BGH zur Strafbarkeit des Stealthing

Nunmehr konnte sich auch der (3 StR 372/22) zum, gegen den erkennbaren Willen des Sexualpartners, heimlich ohne Kondom durchgeführten Geschlechtsverkehr (sogenanntes „“) äußern. Der BGH fasst seine bisherige Rechtsprechung dabei so zusammen, dass es für die Frage, ob eine sexuelle Handlung dem maßgeblichen Willen zuwiderläuft, auf die konkret vorgenommene Handlung ankommt. Wenn diesbezüglich ersichtlich ist, dass die betroffene Person sie ablehnt, ist grundsätzlich nicht entscheidend, ob ein Einverständnis mit anderen sexuellen Handlungen besteht.

Insoweit stellen für den BGH Geschlechtsverkehr unter Nutzung eines Kondoms einerseits und ohne ein solches andererseits unterschiedliche sexuelle Handlungen dar:

Der Gebrauch eines Präservativs betrifft die Art und Weise des Sexualvollzugs und führt zu einer anderen qualitativen Bewertung (vgl. Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 19. März 2021 – 2 OLG 4 Ss 13/21, NStZ 2021, 619 Rn. 17; BayObLG, Beschluss vom 20. August 2021 – 206 StRR 87/21, NStZ-RR 2022, 43, 44; KG, Beschluss vom 27. Juli 2020 – [4] 161 Ss 48/20 [58/20], OLGSt StGB § 177 Nr. 5 S. 5 f.; Camargo, ZStW 2022, 351, 375; SSW-StGB/Wolters, 5. Aufl., § 177 Rn. 18; Schumann/Schefer in Festschrift Kindhäuser, 2019, S. 811, 816; anders dagegen Lackner/Kühl/Heger, StGB, 29. Aufl., § 177 Rn. 5).

Hierfür spricht insbesondere die generelle Eignung, eine unerwünschte Schwangerschaft oder die Übertragung von Krankheiten zu verhindern. Dass hierdurch die Beurteilung eines sexuellen Kontakts mitgeprägt wird, zeigt sich etwa daran, dass bei Sexualdelikten der Vollzug des Geschlechtsverkehrs ohne Verwendung eines Kondoms bereits nach früherer Rechtslage straferschwerend berücksichtigt werden konnte (…).

Die Bedeutung der Prävention gegen sexuell übertragbare Erkrankungen wird überdies dadurch deutlich, dass für den Bereich der gemäß § 32 Abs. 1 ProstSchG eine Kondompflicht besteht (s. BT-Drucks. 18/8556 S. 93 f.). Dies ändert nichts daran, dass maßgebliches Rechtsgut des § 177 StGB die sexuelle Selbstbestimmung ist (vgl. BT-Drucks. 18/9097 S. 21 … ). Die Heranziehung der genannten Gesichtspunkte erweitert es nicht um Aspekte des Gesundheitsschutzes, sondern unterstreicht lediglich, dass ein qualitativer Unterschied zwischen der von der selbstbestimmungsberechtigten Person konsentierten und der tatsächlich vorgenommenen Sexualpraktik besteht.

Irrtumsproblematik

Der BGH hat offengelassen, welche Bedeutung ein etwaiger bei der Bildung des – einvernehmlichen oder entgegenstehenden – Willens für die strafrechtliche Bewertung hat:

Der Entscheidung der betroffenen Person, keinen ungeschützten Geschlechtsverkehr zu wollen, liegt grundsätzlich keine Fehlvorstellung zugrunde, wenn der Täter vorspiegelt, diesem Wunsch nachzukommen; denn dadurch ändert sich nichts an der ablehnenden Haltung gegenüber einem Sexualkontakt ohne die Nutzung eines Kondoms (s. etwa KG, Beschluss vom 27. Juli 2020 – [4] 161 Ss 48/20 [58/20], OLGSt StGB § 177 Nr. 5 S. 10 f.; Herzog in Festschrift Fischer, 2018, S. 351, 357; dagegen mit anderem Ansatz Franzke, BRJ 2019, 114, 119 f.; Denzel/Kramer da Fonseca Calixto, KriPoZ 2019, 347, 353).

Die Täuschung wirkt sich erst auf anderer Ebene dahin aus, dass die geschädigte Person die von ihr missbilligte sexuelle Handlung geschehen lässt, da sie ihren Bedeutungsgehalt und den Verstoß gegen ihren – ersichtlich fortdauernden – entgegenstehenden Willen nicht erkennt. Dies stellt indes für sich genommen keine Einwilligung in die konkrete sexuelle Handlung, den ungeschützten Geschlechtsverkehr, dar.

Problematische Sexualstrafverfahren

Wir sind sehr regelmäßig im Sexualstrafrecht verteidigend tätig und sehen hier nur ein weiteres Minenfeld: Die Beweissituation ist schon in 4-Augen-Situationen äußerst kritisch; wenn nun auch noch der Geschlechtsverkehr an sich aus dem Fokus gerät und dafür das „wie“ des Geschlechtsverkehrs in den Gerichtssaal gezerrt wird, läuft es am Ende auf schlichte „Glaubenssituationen“ hinaus. Dies schon, da es regelmäßig an geeigneten Beweisanzeichen oder Anknüpfungstatsachen – über die jeweiligen Erklärungen hinaus – fehlen wird.

Die Situation wird sowohl für Opfer dieser Straftaten als auch für (vermeintliche) Täter ein Horror-Szenario, da unsere Gerichtsverfahren gar kein geeignetes Prozedere bieten, um hiermit umzugehen. Auch das viel zitierte Glaubwürdigkeitsgutachten hilft dabei wenig weiter, schon alleine, weil es bei erwachsenen Personen seltenst zur Anwendung gelangt.

Die Idee des BGH an dieser Stelle, dass es ureigene Aufgabe des Richters ist, die Glaubwürdigkeit von Personen und Glaubhaftigkeit Ihrer Aussagen zu beurteilen, verkennt schlichtweg, dass die wenigsten Juristen hier entsprechend ausgebildet sind – und man sich aufgrund seiner jahrelangen Tätigkeit (freilich frei von Feedback der Richtigkeit der Einschätzung in sachlicher Hinsicht) immer länger einredet, hier etwas zu können, was Glaubwürdigkeitsgutachter jahrelang lernen müssen.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht, Arbeitsrecht und IT-Recht / Technologierecht.