Die Mittäterschaft: Ein kurzer Einstieg – auch Tatherrschaftslehre vs. subjektive Theorie (dogmatisch)

Jedenfalls bis zur großen Übung ist die Mittäterschaft ein gerne genutztes Problem – bei Prüfern ebenso beliebt wie bei den Prüflingen unbeliebt. Dabei ist es nicht nur ein besonders praxisnahes Problem, sondern macht die Fälle erst interessant. Ich versuche hier Studenten eine kurze Einleitung zu geben und erste Ängste zu nehmen.

Dazu auch von mir: Grundsätzliches zur Annahme von Mittäterschaft durch den BGH und Annahme von Mittäterschaft bei teilweiser Verwirklichung von Tatbestandsmerkmalen

Einführung in die Täterschaft

Es ist eher selten, dass Verbrechen von einem Täter alleine begangen werden: Irgendjemand hat immer noch einen hilfreichen Tipp zur Tatausführung, begleitet den Täter wenigstens mental oder beteiligt sich sogar in der Tatausführung. Man muss nicht nur an jugendliche Gruppen denken, auch organisierte Taten werden im Regelfall gemeinschaftlich geplant und ausgeführt. Die Mittäterschaft ist daher kein kompliziertes Konstrukt, sondern ein Hilfsmittel um die Realität in den Griff zu bekommen.

Beispiel 1: Wenn zwei Gauner einen Passanten überfallen und der eine die Brieftasche an sich nimmt, während der andere auf den P einschlägt, wäre es weltfremd, den einen wegen und den anderen wegen Diebstahls zu bestrafen. Das System der Mittäterschaft hilft, hier zum zu kommen – für beide.

Für den Studenten ergibt sich damit allem voran ein Aufbauproblem: Wie prüft man das? Ich selbst hatte ganz am Anfang -aufgrund schlechter Literatur- nie begriffen wie man das aufbauen soll. Dabei ist es gar nicht so schwierig; es gilt zwei Fälle zu unterscheiden:

  1. Es gibt (mindestens) einen Täter, der alle Tatbestandsmerkmale verwirklicht hat,
  2. keiner der Täter hat alle TB-Merkmale alleine verwirklicht

Im Fall (1) prüft man zuerst den entsprechenden Täter durch. Das läuft dann wie gewohnt (Obj. TB, Subj. TB, RW, Schuld). Danach folgen die anderen (möglichen) Täter in Mittäterschaft mit dem noch zu zeigenden Aufbau für Mittäter.
Im Fall (2) werden die Mittäter direkt gemeinsam geprüft.

Anmerkung zur Gliederung der Arbeit: Die meisten gliedern im Regelfall ihre Arbeiten nach Personen: Strafbarkeit des A, des B usw. Sobald die Mittäterschaft auftaucht, wird das System aber aufgebrochen: Jetzt werden ja plötzlich mehrere Gemeinsam geprüft. Das ist nicht tragisch und ein Nebeneffekt. Man schiebt dann in die Gliederung einen Abschnitt „Strafbarkeit der A und B“ ein.

Bei der Mittäterschaft müssen zwei Punkte vorliegen: Ein gemeinsamer Tatentschluss und eine gemeinsame Tatausführung. Bei Mittätern wird dabei der Tatentschluss als erstes geprüft – da es sich hierbei um eine subjektive Komponente handelt, prüft man also den subjektiven Tatbestand vor dem objektiven.
Im objektiven läuft es dann so ab, dass mittels §25 II StGB die Teile des objektiven Tatbestandes, die der eine nicht umgesetzt hat, der andere aber wohl, gegenseitig zugerechnet werden. Im Beispiel 1 muss der eine Gauner sich also die ausgeteilte prügel so zurechnen lassen, als hätte er sie selbst verübt – gleiches dann umgekehrt bei der Wegnahme.

Hier zeigt sich, warum der subjektive Tatbestand zuerst geprüft wird: Die Basis für die gegenseitige Zurechnung der objektiven Tatbestandsmerkmale ist der gemeinsame Tatentschluss. Man muss sich vor Augen halten, was hier geschieht: Man tut quasi so, als würde jemand etwas tun, was er aber nicht getan hat. Diese Fiktion bedarf einer Rechtfertigung – und das ist nunmal der Tatentschluss.

