In einer sehr lebensnahen Entscheidung hat das Landgericht Aachen (33 a StVK 75/22) einer JVA ins Stammbuch geschrieben, dass man auch etwas menschlicher im Umgang mit Gefangenen sein kann. Hintergrund war eine verhängte Disziplinarmaßnahme der JVA (2 Wochen Freizeit-/ Sportsperre). Hiebrei ging es um einen einen Inhaftierten, der für einen Mitgefangenen einen Antrag auf Haftunterbrechung verfasst hatte.
Eine Gegenleistung hatte er hierfür nicht erhalten – gleichwohl wurde gegen ihn ein Disziplinarverfahren eingeleitet und der Antragsteller erhielt als Disziplinarmaßnahme eine zweiwöchige Freizeit- und Sportsperre. Dies, weil die Hausordnung im Einklang mit der gesetzlichen Lage eine grundsätzliche rechtsdienstleistende Tätigkeit, in der JVA verboten hatte. Das aber machte das LG nicht mit:
Es bestehen von der Kammer aber keine grundsätzlich durchgreifenden Bedenken, wenn ein Gefangener einen anderen unterstützungsbedürftigen Mitgefangenen im Einzelfall bei der Wahrnehmung von dessen Rechten Hilfe leistet (vgl. auch OLG Nürnberg, Beschluss vom 27.07.2001 – Ws 452/01 –, juris, andeutend OLG Hamm, Beschluss vom 09.06.1982 – 7 VAs 8/82 –, juris, NStZ 1982, 438). So schließen auch die oben genannten Vorschriften des StVollzG NRW konkret rechtsdienstleistende Tätigkeit anderer Gefangener, solange es bei einem Einzelfall bleibt und die Tätigkeit gegenüber unterstützungsbedürftigen und nahestehenden Mitgefangenen ausgeübt wird, nicht aus, sondern richten sich primär an die Vollzugsbehörden entsprechende unterstützende Tätigkeit zu gewährleisten. Auch ist angesichts des Gleichstellungsgrundsatzes eine gewisse Angleichung an die Lebensverhältnisse außerhalb des Vollzugs zu erwarten. Wenn entsprechende rechtsdienstleistende Tätigkeit über § 6 Abs. 2 RDG außerhalb des Vollzugs zulässig wäre, widerspräche es dem Angleichungsgedanken diese Wertung nicht auch auf den Vollzugsbereich zu übertragen. Dem steht auch nicht entgegen, wenn die Antragsgegnerin – wie hier – grundsätzlich einen sozialen Dienst unterhält, an den sich die Gefangenen mit persönlichen Anliegen wenden können.
Allerdings wird eine Grenze rechtsdienstleistender Tätigkeit immer dann überschritten – welche auch nicht von § 6 Abs. 1 bzw. Abs. 2 S. 1 RDG toleriert wird -, wenn sich die Tätigkeit des Strafgefangenen nicht bloß auf die Wahrnehmung von rechtlicher Hilfe beschränkt, sondern zu einer Vertretung gegenüber Behörden oder Gerichten führt (…) oder ein geschäftsmäßigen bzw. erheblichen bzw. dauerhaften Umfang erreicht oder mit Gegenleistungen verbunden ist (…). Eine Tätigkeit mit Gegenleistung wäre ohnehin schon gar nicht nach § 6 Abs. 1, Abs. 2 RDG zulässig. Auch wäre eine auf Dauer angelegte Rechtsdienstleistung jedenfalls geeignet, Abhängigkeits- und Autoritätsstrukturen entstehen zu lassen, die in ihren Auswirkungen nicht nur dem Vollzugszweck, sondern sogar die Sicherheit und Ordnung in der JVA gefährden können (…). Wenn ein Gefangener eine Vielzahl von Rechtsdienstleistungen an Mitgefangene in kurzer Zeit erbringt, liegt ebenfalls die Vermutung nahe, dass die persönliche Kontaktaufnahme erst anlässlich der Rechtsdienstleistung erfolgte (vgl. OVG Berlin-Brandenburg NJW 2019, 1964).
Landgericht Aachen, 33 a StVK 75/22
Die Entscheidung überzeugt, brücksichtigt (anders als bei der JVA) den konkreten Einzelfall und ist sehr menschlich. Leider aber macht das LG (wie so viele Gerichte in dem Bereich) deutlich, dass man nicht viel Lust auf solche Streitigkeiten hat: Der Streitwert der Sache wurde, wie bei Vollzugssachen im Regelfall, auf 1000 Euro festgesetzt. Wie ein Anwalt für diesen Streitwert, auch noch bei Besprechungsbedarf in der JVA – was mit erhöhtem Aufwand einhergeht – arbeiten soll, bleibt das Geheimnis der Justiz. Jedenfalls wäre das damit einhergehende lächerlich geringe Honorar schon nach einer Besprechung in der JVA „aufgezehrt“.
Von hier aus kann nur vermutet werden, dass man mit solchen unangemessenen Streitwerten, bewusst oder unbewusst, Anwälte von solchen Streitigkeiten fernhalten möchte, sodass Gefangene alleine bleiben mit ihren Problemen. Dabei mag man sich auf der Richterbank vor Augen halten, dass vorliegend mit 2 Wochen Freizeitarrest immerhin 4 % des Jahres betroffen waren. Ob dies bei einem Gefangenen, der außer Sport und Einkauf kaum etwas Lebensqualität hat, mit „1000 Euro Wert“ hinreichend beziffert ist, dürfte man, wenn man selbst betroffen ist, durchaus anders sehen. Dies umso mehr, wenn man sich mit §§60, 52 II GKG den – auch hier geltenden – Regelstreitwert von 5000 Euro vor Augen hält.
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