Etwas überraschend hat das LG München I (5 HK O 17659/21) entschieden, dass die Sperrwirkung des § 111h II 1 StPO einer teilweisen Forderungspfändung im Falle eines Vermögensarrests gleichwohl nicht entgegensteht. Dies ist schon deshalb überraschend, weil das OLG München dies ganz anders sieht! Gleichwohl kommt das LG dann zu dem Ergebnis, dass die genannte Sperrwirkung einer Zwangsvollstreckung in Gegenstände, die im Wege der Arrestvollstreckung gepfändet wurden, nicht entgegensteht.
Zu der berechtigten Frage, warum nicht davon ausgegangen werden könne, dass eine Pfändung von Geldforderungen oder sonstigen Vermögensgegenständen von vornherein ausgeschlossen sei, führt das Landgericht aus:
Daher kann gerade nicht davon ausgegangen werden, der Kläger könne aus dem Arrest keinerlei Verbesserung seiner Vermögensposition herleiten. Das Rechtsschutzbedürfnis lässt sich namentlich nicht unter dem Gesichtspunkt der Sperrwirkung des § 111 h Abs. 2 Satz 1 StPO verneinen. Nach dieser Vorschrift sind Zwangsvollstreckungen in Gegenstände, die im Wege der Arrestvollziehung gepfändet worden sind, während der Dauer der Arrestvollziehung nicht zulässig. Zwar wird in der Rechtsprechung zum Teil die Auffassung vertreten, aufgrund der Sperrwirkung des § 111 h Abs. 2 Satz 1 StPO komme eine Pfändung nicht in Betracht (vgl. OLG München, Urteil vom 19.1.2022, Az. 13 U 7646/21), weil nur so dem Normzweck des § 111 h Abs. 2 Satz 1 StPO Rechnung getragen werden könne.
Dieser Auffassung vermag die Kammer jedoch nicht zu folgen. Eine Forderungspfändung in Höhe des Anspruchs hat regelmäßig die Bedeutung einer Teilpfändung. Danach bleibt der den gepfändeten Teil übersteigende Restbetrag pfandfrei; da jede der gepfändeten Forderungen (Konten, Depots etc.) der Pfändungsverstrickung nur in Höhe eines Betrages von € 35 Mio. unterliegt, kann auf den jeweils darüberhinausgehenden Betrag – soweit vorhanden – vom Kläger noch zugegriffen werden (vgl. OLG München WM 2021, 2432, 2433 = NZI 2021, 1035, 1036; OLG München, Beschluss vom 5.10.2021, Az: 3 W 1414/21 – zit. nach juris; Haidn WuB 2022, 92 f.; Köllner NZI 2021, 1036; Mayer in: BeckOK ZPO, 44. Edition Stand 1.3.2022, § 916 Rn. 17; Bittmann in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl., § 111 h Rn. 2). Diese Auffassung steht gerade nicht in Widerspruch zum Normzweck des § 111 h Abs. 2 Satz 1 StPO. Diese Regelung soll nach dem Willen des Gesetzgebers durch die Abschaffung des Prioritätsgrundsatzes verhindern, dass sich Geschädigte ein „Windhundrennen“ um den ersten Zugriff auf das Tätervermögen liefern und die Gleichbehandlung der Tatgeschädigten gewährleisten. Auch soll verhindert werden, dass durch Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen zwischen der Arrestvollziehung und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Absonderungsrechte einzelner Gläubiger entstehen, die die Vermögensmasse zu Lasten der Verletzten schmälern würde (vgl. BT-Drucks. 18/9525 S. 1 und 78 Spillecke in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl., § 111 h Rn. 3).
In der hier gegebenen Konstellation der eingeschränkten Pfändbarkeit bleibt aber der Wille des Gesetzgebers beachtet – solange der Vermögensarrest Bestand hat, kann der Kläger auf die gepfändeten Vermögenswerte im Umfang der Vollziehung des Vermögensarrests keinen Zugriff nehmen. Allerdings ist nicht erkennbar, warum auf einen überschießenden Teil oder im Falle der Aufhebung des Vermögensarrests im weiteren Verlauf des Strafverfahrens durch die dafür zuständigen Organe die Pfändung dann keine Bedeutung erlangen könnte. Ein so weitgehender Ausschluss wird dem Willen des Gesetzgebers nicht gerecht. Hierfür spricht insbesondere auch die Erwägung, dass der Kläger als Gläubiger nicht beweisen bzw. glaubhaft machen muss, dass die zu pfändende Forderung tatsächlich besteht.
Es wird nämlich nur geprüft, ob das Vorbringen des Gläubigers die Forderung als Gegenstand der Zwangsvollstreckung im Schuldnervermögen pfändbar ausweist. Dafür genügt, dass dem Schuldner die Forderung aus irgendeinem vertretbaren Rechtsgrund zustehen kann (vgl. BGH WM 2003, 1875, 1876 = MDR 2003, 1378 = ZVI 2003, 458, 459 = NJW-RR 2003, 1650; OLG München WM 2021, 2432, 2433 = NZI 2021, 1035; Smid in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl., § 829 Rn. 23). Davon muss bei den Vermögensgegenständen der Beklagten zu 1) ausgegangen werden, ohne dass es für die Wirksamkeit der Pfändung auf das tatsächliche Bestehen einer weitergehenden Forderung insbesondere auch gegen die als Drittschuldner bezeichneten Kreditinstitute ankommen kann.
LG München I, 5 HK O 17659/21
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