Im Rahmen des Tatentschlusses ist es nicht nötig, dass man sich bis zum Beginn der Ausführung geeignigt hat: Bis zur Beendigung der Tat ist es möglich, als Mittäter hinzuzutreten. Es müssen aber immer alle subjektiven TB-Merkmale bei allen Mittätern vorliegen; Streit gibt es also dann, wenn es einen gemeinsamen Plan gibt, von dem dann aber abgewichen wird:

Beispiel 2: A,B,C wollen eine Tankstelle „machen“. C wartet draussen mit dem laufenden Wagen, A und B stürmen rein. Wie abgesprochen, hat B eine Schusswaffe dabei, entgegen der ausdrücklichen Absprache ist die aber nicht mit Platzpatronen sondern mit scharfer Munition geladen. Ebenfalls entgegen der ausdrücklichen Absprache droht B nicht nur damit, sondern schiesst aus einer Laune heraus auf den Angestellten, der daraufhin verstirbt.

Das ist ein typisches Beispiel für das Fehlgehen der Tat im Bereich der Mittäterschaft. Im Beispiel 2 ist von einem „Mittäterexzeß“ die Rede, der prinzipiell den anderen nicht zugerechnet wird. Der Exzeß kann aber von den anderen bis zur Beeindigung der Tat noch gebilligt werden – sogar konkludent. In der Klausur stellt sich also die Frage, wenn die drei nun wie bisher geplant, sich gemeinsam davon machen und nach einem ersten streiten dennoch die Beute verteilen, ob das nicht doch zuzurechnen ist.

Später hinzu kommende Mittäter

Interessant ist natürlich auch die Frage, ob ein später hinzugetretener Mittäter sich auch die vorher stattgefundenen Handlungen zurechnen lassen muss, oder ob nur das zugerechnet wird, was ab seinem Zutreten geschieht. Dazu drei Meinungen in Kürze:

  1. Er muss sich alles zurechnen lassen, sofern er davn Kenntnis hatte (Tröndle)
  2. Wie (1), aber die Vortaten müssen in ihren Folgen „weiterwirken“ und die Tatausführung erleichtern
  3. Keine Zurechnung (Lackner-Kühl)

Es ist Zeit für ein Mittäter-Schema, das den Prüfungsaufbau verdeutlicht:

  1. Tatbestand

    1. Subjektiver Tatbestand

      1. Gemeinsamer Tatentschluss (Tatplan)
      2. Vorsatz hinsichtlich aller verwirklichten objektiven TB-Merkmale (inzidente Prüfung der objektiven TB-Merkmale, wie beim Versuch), auch derjenigen, die von anderen Mittätern umgesetzt wurden
    2. Objektiver Tatbestand
      Liegt ein arbeitsteiliges Vorgehen vor?
  2. Rechtswidrigkeit
  3. Schuld

Hinweis: Beim gemeinsamen Tatentschluss ist die Verteilung der „Beute“ ein wichtiges Kriterium. Speziell, wenn jemand alleine an der Planung beteiligt ist: Sollte er einen Anteil der Beute erhalten, spricht dies für einen gemeinsamen Tatentschluss, somit Mittäterschaft. Wenn er zwar hilft, aber keinen Anteil der Beute sondern ein festes Entgelt erhält (also quasi eine Dienstleistung erbringt), ist an eine Gehilfenstellung (also ) zu denken.

BGH zur Mittäterschaft

Der BGH fasst seine Rechtsprechung zur Mittäterschaft so zusammen:

