Das Urteil des OLG Brandenburg vom 22. Oktober 2024 (Az. 6 U 58/22) betrifft einen zentralen Konflikt im Bauurheberrecht: Wie weit reicht der Schutz des Architekten gegen den Abriss eines von ihm entworfenen Gebäudes, wenn das Werk urheberrechtlich geschützt ist – und wann überwiegt das Nutzungsinteresse des Eigentümers? Der Senat entschied zugunsten der Eigentümerin, einem kommunalen Wohnungsunternehmen, und erlaubte den Abriss trotz anerkannter Schöpfungshöhe des Bauwerks. Damit reiht sich die Entscheidung in die höchstrichterliche Linie ein, die das Spannungsverhältnis zwischen § 14 UrhG und § 903 BGB durch konkrete Interessenabwägung auflöst.
Sachverhalt
Im Streit stand das sog. „T.-Haus“, ein zentrales Element einer in den 1990er-Jahren konzipierten Wohnanlage in P., entworfen von den beklagten Architekten. Aufgrund baulicher Mängel war das Haus seit Jahren nicht mehr bewohnbar. Die Eigentümerin beabsichtigte den Abriss und den Neubau eines größeren Gebäudes mit sozialem Wohnraum. Die Architekten verwiesen auf ihr Urheberpersönlichkeitsrecht und lehnten jegliche Zustimmung zum Abriss ab – auch als Teil eines städtebaulichen Wettbewerbs. Die Klägerin erhob eine negative Feststellungsklage auf Nichtbestehen von Unterlassungsansprüchen wegen des geplanten Abrisses. Das OLG wies die Berufung der Architekten gegen das landgerichtliche Urteil zurück.
Rechtliche Analyse
1. Urheberrechtlicher Schutz von Bauwerken bejaht
Das Gericht bestätigte ausdrücklich den urheberrechtlichen Schutz des T.-Hauses als eigenständiges Werk der Baukunst (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG). Die Gestaltung ging über das bloß Funktionale hinaus und spiegelte eine individuelle architektonische Handschrift wider – auch im Ensemblekontext mit angrenzenden Wohnbauten. Die Entscheidung knüpft an die Rechtsprechung zu Bauten mit „erheblicher Gestaltungshöhe“ an (vgl. BGH, „HHole“, „PHaradise“, „Minigolfanlage“).
2. Abriss als Beeinträchtigung i.S.d. § 14 UrhG
Ein Abriss stellt nach ständiger Rechtsprechung eine besonders gravierende Beeinträchtigung oder sogar „Entstellung“ des Werkes dar. Der Urheber darf sich grundsätzlich dagegen wehren – auch gegen Eigentümer. Dennoch ist gemäß § 14 UrhG eine Interessenabwägung durchzuführen, bei der das Eigentumsrecht und der Nutzungszweck berücksichtigt werden.
3. Interessenabwägung zugunsten der Eigentümerin
Das OLG gelangte zu dem Ergebnis, dass die Interessen der Eigentümerin an einem Abriss überwiegen. Maßgeblich waren:
- Unwirtschaftlichkeit einer Sanierung und massive Baumängel,
- die dauerhafte Nichtnutzbarkeit des Objekts,
- ein kommunaler Auftrag zur Schaffung von Wohnraum, der mit dem geplanten Neubau effizienter erfüllt werden könne,
- ein objektiv nachvollziehbarer Entscheidungsprozess, gestützt durch Gutachten und Wirtschaftlichkeitsberechnungen.
Das Gericht betonte, dass der Architekt bei Auftragserteilung in die Möglichkeit künftiger Veränderungen einwillige. Der urheberrechtliche Bestandsschutz sei kein Denkmalrecht „durch die Hintertür“.
4. Keine Dominanz kultureller Einbettung
Auch die Argumentation der Architekten, das Ensemble bilde ein städtebauliches Gesamtkunstwerk mit kulturlandschaftlicher Funktion, überzeugte das Gericht nicht. Die Einbettung in die Umgebung sei nicht Gegenstand des urheberrechtlichen Schutzes – maßgeblich sei das konkrete Werk.
Die wesentliche Aussage: Auch ein Werk der Baukunst ist nicht sakrosankt. Bei öffentlich-rechtlichen oder wirtschaftlich zwingenden Motiven kann der Abriss zulässig sein – wenn eine nachvollziehbare Interessenabwägung zugrunde liegt. Baukunst ist kein Enteignungsschutz für Architekten – Eigentum verpflichtet, aber es berechtigt auch zur Veränderung.
Fazit
Das OLG Brandenburg hat in dieser Entscheidung das Spannungsverhältnis zwischen Urheberrecht und Eigentum mit Augenmaß gelöst. Die Individualität des architektonischen Werks wird gewürdigt, aber nicht absolut gesetzt. Eigentümer dürfen mit nachvollziehbaren, sachlich begründeten Maßnahmen auch geschützte Werke verändern oder beseitigen – wenn sie dabei die rechtlichen Rahmenbedingungen einhalten.
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