Der Bundesgerichtshof (2 StR 418/19) konnte sich sehr klar und zusammenfassend zu der Frage äuÃern, wann bei einer Sorgfaltspflichtverletzung im Rahmen der Aufgabenverteilung bzw. -delegation eine Straftat fahrlässig begangen wurde.
Hintergrund des Falles sind die tragischen Ereignisse in Köln im Jahr 2009, als es auf einer GroÃbaustelle zu Todesfällen kam: Zunächst sackte der Bürgersteig in der Nähe der Baugrube ab, dann bildeten sich Risse in den Gebäuden und Fassadenteile des Historischen Stadtarchivs stürzten herab. SchlieÃlich stürzten dieses und zwei benachbarte Gebäude ein. Zwei Personen, die sich in einem der Gebäude aufgehalten hatten, wurden unter den Trümmern begraben und konnten nur noch tot geborgen werden.
Grundsätzliches
Nach anerkannten Rechtsgrundsätzen hat derjenige, der Gefahrenquellen – wie eine Baustelle – schafft oder unterhält, diejenigen Vorkehrungen zum Schutz anderer zu treffen, die nach den Umständen des Falles aus der Sicht eines umsichtig Handelnden erforderlich sind. Dabei kann sich der Umfang der Pflichten aus der Garantenstellung durch deren Delegation – insbesondere bei arbeitsteiligem Handeln – erheblich verändern. Eine Aufgabenteilung oder -übertragung führt grundsätzlich nicht dazu, dass der ursprünglich Verantwortliche von seinen Pflichten gänzlich entbunden wird.
Bei der Bestimmung der die Beteiligten treffenden Pflichten ist bei arbeitsteiligem Handeln zu unterscheiden zwischen einer horizontalen Aufgabenverteilung durch Bildung verschiedener Zuständigkeitsbereiche und einer vertikalen Aufgabenverteilung durch Bildung von Hierarchien im Wege fachlicher Ãber- und Unterordnung – auf einer Baustelle etwa in Form der Delegation der eigentlichen Bauausführung vom Bauleiter auf den Polier sowie die eigentlichen Bauhandwerker. Beiden Formen der Arbeitsteilung ist – so der BGH – gemeinsam, dass jedenfalls dann, wenn sich Zweifel an der Zuverlässigkeit eines Beteiligten ergeben, eine Pflicht zur näheren Ãberwachung und gegebenenfalls zum Eingreifen besteht.
Horizontale Arbeitsteilung
Bei horizontaler Arbeitsteilung darf grundsätzlich auf die Zuverlässigkeit der anderen Beteiligten vertraut werden. Ãberwachungspflichten der Beteiligten untereinander bestehen nicht, weil sie dem Sinn der Arbeitsteilung im gleichberechtigten Zusammenwirken widersprechen. Dieses Vertrauen in die Zuverlässigkeit eines Dritten setzt allerdings mit dem BGH ein eigenes sorgfältiges Verhalten voraus, das jedenfalls dann nicht vorliegt, wenn einem Beteiligten für das arbeitsteilige Handeln entscheidende Informationen vorenthalten werden.
Bei arbeitsteiligem Handeln auf horizontaler Ebene – jedenfalls bei komplexen oder besonders risikobehafteten Vorhaben – besteht darüber hinaus eine Pflicht zur gegenseitigen Abstimmung und Information; dies gilt insbesondere dann, wenn sich gerade aus dem arbeitsteiligen Handeln selbst Gefahren ergeben können. Findet eine gegenseitige Information oder Abstimmung nicht von vornherein statt, sind alle Beteiligten verpflichtet, sich im Rahmen des Zumutbaren von der Qualität der Vorleistungen eines Mitwirkenden zu überzeugen, die für die gefahrlose Ausführung der eigenen Werkleistung – jedenfalls bei erkennbaren Mängeln – von Bedeutung sind.
Vertikale Arbeitsteilung
Bei vertikaler Arbeitsteilung bestehen neben der Pflicht zur sorgfältigen Auswahl und Instruktion zur Erfüllung der übertragenen Aufgabe allgemeine – jedenfalls stichprobenartige – Kontrollpflichten. Der Umfang derartiger Kontrollpflichten bei vertikaler Arbeitsteilung wird im Einzelfall auch davon abhängen, inwieweit dem Beauftragten bei der Ausführung seiner Tätigkeit Eigenverantwortung zukommt.
Unabhängig von der Frage, ob speziell ein Angestellter oder Arbeiter eines Unternehmens selbst haftbar gemacht werden kann, gilt: Je geringer der Handlungsspielraum desjenigen ist, dem eine Aufgabe übertragen worden ist, desto mehr Pflichten – und damit auch Verantwortung für das gefährdete Rechtsgut – verbleiben beim Delegierenden.
Vorsicht bei Aufgabenverteilung
Die Entscheidung wurde nicht rechtskräftig und ist erneut zu verhandeln – sie macht deutlich, wie dezidiert man einerseits die konkreten Pflichten (nicht nur auf dem Papier, sondern auch „gelebt“) nacharbeiten muss, was dem Landgericht ins Stammbuch geschrieben wurde. Andererseits macht der BGH am Ende deutlich, dass die frühere „Wuppertaler Schwebebahn“-Entscheidung auf keinen Fall so zu verstehen ist, dass der im Grundsatz bestehende Vertrauensgrundsatz auf GroÃbaustellen Einschränkung zu verstehen ist – teilweise wurde dies in der Literatur inzwischen vertreten. Vielmehr macht der BGH an dieser Stelle nochmals deutlich, wie stark im Detail die konkreten Aufgaben(-delegationen) und auch Aufgabenbereiche herausgearbeitet werden müssen. Hier bietet sich viel Verteidigungsarbeit und Aufklärungspflicht für Gerichte.
- Rechtliche Fragen beim Recycling von Batterien - 24. September 2023
- Beratung im IT-Recht - 24. September 2023
- Schätzung hinterzogener Steuern bei Steuerhinterziehung - 23. September 2023