Es ist nicht selten, dass in Ermittlungsverfahren informelle Absprachen zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft erfolgen („Gentlemen’s agreement“), die nach hiesiger Erfahrung speziell in Wirtschaftsstrafverfahren eingehalten werden – solange die Verteidigung sich ebenfalls an die Zusicherung hält.
Doch was ist, wenn die StA ausschert? Um einen solchen Fall ging es beim Bundesgerichtshof, wobei hier ein Verfahren entgegen der Zusicherung durch die StA wiederaufgenommen wurde. Dabei macht der BGH deutlich, dass einer staatsanwaltschaftlichen Zusicherung von vornherein nicht die Bindungswirkung einer gerichtlichen Verständigung (§ 257c StPO) zukommt:
Durch das „Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren“ vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2353) ist das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18. April 1990 – 3 StR 254/88 (BGHSt 37, 10, 13 f.), wonach die staatsanwaltschaftliche Zusage, das Verfahren bezüglich einer Straftat einzustellen bzw. diese nicht zu verfolgen, einen Vertrauenstatbestand als gewichtigen Strafmilderungsgrund (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) begründen könne, insoweit überholt (…). Bereits sein vormaliger Verteidiger … wies den Angeklagten in seiner E-Mail … auf diesen Gesichtspunkt mit den Worten hin: „Eine rechtliche Bindung ergibt sich hieraus für die Staatsanwaltschaft, hierüber haben wir eingehend gesprochen, allerdings nicht. Die Festschreibung dieser Äußerung ist aber gleichwohl sinnvoll, weil sich hieraus eine psychologische Bindung ergibt.“
Das Urteil des Senats vom 11. November 2020 – 1 StR 328/19 – im ersten Rechtsgang gab wegen der gewichtigen Teilaufhebung einen sachlichen Anlass (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 2022 – 2 BvR 1110/21 Rn. 50; BGH, Be- schluss vom 30. April 2009 – 1 StR 745/08, BGHSt 45, 1 Rn. 15), neben den rechtskräftig gewordenen neun Einzelstrafen die (gleichgelagerten) Ertragsteuerhinterziehungsfälle wiederaufzunehmen bzw. zu verfolgen.
BGH, 1 StR 380/22
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