Das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) wurde geschaffen, um Teilnehmer von Fernunterricht zu schützen. Ziel ist es, Verbraucher vor unzureichender Qualität und unklaren Vertragsbedingungen zu bewahren. Es definiert Fernunterricht als die entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, bei der Lehrende und Lernende räumlich getrennt sind und der Lernerfolg überwacht wird (§ 1 Abs. 1 FernUSG). Die Anbieter solcher Fernlehrgänge benötigen eine behördliche Zulassung (§ 12 FernUSG), und Verträge ohne diese Zulassung sind nichtig (§ 7 Abs. 1 FernUSG).
Mit der Zunahme von Online-Coaching-Programmen, die oftmals Elemente wie Videos, Live-Calls, Gruppencoachings und Lernplattformen kombinieren, ist die Frage aufgekommen, ob solche Angebote unter das FernUSG fallen. Diese Frage hat eine Vielzahl an Rechtsstreitigkeiten ausgelöst, da sich die Anbieter von Online-Coachings häufig dagegen wehren, als Anbieter von Fernunterricht eingestuft zu werden.
FernUSG und Online-Coaching: Die zentrale Streitfrage
Der Kern der Problematik liegt in der Abgrenzung zwischen Online-Coaching und Fernunterricht. Die Gerichte müssen entscheiden, ob die Bedingungen des FernUSG erfüllt sind. Hierbei treten regelmäßig folgende Streitpunkte auf:
- Räumliche Trennung: Das FernUSG verlangt eine räumliche Trennung von Lehrenden und Lernenden. Die Anbieter argumentieren oft, dass Live-Calls oder interaktive Elemente wie Zoom-Meetings keine räumliche Trennung im Sinne des Gesetzes darstellen, da die Kommunikation in Echtzeit erfolgt. Einige Gerichte sehen jedoch die Nutzung digitaler Medien als räumlich getrennt an, auch wenn sie synchron stattfinden.
- Überwachung des Lernerfolgs: Die Überwachung des Lernerfolgs wird weit interpretiert. Sie ist bereits gegeben, wenn der Lernende Feedback oder individuelle Rückmeldungen erhält. Anbieter von Online-Coachings betonen häufig, dass es sich bei ihren Angeboten um Selbstlernmaterialien oder beratende Dienstleistungen handelt, ohne systematische Lernerfolgskontrollen wie Prüfungen oder Tests. Manche Gerichte sehen jedoch auch in regelmäßigen Gruppengesprächen und Fragerunden eine implizite Lernerfolgskontrolle.
- Schwerpunkt der Leistung: Viele Anbieter argumentieren, dass ihre Leistungen kein Unterricht, sondern individuelle Unternehmensberatung, Mentoring oder Persönlichkeitsentwicklung seien. Hier wird häufig betont, dass solche Leistungen nicht die klassischen Bildungsziele eines Fernlehrgangs verfolgen und oft nicht strukturiert genug seien, um unter das FernUSG zu fallen. Gerichte müssen daher prüfen, ob die Kernleistung des Programms tatsächlich Bildungscharakter hat oder primär eine beratende Funktion erfüllt.
- Anwendung des FernUSG auf Unternehmer: Das FernUSG zielt primär auf den Verbraucherschutz ab. Eine weitere Streitfrage ist daher, ob es auch bei Verträgen zwischen Unternehmern anwendbar ist. Der Gesetzestext macht hierzu keine eindeutigen Vorgaben. Anbieter von Online-Coachings, die sich an Unternehmer richten, argumentieren, dass das Gesetz in solchen Fällen nicht greift. Einige Gerichte halten jedoch entgegen, dass der Schutz vor unseriösen Angeboten unabhängig vom Verbraucherstatus gelten soll.
Der Grund für die Vielzahl an Streitfällen
Die bisher existierenden, häufig widersprüchlichen, Gerichtsentscheidungen lassen sich auf die ungenügende Anpassung des FernUSG an die digitale Welt zurückführen. Das Gesetz wurde 1977 verabschiedet, lange bevor digitale Lernangebote existierten. Begriffe wie „räumliche Trennung“ oder „Lernerfolgskontrolle“ werden heute unterschiedlich interpretiert, weil der Gesetzgeber keine konkreten Vorgaben für digitale Formate gemacht hat.
Zudem bewegen sich viele Anbieter von Online-Coachings in einer rechtlichen Grauzone. Einerseits nutzen sie Methoden, die durchaus Merkmale des Fernunterrichts aufweisen, andererseits versuchen sie, durch Begrifflichkeiten wie „Mentoring“, „Beratung“ oder „Coaching“ die Anwendung des FernUSG zu umgehen. Dies führt zu einem Spannungsverhältnis zwischen Verbraucherschutz und unternehmerischer Freiheit, das die Gerichte auflösen müssen.
Rechtsprechung zur Anwendung des Fernunterrichtsschutzgesetzes (FernUSG) auf Online-Coaching
Die Rechtsprechung zur Anwendung des FernUSG auf Online-Coaching-Angebote zeichnet sich durch eine Vielzahl von Entscheidungen aus, die sich teils widersprechen. Nachfolgend wird die bisherige Rechtsprechung strukturiert dargestellt, wobei Urteile von Oberlandesgerichten aufgrund ihrer höheren Bedeutung im Rechtssystem hervorgehoben werden. Die wichtigsten Erkenntnisse sind wohl:
- Räumliche Trennung: Während einige Gerichte (z. B. LG Hamburg) die räumliche Trennung bei Online-Programmen bejahen, lehnen andere (z. B. LG München) dies ab, wenn es sich um synchrone Live-Kommunikation handelt.
