OVG Hamburg zur Auskunft über Verteidiger im Ermittlungsverfahren

Transparenz trotz Schweigepflicht: Mit Beschluss vom 7. April 2025 (Az. 3 Bs 20/25) hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht (OVG Hamburg) entschieden, dass die Staatsanwaltschaft den Namen und die Kanzleianschrift eines Strafverteidigers auch im Stadium des Ermittlungsverfahrens an die Presse herausgeben muss – zumindest in dem entschiedenen Einzelfall. Die Entscheidung bewegt sich im Spannungsfeld zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Verteidigers und der verfassungsrechtlich geschützten Informationsfreiheit der Presse.

Sachverhalt

Ein Presseunternehmen begehrte im Zusammenhang mit einem laufenden Ermittlungsverfahren Auskunft über den Namen des Verteidigers eines Beschuldigten. Die Staatsanwaltschaft Hamburg lehnte dies unter Verweis auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Verteidigers ab. Die Presse begehrte daraufhin im Eilverfahren Auskunft. Das Verwaltungsgericht gab dem Antrag teilweise statt – das OVG bestätigte diese Entscheidung nun in der Beschwerdeinstanz.

Rechtliche Analyse

1. Kein genereller Vorrang des Verteidigerinteresses

Das OVG betont, dass es keinen grundsätzlichen Vorrang des Persönlichkeitsrechts von Verteidigern im Ermittlungsverfahren gibt. Zwar ist ihr Interesse an Vertraulichkeit im nicht-öffentlichen Ermittlungsstadium durchaus schutzwürdig – dieses Interesse muss aber in jedem Einzelfall gegen das verfassungsrechtlich geschützte Informationsinteresse der Presse abgewogen werden.

Die Besonderheit: Anders als im gerichtlichen Verfahren ist das Ermittlungsverfahren nicht öffentlich (§ 160 Abs. 1 StPO). Gleichwohl bedeutet das nicht, dass sämtliche personenbezogenen Informationen geheim bleiben müssen.

2. Eingriff nur in die Sozialsphäre

Das Gericht qualifiziert die begehrte Information – Name und Kanzleianschrift des Verteidigers – als Eingriff in die Sozialsphäre, nicht in die Privat- oder Intimsphäre. Die Sozialsphäre ist weniger sensibel, da sie das berufliche Wirken im öffentlichen Raum betrifft. Damit ist ein Eingriff hier unter erleichterten Voraussetzungen zulässig.

Besonders betont wird: Es liegt kein stigmatisierender Effekt oder eine Prangerwirkung vor. Der Name eines Verteidigers im Kontext seiner beruflichen Tätigkeit, selbst bei einem Vorwurf schwerer Straftaten, ist keine Information, die automatisch eine übermäßige Belastung darstellt.

3. Bedeutung des Auskunftsanspruchs der Presse

Die Entscheidung stärkt den presserechtlichen Auskunftsanspruch nach § 4 Abs. 1 HmbPresseG. Dieser ist Ausdruck der in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG garantierten Pressefreiheit. Die Presse ist nicht darauf beschränkt, über abgeschlossene Gerichtsverfahren zu berichten. Auch im Vorfeld – im Stadium der Ermittlungen – darf sie Informationen recherchieren, um ihrer Kontroll- und Informationsfunktion nachzukommen.

Ein Behördenverweis auf „Boulevardmedien“ oder die befürchtete „unangenehme Berichterstattung“ genügt dem OVG zufolge nicht, um ein Auskunftsverweigerungsrecht zu begründen. Eine inhaltliche Bewertung journalistischer Motive durch staatliche Stellen ist verfassungsrechtlich unzulässig.

4. Presse darf Kontaktaufnahme vorbereiten

Das Informationsinteresse der Presse erstreckt sich auch darauf, über den Verteidiger Kontakt zu einem Beschuldigten aufzunehmen, etwa zur Einholung einer Stellungnahme. Dies gehört zur verfassungsrechtlich geschützten Recherchetätigkeit. Die behördliche Mitwirkung bei dieser Kontaktanbahnung durch Auskunft über den Verteidigername ist daher geboten – sofern keine überwiegenden Gründe dagegensprechen.

Rechtsanwalt Jens Ferner, TOP-Strafverteidiger und IT-Rechts-Experte - Fachanwalt für Strafrecht und Fachanwalt für IT-Recht

Das Hamburgische OVG stellt klar: Auch im sensiblen Bereich des Ermittlungsverfahrens kann die Presse ein Recht auf Auskunft über den Verteidiger eines Beschuldigten haben. Die Preisgabe des Namens und der Kanzleianschrift greift nur in die berufliche Sozialsphäre ein und ist regelmäßig durch das verfassungsrechtlich verankerte Informationsinteresse gedeckt. Eine pauschale Schutzbehauptung reicht nicht aus – es braucht eine sorgfältige, individualisierte Abwägung. Im Übrigen kann es auch ein Instrument sein, endlich gegen die Meinungshoheit der Staatsanwaltschaften anzugehen.

Resultat

Die Entscheidung ist ein Meilenstein für die journalistische Recherchefreiheit im Vorfeld strafrechtlicher Verfahren. Sie betont, dass rechtsstaatliche Transparenz nicht erst im Gerichtssaal beginnt. Pressefreiheit bedeutet auch, über Verfahren berichten zu dürfen, solange sie laufen – und hierfür Informationen zu erhalten, selbst wenn sie einen Verteidiger betreffen. Damit setzt das OVG Hamburg einen klaren Akzent gegen staatlich übergriffige Informationssperren.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist Spezialist für Strafverteidigung (insbesondere bei Wirtschaftskriminalität wie Geldwäsche, Betrug bis zu Cybercrime) sowie für IT-Recht (Softwarerecht und KI, IT-Vertragsrecht und Compliance) mit zahlreichen Publikationen. Als Fachanwalt für Strafrecht und IT-Recht vertrete ich Mandanten in komplexen Zivil- und Strafverfahren, insbesondere bei streitigen Fragen im Softwarerecht, bei der Abwehr von strafrechtlichen Vorwürfen oder Ansprüchen in der Managerhaftung sowie bei der Einziehung von Vermögenswerten. Mein Fokus liegt auf der Schnittstelle zwischen technischem Verständnis und juristischer Strategie, um Sie in digitalen Fällen und wirtschaftlichen Strafsachen effektiv zu verteidigen und zu beraten.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Anwaltskanzlei ist spezialisiert auf Strafverteidigung, Cybercrime, Wirtschaftsstrafrecht samt Steuerstrafrecht sowie IT-Recht und Managerhaftung. Von Verbrauchern werden allein Strafverteidigungen übernommen - wir sind im Raum Aachen zu finden und bundesweit tätig.
Rechtsanwalt Jens Ferner
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist Spezialist für Strafverteidigung (insbesondere bei Wirtschaftskriminalität wie Geldwäsche, Betrug bis zu Cybercrime) sowie für IT-Recht (Softwarerecht und KI, IT-Vertragsrecht und Compliance) mit zahlreichen Publikationen. Als Fachanwalt für Strafrecht und IT-Recht vertrete ich Mandanten in komplexen Zivil- und Strafverfahren, insbesondere bei streitigen Fragen im Softwarerecht, bei der Abwehr von strafrechtlichen Vorwürfen oder Ansprüchen in der Managerhaftung sowie bei der Einziehung von Vermögenswerten. Mein Fokus liegt auf der Schnittstelle zwischen technischem Verständnis und juristischer Strategie, um Sie in digitalen Fällen und wirtschaftlichen Strafsachen effektiv zu verteidigen und zu beraten.

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