Werberecht für plastisch-chirurgische Eingriffe

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 29. August 2024 (4 UKl 2/24) beschäftigt sich mit der Werbung für minimalinvasive ästhetische Eingriffe wie Nasenkorrekturen oder Lippenformungen mittels Hyaluronsäure. Im Zentrum stand die Frage, ob die Nutzung von Vorher-Nachher-Darstellungen im Internet mit dem Heilmittelwerbegesetz (HWG) vereinbar ist. Die Entscheidung gibt plastischen Chirurgen und ästhetischen Praxen wichtige Hinweise zur rechtlichen Bewertung ihrer Werbung.

Sachverhalt

Die Beklagte, eine Anbieterin ästhetischer Behandlungen, warb auf ihrer Website und ihrem Instagram-Account mit Vorher-Nachher-Bildern für Behandlungen mit Hyaluronsäure und anderen minimalinvasiven Methoden.

Ein Verbraucherschutzverband klagte auf Unterlassung und Aufwendungsersatz, da diese Werbung gegen das HWG verstoße. Die Beklagte argumentierte, dass ihre Eingriffe keine operativen plastisch-chirurgischen Maßnahmen im Sinne des HWG darstellten. Das OLG Hamm entschied zugunsten des Klägers und untersagte der Beklagten die beanstandete Werbung.

Rechtliche Würdigung

1. Verbot der Vorher-Nachher-Werbung (§ 11 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 HWG)

Das HWG untersagt außerhalb von Fachkreisen Werbung mit Vorher-Nachher-Darstellungen für operative plastisch-chirurgische Eingriffe. Ziel ist der Schutz der Verbraucher vor irreführender und manipulativer Werbung für nicht notwendige medizinische Eingriffe.

a) Eingriffsdefinition

Das Gericht stellte klar, dass auch minimalinvasive Behandlungen wie Hyaluronsäure-Unterspritzungen als operative plastisch-chirurgische Eingriffe zu werten sind. Entscheidend ist nicht der Einsatz eines Skalpells, sondern die instrumentelle Veränderung der Körperform oder -oberfläche.

b) Medizinische Notwendigkeit

Die Werbung der Beklagten ließ keine Hinweise auf eine medizinische Indikation erkennen. Vielmehr zielten die Eingriffe ausschließlich auf ästhetische Verbesserungen ab. Dies reicht nach § 11 HWG nicht aus, um das Werbeverbot zu umgehen.

c) Irreführung durch Bilder

Vorher-Nachher-Darstellungen schaffen oft einen unrealistischen Eindruck von den Ergebnissen ästhetischer Behandlungen. Dies kann Verbraucher zu Eingriffen verleiten, die sie andernfalls nicht in Betracht ziehen würden.

2. Verbraucherschutzrechtliche Perspektive

Das Gericht betonte, dass das Verbot auch der Vermeidung von gesundheitlichen Risiken dient. Selbst minimalinvasive Eingriffe bergen Gefahren wie Infektionen, allergische Reaktionen oder Embolien. Diese Risiken wurden in der Werbung nicht ausreichend kommuniziert.

3. Grenzen der Werbefreiheit

Das Werbeverbot greift nicht in unzulässiger Weise in die Berufsfreiheit ein (Art. 12 GG). Es dient dem legitimen Ziel, Verbraucher vor übermäßigem Werbedruck und gesundheitlichen Risiken zu schützen.


Der Begriff „operativer plastisch-chirurgischer Eingriff“ und seine Relevanz

Der Begriff „operativer plastisch-chirurgischer Eingriff“ wird im Heilmittelwerbegesetz (HWG), insbesondere in § 11 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 HWG, verwendet. Eine Legaldefinition gibt es im Gesetz jedoch nicht. Daher muss der Begriff ausgelegt werden, um zu klären, welche Behandlungen unter das gesetzliche Werbeverbot fallen.

Relevanz in diesem Fall

Das Werbeverbot nach § 11 HWG betrifft nur operative plastisch-chirurgische Eingriffe, die medizinisch nicht notwendig sind. Die Beklagte argumentierte, dass die Hyaluronsäure-Behandlung nicht als „operativ“ zu qualifizieren sei, da sie weder Skalpell noch chirurgische Werkzeuge einsetzt. Damit wollte sie das Werbeverbot umgehen. Das Gericht musste also klären, ob minimalinvasive Behandlungen wie Hyaluron-Unterspritzungen als operative plastisch-chirurgische Eingriffe gelten.