- Lernkontrolle: Die Anforderungen an die Lernkontrolle variieren. Manche Gerichte (z. B. OLG Köln) sehen bereits in Fragerunden und Gruppengesprächen eine Kontrolle, während andere (z. B. OLG Schleswig) dies verneinen, wenn keine systematische Prüfung erfolgt.
- Unternehmer als Schutzobjekt: Die Frage, ob das FernUSG auch auf Unternehmer anwendbar ist, bleibt umstritten. Das OLG Celle bejahte dies mit Verweis auf den Wortlaut des Gesetzes, während andere Gerichte wie das LG München eine Anwendbarkeit auf Unternehmer ablehnen, da das Gesetz primär dem Verbraucherschutz dient.
- Beratungs- vs. Unterrichtscharakter: Viele Anbieter argumentieren, dass ihre Leistungen beratend und nicht lehrend seien. Gerichte prüfen daher den Schwerpunkt der Leistung, wobei eine strukturierte Wissensvermittlung eher für die Anwendbarkeit des FernUSG spricht.
OLG Köln, Urteil vom 06.12.2023 – 2 U 24/23
Das OLG Köln stellte fest, dass Online-Coachings unter bestimmten Voraussetzungen dem FernUSG unterfallen können, insbesondere wenn die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten überwiegend räumlich getrennt erfolgt und eine Überwachung des Lernerfolgs gegeben ist. Im konkreten Fall argumentierte die Klägerin, dass es sich bei ihrem Coaching-Programm um eine individuelle Beratung gehandelt habe. Das Gericht hielt jedoch entgegen, dass das Programm, welches auf vorgefertigten Modulen und Lernmaterialien basierte, klar den Charakter eines Fernunterrichts aufwies. Eine Lernkontrolle war durch Gruppencoachings und Rückfragen gegeben.
OLG Schleswig, Urteil vom 05.07.2024 – 19 U 65/24
Das OLG Schleswig entschied, dass Mentoring-Programme mit einem starken Fokus auf persönliches Wachstum und individuelle Beratung nicht zwangsläufig unter das FernUSG fallen. Entscheidend war, dass es an einer systematischen Kontrolle des Lernerfolgs fehlte. Die Einordnung von Programmen als Fernunterricht wurde hier aufgrund der fehlenden Methodik und Struktur verneint.
OLG Celle, Urteil vom 01.03.2023 – 3 U 85/22
Das OLG Celle nahm eine weite Auslegung des FernUSG vor und stellte fest, dass der Gesetzeswortlaut keinen Unterschied zwischen Verbrauchern und Unternehmern macht. Es wurde klargestellt, dass auch Unternehmer von der Anwendung des FernUSG erfasst sein können, wenn die Lerninhalte überwiegend über digitale Medien vermittelt werden und eine Erfolgskontrolle besteht. Das Gericht betonte die Schutzfunktion des FernUSG, die nicht allein auf Verbraucher beschränkt sei.
LG Hamburg, Urteil vom 19.07.2023 – 304 O 277/22
Das LG Hamburg bejahte die Anwendbarkeit des FernUSG auf ein Coaching-Programm, das überwiegend aus vorgefertigten Lernvideos bestand. Wesentliche Begründung war, dass der Anbieter keine behördliche Zulassung nach § 12 FernUSG vorweisen konnte und die Struktur des Programms typische Merkmale eines Fernunterrichts aufwies.
LG München I, Urteil vom 12.02.2024 – 29 O 12157/23
Das LG München entschied, dass Online-Coachings, die auf synchroner Kommunikation (z. B. Live-Calls) basieren, nicht unter das FernUSG fallen, da es an der räumlichen Trennung im Sinne des Gesetzes fehlt. Zudem stellte das Gericht klar, dass eine reine Möglichkeit zur Rücksprache keine hinreichende Lernkontrolle darstellt.
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 18.12.2023 – 13 O 2839/2
Hier wurde ein Vertrag über ein Online-Coaching-Programm aufgrund fehlender Zulassung nach dem FernUSG für nichtig erklärt. Das Gericht sah eine klare räumliche Trennung sowie eine systematische Überwachung des Lernerfolgs gegeben, insbesondere durch regelmäßige Kontrollgespräche und Feedbackmechanismen.
Ich glaube, der größte Fehler ist es in diesem Themenkomplex zu pauschal zu agieren! Es kommt am Ende auf den Einzelfall, also die Gestaltung des Angebots in seiner gelebten Form an. Blind die eine Entscheidung auf einen anderen Sachverhalt zu übertragen ist schon der erste Fehler.
Coaching und FernUSG: Ausblick
Die gesamte Thematik zeigt, dass das FernUSG in seiner jetzigen Form nicht mehr den Anforderungen der digitalen Bildung gerecht wird. Die Vielzahl an Streitfällen verdeutlicht, dass klare gesetzliche Regelungen oder eine Anpassung des FernUSG an die digitale Realität notwendig sind. Bis dahin bleibt die Anwendung des Gesetzes eine Einzelfallentscheidung, die stark von den konkreten Vertragsbedingungen und der Interpretation durch die Gerichte abhängt.
Die Rechtsprechung macht insoweit deutlich, dass die Anwendung des FernUSG auf Online-Coachings eine Einzelfallentscheidung bleibt, die von der Ausgestaltung des jeweiligen Programms abhängt. Während Oberlandesgerichte tendenziell zu einer weiten Auslegung des FernUSG neigen, zeigen Landgerichte eine differenzierte Betrachtung, insbesondere bei der Frage der räumlichen Trennung und der Lernkontrolle. Es wird immer offensichtlicher, dass eine Anpassung des FernUSG an die digitalen Realitäten notwendig ist, um Rechtssicherheit für Anbieter und Teilnehmer solcher Programme zu schaffen.
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