht. Viele Unternehmungen scheiterten an technischer Unreife, unausgereifter Hardware und mangelndem Nutzungskontext. Was bleibt, ist jedoch ein solides Fundament: Das industrielle und unternehmensgetriebene Metaverse entwickelt sich kontinuierlich weiter. Digitale Zwillinge, immersive Trainingsumgebungen, virtuelle Planungsräume – all das ist keine Zukunftsmusik mehr, sondern vielfach bereits produktiv im Einsatz.
Der Leitfaden legt den Fokus auf konkrete Use Cases in Industrie, Bildung, Infrastrukturplanung und öffentlicher Verwaltung. Dort entfaltet das Metaverse sein Potenzial als „begehbares Internet“, als Umgebung, in der digitale Prozesse nicht nur sichtbar, sondern auch interaktiv erlebbar werden.
Technologische Plattform – rechtliche Leerstelle?
Die eigentliche Brisanz aus juristischer Sicht liegt aber tiefer. Das Metaverse ist mehr als ein Spielplatz für Entwickler und Kreative – es ist eine Schnittstelle neuer digitaler Infrastrukturen, in der unterschiedlichste Rechtsbereiche kollidieren: Datenschutzrecht, Immaterialgüterrecht, Zivilrecht, Arbeitsrecht, Steuerrecht und nicht zuletzt das Strafrecht.
Diese Analyse wird im Bitkom-Leitfaden nur angerissen – und doch ist der Bedarf nach juristischer Einordnung unübersehbar. In meinem eigenen Fachaufsatz zum Metaverse betone ich genau diesen Punkt: Der regulatorische Rahmen besteht zwar formal (vor allem auf Basis bestehender EU-Regelwerke wie DSGVO und DSA), doch fehlt es an Anwendungserfahrung, an interpretatorischer Tiefe und an abgestimmten Mechanismen, die der Komplexität digitaler Räume gerecht werden.
Ein neuer Schub durch KI?
Interessanterweise beschreibt der Bitkom eine wechselseitige Verstärkung: KI-Technologien fördern das Metaverse – und umgekehrt. Generative KI kann Inhalte, Avatare, digitale Umgebungen erschaffen. Im Metaverse erhalten diese eine Form, einen Raum, eine soziale Dimension. Zugleich erlaubt das Metaverse der KI, sich in immersive Mensch-Maschine-Interaktionen zu entfalten – etwa durch KI-gesteuerte Avatare oder realistische Simulationen.
Juristisch relevant wird das in mehrfacher Hinsicht: Wer haftet für KI-generierte Inhalte im Metaverse? Wie erfolgt die datenschutzkonforme Integration lernender Systeme? Und was bedeutet es, wenn juristisch relevante Kommunikation (z. B. Vertragsverhandlungen) künftig zwischen Avataren stattfindet, die teilweise von KI gesteuert werden?
Interoperabilität, Standards, Regulierung: Die nächste Baustelle
Der Bitkom adressiert mit bemerkenswerter Offenheit, dass wir noch weit von einem einheitlichen, offenen Metaverse entfernt sind. Es fehlt an Interoperabilität, an gemeinsamen Standards, an einer globalen Governance. Statt eines nahtlosen Netzwerks dominieren derzeit proprietäre Einzellösungen.
Juristisch ergibt sich hier eine Parallele zum frühen Internet: Auch hier musste die normative Ordnung erst gefunden werden – durch praktische Erfahrung, gerichtliche Entscheidungen, Gesetzgebung und vor allem durch einen öffentlichen Diskurs über Werte und Grenzen.
Gerade im Metaverse droht ohne frühzeitige Auseinandersetzung eine Asymmetrie: Während Unternehmen und Plattformen sich längst in Stellung bringen, fehlen den Nutzern (und ihren Repräsentanten, etwa der Anwaltschaft) oft die Mittel, um Rechte durchzusetzen – etwa auf Zugang, Schutz geistigen Eigentums oder Datenschutz.
Fazit: Das Metaverse bleibt – nur anders, als viele dachten
Der Bitkom-Leitfaden ist kein Revival-Manuskript für Visionäre, sondern ein nüchternes Lagebild. Und gerade deshalb ist er wichtig: Er zeigt, dass sich jenseits des Hypes eine technologische Infrastruktur etabliert, die tief in das Wirtschafts- und Alltagsleben eingreifen wird – und juristisch hoch relevant ist.
Während alle Welt über KI spricht – und damit meist nichts anderes meint als große Sprachmodelle mit Big-Data-Bauch – gerät das Metaverse aus dem Blick. Zu Unrecht. Denn ich bin überzeugt: Unsere digitale Zukunft wird nicht nur von Maschinenintelligenz, sondern vor allem von immersiven, vernetzten Räumen geprägt sein – einem Metaverse, das unser digitales Leben neu organisiert. Genau deshalb beschäftige ich mich rechtlich damit. Weil es hier noch viele offene Fragen gibt, auf die es keine fertigen Antworten gibt. In meinem Beitrag in AnwZert ITR 25/2024 Anm. 2 habe ich erste juristische Linien skizziert – und ich bin sicher: Das war erst der Anfang.
Für uns Juristen bedeutet das: Der Blick aufs Metaverse darf nicht abreißen. Die KI hat den Diskurs zwar verschoben, doch sie wird das Metaverse nicht verdrängen – sondern neu befeuern. Denn was nützt die beste KI, wenn sie keinen sozialen, immersiven Kontext findet? Genau diesen Kontext bietet das Metaverse. Und es wird ihn bieten müssen, wenn wir digitale Interaktion nicht auf Textfenster und Klickdialoge beschränken wollen.
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