Argumentation des Gerichts

1. Instrumenteller Eingriff

Das Gericht entschied, dass ein operativer Eingriff nicht zwingend die Verwendung eines Skalpells oder eine Eröffnung der Haut erfordert. Stattdessen reicht bereits ein instrumenteller Eingriff am oder im Körper, wenn dieser zu Form- oder Gestaltveränderungen führt. Die Injektion von Hyaluronsäure erfüllt diese Kriterien:

  • Instrumenteller Charakter: Die Behandlung erfolgt durch eine Kanüle oder Nadel.
  • Körperliche Veränderung: Hyaluronsäure wird injiziert, um sichtbare Veränderungen der Körperform (z. B. Lippen, Kinn) zu erzielen.

2. Schutzzweck des HWG

Das HWG will Verbraucher vor Risiken und Irreführung schützen. Selbst minimalinvasive Eingriffe wie Hyaluronsäure-Unterspritzungen bergen gesundheitliche Risiken:

  • Mögliche Nebenwirkungen: Schmerzen, Schwellungen, Infektionen, allergische Reaktionen oder – bei unsachgemäßer Anwendung – schwerwiegende Komplikationen wie Embolien.
  • Unterschätzte Gefährlichkeit: Auch wenn solche Eingriffe als risikoarm dargestellt werden, bleiben sie medizinische Maßnahmen mit potenziellen Gefahren.

Das Gericht betonte, dass das HWG solche Behandlungen einbezieht, um keinen Anreiz für medizinisch nicht notwendige Eingriffe durch suggestive Werbung zu schaffen.

3. Keine Beschränkung auf klassische Chirurgie

Das Gericht wies die Ansicht der Beklagten zurück, dass nur „klassische“ chirurgische Verfahren mit Skalpell und Wundöffnung unter den Begriff „operativ“ fallen. Stattdessen sei der Begriff weit auszulegen, um auch minimalinvasive Eingriffe zu erfassen, wenn:

  • Ein Eingriff am Körper vorgenommen wird, der die Körperform oder -oberfläche verändert.
  • Gesundheitsrisiken bestehen, unabhängig von der Intensität oder Dauer des Eingriffs.

4. Kein Ausschluss durch geringe Eingriffsintensität

Die Beklagte argumentierte, dass die geringere Intensität und das niedrigere Risikoprofil der Hyaluron-Behandlung sie von klassischen plastisch-chirurgischen Operationen unterscheide. Das Gericht wies dies zurück:

  • Geringere Intensität irrelevant: Entscheidend ist nicht die Schwere des Eingriffs, sondern das Vorliegen eines medizinisch nicht notwendigen Eingriffs mit Formveränderung.
  • Risiken weiterhin vorhanden: Auch bei minimalinvasiven Behandlungen bestehen Gefahren, die durch das Werbeverbot adressiert werden sollen.

5. Gestaltveränderung und Dauer

Das Gericht hob hervor, dass Hyaluron-Injektionen durch die injizierten Stoffe zu einer sichtbaren und über Monate anhaltenden Veränderung der behandelten Körperpartien führen. Diese dauerhafte Veränderung ist ein weiteres Indiz dafür, dass es sich um plastisch-chirurgische Eingriffe handelt.


Konsequenzen für plastische Chirurgen

  1. Werbung anpassen: Vermeiden Sie Vorher-Nachher-Bilder in der öffentlichen Werbung. Erlaubt sind solche Darstellungen nur in Fachkreisen.
  2. Transparenz erhöhen: Informationen über Risiken und Grenzen ästhetischer Eingriffe sollten klar und umfassend dargestellt werden.
  3. prüfen: Überprüfen Sie regelmäßig Ihre Werbematerialien auf Konformität mit dem HWG und dem UWG.

Fazit

Diese Entscheidung zeigt, dass die Werbung für ästhetische Behandlungen mit Bedacht gestaltet werden muss. Ziel sollte nicht nur die Gewinnung neuer Patienten, sondern auch die Wahrung von Transparenz und Vertrauen sein. Verstöße gegen das HWG können teuer werden und das Image einer Praxis nachhaltig schädigen. Das Gericht erweiterte letztlich den Begriff „operativer plastisch-chirurgischer Eingriff“ bewusst, um auch minimalinvasive Verfahren mit potenziellen Risiken einzuschließen. Die Hyaluronsäure-Behandlung wurde als solcher Eingriff eingestuft, da:

  1. Instrumentelle Maßnahmen vorgenommen werden.
  2. Form- und Gestaltveränderungen erzielt werden.
  3. Gesundheitliche Risiken bestehen, auch wenn diese geringer sind als bei klassischen Operationen.

Die Entscheidung stellt klar, dass das Werbeverbot auch für minimalinvasive Behandlungen gilt, um Verbraucher vor irreführender Werbung und unbedachten Entscheidungen zu schützen.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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