Das Oberlandesgericht Hamm (Beschluss vom 24.09.2024, Az. 3 Ws 168/24) befasste sich mit der Frage, inwieweit Sachverständige in Verfahren über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung mündlich angehört werden müssen. Es ging dabei insbesondere um die Regelungen in §§ 463 Abs. 3 Satz 3, 454 Abs. 2 Satz 3 StPO, die die mündliche Anhörung bei Prognosegutachten zur fortbestehenden Gefährlichkeit eines Verurteilten betreffen.
Sachverhalt
Der Untergebrachte, der wegen schwerer Sexualstraftaten verurteilt wurde, wandte sich gegen die Fortdauer der Sicherungsverwahrung. Grundlage der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer war ein psychiatrisches Prognosegutachten sowie ein internistisches Gutachten zur körperlichen Verfassung des Untergebrachten. Während das Prognosegutachten die Gefahr künftiger schwerer Straftaten bestätigte, stellte das internistische Gutachten körperliche Einschränkungen fest, die jedoch die Begehung weiterer Taten nicht ausschlossen.
Die Strafvollstreckungskammer ordnete die Fortdauer der Unterbringung an, ohne den internistischen Sachverständigen mündlich zu hören. Der Untergebrachte legte hiergegen Beschwerde ein.
Rechtliche Analyse
Pflicht zur mündlichen Anhörung gemäß §§ 463 Abs. 3 Satz 3, 454 Abs. 2 Satz 3 StPO
Gemäß § 454 Abs. 2 Satz 3 StPO ist der Sachverständige mündlich anzuhören, wenn es um die Frage geht, „ob bei dem Verurteilten keine Gefahr mehr besteht, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbesteht“. Dies bezieht sich auf psychiatrische, psychologische, kriminologische oder soziologische Prognosegutachten.
Das OLG stellte klar, dass diese Regelung auf das internistische Gutachten nicht anwendbar war, da dieses lediglich die körperlichen Einschränkungen des Untergebrachten betraf und nicht unmittelbar auf die Gefährlichkeitsprognose abzielte. Die Entscheidung über die Anhörung eines anderen Sachverständigen richtet sich stattdessen nach dem Grundsatz der bestmöglichen Sachverhaltsaufklärung.
Gebot der bestmöglichen Sachaufklärung
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das Gericht verpflichtet, sich eine möglichst breite Tatsachengrundlage zu verschaffen. Dies schließt die Einholung ergänzender Gutachten ein, verlangt jedoch nicht zwingend eine mündliche Anhörung des Sachverständigen, wenn dessen schriftliche Ausführungen ausreichend sind.
Im vorliegenden Fall erachtete das OLG die schriftlichen Feststellungen des internistischen Gutachters als klar und nachvollziehbar. Auch die Verfahrensbeteiligten hatten keine weitere Anhörung beantragt oder konkrete Aufklärungsbedarfe geltend gemacht.
Relevanz der körperlichen Einschränkungen
Das OLG prüfte, ob die festgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Untergebrachten die Gefährlichkeitsprognose beeinflussten. Das internistische Gutachten stellte zwar erhebliche körperliche Einschränkungen fest, hielt den Untergebrachten jedoch weiterhin für fähig, schwere Gewalt- oder Sexualdelikte zu begehen, insbesondere gegen körperlich unterlegene Opfer oder durch den Einsatz manipulativer und planvoller Taktiken.
Fazit
Das OLG Hamm entschied, dass die Pflicht zur mündlichen Anhörung des Sachverständigen gemäß §§ 463 Abs. 3 Satz 3, 454 Abs. 2 Satz 3 StPO nur für Prognosegutachten im engeren Sinne gilt. Ergänzende Gutachten, die andere Aspekte der Beurteilung betreffen, unterliegen dieser Pflicht nicht zwingend. Die Entscheidung betont die Flexibilität des Gerichts bei der Sachverhaltsaufklärung und die Bedeutung schriftlicher Gutachten, wenn sie hinreichend aussagekräftig sind. Diese Entscheidung ist beachtlich für die Abgrenzung zwischen den verschiedenen Arten von Gutachten und unterstreicht die Bedeutung der Verhältnismäßigkeit und Zweckmäßigkeit bei der Durchführung mündlicher Anhörungen.
- Justizminister wünschen allgemeine Autoschlüssel-Kopie für Ermittler - 7. Dezember 2024
- KCanG: BGH zur Zusammenrechnung von Freimengen - 5. Dezember 2024
- BVerfG zu Encrochat: Keine generellen Beweisverwertungsverbote - 5. Dezember 2024