In seinem Nichtannahmebeschluss vom 18. Dezember 2024 (Az. 1 BvR 2116/24) äußert sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bemerkenswert deutlich zur verfassungsrechtlichen Problematik überlanger Bearbeitungszeiten bei Beschwerden gegen strafprozessuale Vermögensarreste (§ 111e StPO). Auch wenn die Verfassungsbeschwerde letztlich als unzulässig verworfen wurde, enthält die Entscheidung wesentliche verfassungsrechtliche Hinweise: Die faktische oder bewusste Verzögerung einer Entscheidung durch das Beschwerdegericht kann gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen – also den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz.
Sachverhalt
Gegen den Beschwerdeführer wurde wegen bandenmäßiger Marktmanipulation und Betrugs in Millionenhöhe ermittelt. Bereits im August 2021 erging ein Vermögensarrest in Höhe von über zwei Millionen Euro, später auf über sieben Millionen Euro erhöht. Nach einer Verurteilung im Mai 2024 setzte das Landgericht den Arrestbetrag auf knapp 12,6 Mio. € herauf. Die Beschwerde gegen diesen Beschluss blieb jedoch monatelang unbeantwortet, da das Oberlandesgericht mit seiner Entscheidung bis zur schriftlichen Abfassung der landgerichtlichen Urteilsgründe wartete – eine Begründung des Arrestes lag nicht vor.
Diese Verzögerung wurde vom Beschwerdeführer als Verletzung seines Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz gerügt.
Rechtliche Analyse
1. Art. 19 Abs. 4 GG: Anspruch auf effektive gerichtliche Kontrolle
Das BVerfG betont die Schutzrichtung des Art. 19 Abs. 4 GG: Der Zugang zu einer gerichtlichen Entscheidung darf nicht nur formal bestehen, sondern muss auch wirksam sein. Eine gerichtliche Kontrolle, die faktisch ausgesetzt oder über Monate aufgeschoben wird, stellt regelmäßig eine unzumutbare Erschwerung dar – insbesondere bei gravierenden Eingriffen wie Vermögensarrestationen.
2. Kein Warten auf Urteilsgründe ohne gesetzliche Grundlage
Die Karlsruher Richter kritisieren, dass das Oberlandesgericht seine Entscheidung über die Beschwerde vom Inhalt der noch ausstehenden Urteilsgründe abhängig machte. Im strafprozessualen Fachrecht finde sich jedoch keine Grundlage, um die Entscheidung über einen gesondert angreifbaren Arrestbeschluss (§ 304 StPO) bis zum Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist (§ 275 Abs. 1 S. 2 StPO) hinauszuzögern. Vielmehr sei ein Arrestbeschluss eigenständig zu begründen – insbesondere, wenn dieser selbstständig mit der Beschwerde angegriffen wird.
Diese Systemtrennung zwischen Urteil und Arrest begründet sich in der unterschiedlichen Funktion: Während das Urteil die materielle Schuldfrage und die Einziehung abschließend klärt, dient der Arrest rein der vorläufigen Sicherung.
3. Verfahrensökonomie kein verfassungsrechtlicher Rechtfertigungsgrund
Besonders deutlich weist das Gericht darauf hin, dass vermeintlich „verfahrensökonomische“ Erwägungen, wie das Warten auf bereits in Kürze erwartete Urteilsgründe, keine Rechtfertigung für die Verzögerung der Entscheidung über die Beschwerde darstellen. Der Betroffene habe Anspruch auf eine zeitnahe, eigenständige Entscheidung. Eine „Schonfrist“ zur Abklärung sei mit der Verfassung nicht vereinbar.
Die Nichtannahmeentscheidung des BVerfG wirkt wie eine Mahnung: Richterliche Zurückhaltung beim effektiven Rechtsschutz kann verfassungswidrig sein – auch wenn sie auf gute Absichten gestützt wird. Selbst bei komplexen Verfahren gilt: Wer eingreift, muss begründen. Und zwar zügig.
Fazit
Auch wenn die Verfassungsbeschwerde in formeller Hinsicht abgewiesen wurde, ist die Entscheidung in der Sache von großer Relevanz. Das BVerfG erinnert Gerichte daran, dass vermögensrechtliche Sicherungsmaßnahmen keine faktischen Dauermaßnahmen sein dürfen. Die Grundrechte des Beschuldigten – insbesondere auf effektiven Rechtsschutz – bleiben auch im Gefolge schwerer wirtschaftsstrafrechtlicher Vorwürfe uneingeschränkt zu beachten.
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