Die Feststellung, ob ein Angeklagter vorsätzlich gehandelt hat, ist Tatfrage und obliegt allein dem Tatrichter (vgl. BGH, Urteile vom 3. Dezember 2015 – 4 StR 367/15, NStZ 2016, 668, 669 f.; vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, NStZ 2013, 581, 583; vom 13. Dezember 2005 – 1 StR 410/05, NJW 2006, 386 f.; LK-StGB/Vogel, 12. Aufl., § 15 Rn. 63). Diese Prüfung hat stets einzelfallbezogen zu erfolgen und lässt eine generalisierende Betrachtung – etwa in Gestalt von Rechts- oder Erfahrungssätzen, denen zufolge bei einem bestimmten Personenkreis oder einer bestimmten Vorgehensweise grundsätzlich eine vorsätzliche Tatbegehung zu bejahen oder zu verneinen sei – nicht zu (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2015 – 4 StR 367/15, aaO, 669 f.; Beschlüsse vom 7. März 2006 – 4 StR 25/06, NStZ 2006, 446; vom 14. Januar 2003 – 4 StR 526/02, NStZ 2003, 369, 370; LK-StGB/Vogel, aaO, § 15 Rn. 67; vgl. auch zur geringen Bedeutung allgemeiner statistischer Aussagen im Rahmen von Prognoseentscheidungen BGH, Beschlüsse vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15, StV 2016, 720, 722; vom 30. März 2010 – 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203, 204). Dies gilt auch für den im angefochtenen Urteil und seitens der Revisionen in Bezug genommenen Personenkreis der „Raser“ bzw. „die Angehörigen der Raserszene“; auch dieser Personenkreis ist im Hinblick auf die Frage des Vorliegens oder auch des Fehlens eines (Tötungs-)Vorsatzes einer kategorialen Zuordnung über den Einzelfall hinaus nicht zugänglich. – BGH, 4 StR 399/17

Meinungsstreit Tatherrschaftslehre vs. subjektive Theorie

Zum Abschluss noch eine Exkursion in etwas anspruchsvollere Gebiete: Es folgt der Bandenchef.

Beispiel 3: Der Chef der Bande X, im weiteren bestehend aus A,B,C, entwickelt einen Tatplan um eine Bank auszurauben. Den Plan entwickelt er alleine bis ins Detail, übergibt und bespricht ihn mit der Bande X. Die drei ziehen daraufhin los und arbeiten selbstständig aufgrund des Planes, was auch von Erfolg gekrönt ist. Der Bandenchef sebst war nie vor Ort, hat nichts kontrolliert oder selbst getan – er hat alleine den Plan entwickelt. Ist er nun Mittäter – oder „nur“ Anstifter?

Die Frage ist alt und gerne in Prüfungen zu finden, natürlich in abgewandelter und anspruchsvollerer Form. Dahinter steht das Problem eines Meinungsstreits.
Da gibt es die subjektive Theorie der Rechtsprechung, die alleine auf den Willen des Jeweiligen abstellte: Wer mit Täterwillen (animus auctoris) handelt, der ist Täter, wer mit dem Willen des „nur Helfenden“ handelt (animus socii), der ist auch nur Gehilfe.
Daneben steht die Theorie der Tatherrschaft: Da wo funktionale Tatherrschaft in der Tatausführung liegt bzw. gesehen werden kann, da ist man Täter. In unserem Beispiel 2 z.B. gilt das sogar für den Fahrer des Wagens – er könnte ja jederzeit fahren ;)

Die Rechtsprechung kommt nun im Beispiel 3 problemlos zu einer Mittäterschaft, die Lehre von der Tatherrschaft aber hat ein Problem. Das zu lösen ist umstritten.

Roxin z.B. löst es gar nicht: Der Chef ist bei ihm Anstifter, außer er hat doch Tatherrschaft, etwa wenn er mittels Handy Einfluss auf die Akteure vor Ort nimmt.

Die wirkliche Lösung des Problems läuft aber etwas eleganter: Der Chef ist Mittäter, auch wenn er nicht vor Ort war. Denn es ist nicht nötig, dass bei der gemeinsamen Ausführung jeder Mittäter (zumindest) ein objektives TB-Merkmal erfüllt. Es dominiert ganz klar die subjektive Seite – und gerade hier ist der Chef ja dominant. Sein „plus“ in der Planung und Vorbereitung gleich daher das „minus“ in der Ausführung problemlos aus. Somit kommt auch die Tatherrschaftslehre -abgesehen von Roxin- zum Ergebnis der Rechtsprechung.

Wer das Thema in Kürze aufarbeiten möchte, dem sei dringend der Aufsatz von Rengier in der JuS 4/2010 ab Seite 281ff. empfohlen: In kurzer Zeit wird hier das Wesentliche nochmals aufbereitet.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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