Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse bei Rezept

Das , 5 U 39/20, konnte sich zum
Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse und einer etwaigen Vermögensbetreuungspflicht des Hausarztes gegenüber der Beihilfestelle hinsichtlich ausgeschriebener Rezepte äussern:

  1. Der Behandlungsvertrag zwischen Hausarzt und Patient entwickelt keine Schutzwirkung für die Beihilfestelle als Dritte.
  2. § 278 StGB, das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, ist kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, da das Delikt für sich genommen nicht geeignet ist, fremde Vermögensinteressen zu schädigen.
  3. Rezepte sind keine Gesundheitszeugnisse im Sinne des § 278 StGB, da sie keine Auskunft über den Gesundheitszustand eines Patienten geben und nicht dem Nachweis einer bestimmten medizinischen Diagnose dienen.
  4. Ärzte haben keine Vermögensbetreuungspflicht hinsichtlich des Vermögens privater Versicherer oder der Beihilfekasse, da es an der erforderlichen engen, direkten Beziehung zwischen Arzt und Beihilfekasse oder Privatversicherer fehlt.

Dabei sah das Landgericht Köln das im Strafverfahren noch anders – der OLG-Zivilsenat stellt sich dem aber entgegen und zeigt, wo erhebliches Verteidigungspotential liegt:

Das Landgericht Köln hat in dem hier zugrunde liegenden Strafverfahren in seinem die amtsgerichtliche Nichteröffnung aufhebenden Beschluss vom 07.07.2016, 105 Qs 165/16, Rezepte als Gesundheitszeugnisse angenommen. Dies wird damit begründet, dass das Rezept auch eine Anweisung an die Beihilfestelle sei, die für das verschriebene Medikament entstandenen Kosten zu erstatten, ohne dass für diese eine eigene medizinische Prüfungsmöglichkeit bestehe. Somit enthalte ein Rezept gesundheitsrelevante Daten, die für die Entscheidung der Beihilfestelle von Bedeutung sind. Dieser Beschluss wird in der Kommentarliteratur unterschiedlich eingeordnet. Während bei Lackner/Kühl die Entscheidung wohl zustimmend aufgenommen wird (§ 278 Rn. 2 am Ende), wird die Auffassung bei Schönke/Schröder/Heine Schuster, StGB § 278 Rn. 4 sowie Fischer StGB, 67. Auflage 2020, § 278 Rn. 5 nicht geteilt und mit dem Vermerk „zweifelhaft“ versehen. Der hat im Urteil vom 2.11.2010 – 1 StR 579/09, BeckRS 2011, 1481 – eine (nichtärztliche) Angeklagte, die Rezepte über Betäubungsmittel ausstellte und die Unterschrift des Arztes fälschte, wegen gemäß § 267, nicht aber wegen Fälschung von Gesundheitszeugnissen gemäß § 277 StGB bestraft, was darauf schließen lässt, dass der BGH insoweit die Qualität des Gesundheitszeugnisses nicht bejaht hat, da ansonsten die § 267 StGB verdrängende Spezialnorm des § 277 StGB hätte angenommen werden müssen.

Nach Auffassung des OLG ist das Tatbestandsmerkmal „Gesundheitszeugnis“ bei bloßen Rezepten aber nicht erfüllt. Denn Rezepte geben in der Regel keine Auskunft über den Gesundheitszustand eines Patienten, sie dienen jedenfalls nicht dem Nachweis einer bestimmten medizinischen Diagnose und umso mehr gilt dies bei Rezepten für „allgemeine Mittel“ wie Ibuprofen, die breite Anwendung haben:

Es kann hier offenbleiben, ob die vom Beklagten ausgestellten Rezepte objektiv unrichtig im Sinne des §§ 278 StGB waren. Zwar kann ein Gesundheitszeugnis bereits dann unrichtig sein, wenn eine erforderliche Untersuchung nicht stattgefunden hat (BGH, Urteil vom 08.11.2006, NStZ-RR 07, 343 f.), es ist jedoch innerhalb der herrschenden Meinung anerkannt, dass der Begriff der ärztlichen Untersuchung nicht in jedem Fall eine körperliche Untersuchung oder persönliche Befragung des Patienten voraussetzt.

Es gibt Krankheitsfälle, in denen es sich entweder nach der Art der Erkrankung oder der seelischen Verfassung des Patienten für den gewissenhaften Arzt verbietet, eine körperliche Untersuchung oder eine persönliche Befragung des Patienten vorzunehmen. In solchen Fällen genügt der Arzt der ihm obliegenden auch im Rahmen des § 278 StGB, wenn er vor der Ausstellung des Gesundheitszeugnisses sich auf andere Weise zuverlässig über den Gesundheitszustand des Patienten unterrichtet (OLG Frankfurt, Beschluss vom 11. Januar 2006 – 1 Ss 24/05 –, juris Rn. 24). Wenn die Diagnose auf Grund objektiver Diagnosegrundlagen getroffen wurde, ist sie nicht unrichtig, wenn eine von mehreren erforderlichen Untersuchungen unterlassen wurde (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 22. Dezember 1981 – 1 Ss 62/80 –, juris 2. Orientierungssatz). Im vorliegenden Fall ist zwar unstreitig, dass bei der Patientin ein Immundefekt- Syndrom in Form eines Antikörpermangelsyndroms für IgA und IgG vorlag, welches durch Dr. C im Jahr 1990 festgestellt wurde. Ob diese lebenslang bestehende Krankheit allerdings in der rezeptierten Form behandlungsbedürftig war, steht ohne sachverständige Klärung nicht fest.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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