Crowdfunding-Plattformen haben sich als innovative Finanzierungsform im deutschen Kapitalmarkt etabliert. Zugleich werfen sie grundlegende haftungsrechtliche Fragen auf – insbesondere im Hinblick auf die Pflichten gegenüber (Klein-)Anlegern. Mit Urteil vom 7. Februar 2025 (Az. 2 O 99/24) nimmt das Landgericht Ravensburg Stellung zu den Aufklärungspflichten einer Crowdfunding-Plattform bei qualifiziert nachrangigen Darlehen und stellt – in Abgrenzung zur Linie des OLG Dresden – hohe Anforderungen an die Risikobelehrung. Die Entscheidung markiert einen Konfliktpunkt zwischen Verbraucherschutz und liberaler Vertragsautonomie im digitalen Kapitalmarktrecht.
Sachverhalt
Der Kläger beteiligte sich über die Internetplattform der Beklagten an mehreren Immobilienprojekten mit einer Gesamtsumme von 14.500 EUR. Die Investitionen erfolgten in Form qualifiziert nachrangiger Darlehen. Nach Ausbleiben der Rückzahlung machte der Kläger Schadensersatzansprüche geltend, insbesondere wegen unterlassener Aufklärung über die Tragweite des qualifizierten Nachrangs und über das Fehlen von Baugenehmigungen bei zwei Projekten. Gestützt wurde die Klage auf § 280 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 14 Abs. 1 FinVermV sowie § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 32, 54 KWG. Außerdem machte der Kläger die Unwirksamkeit der Nachrangklauseln nach § 305c und § 307 BGB geltend.
Das LG Ravensburg bejahte einen Anlagevermittlungsvertrag und sah darin die Grundlage für eine vertragliche Aufklärungspflicht der Plattform. Diese habe ihre Pflichten verletzt, indem sie den Kläger nicht ausreichend über die Risiken der qualifizierten Nachrangklauseln informierte.
Juristische Analyse
1. Anlagevermittlungsvertrag – ein fragwürdiger Befund
Zentral für die Haftung ist die Annahme eines konkludenten Anlagevermittlungsvertrags zwischen Plattform und Anleger. Das LG Ravensburg folgt insoweit einer weiten Auslegung der Rechtsprechung des BGH zur konkludenten Begründung von Auskunftsverträgen bei Anlagevermittlern. Problematisch ist, dass die Entscheidung hierzu keinerlei Begründung liefert. Insbesondere bleibt offen, wie eine rein einseitige, digital vermittelte Kommunikationsform – wie sie für Crowdfunding-Plattformen typisch ist – die Schwelle zu einem Vertrauensverhältnis mit aufklärungspflichtiger Nähebeziehung überschreiten soll.
Die herrschende Meinung in Literatur und Teilen der Rechtsprechung lehnt eine solche automatische Gleichstellung mit klassischen Anlagevermittlern ab (vgl. etwa Spindler, ZBB 2017, 135; Renner, ZHR 2020, 251). Auch das OLG Dresden hat sich jüngst gegen eine unreflektierte Übertragung ausgesprochen und für eine differenzierte Betrachtung der konkreten Kommunikationsform plädiert (vgl. OLG Dresden, BeckRS 2025, 5611, Rn. 52).
2. Verletzung von Belehrungspflichten
Das LG sieht mehrere Informationsdefizite:
- Es fehle an einem deutlichen Hinweis, dass der qualifizierte Nachrang bereits vor Insolvenzeintritt greife.
- Die eigenkapitalähnliche Haftungsstruktur werde nicht ausreichend erläutert.
- Der Rückzahlungsanspruch erscheine als unverbindlich dargestellt.
- Bei einem Projekt sei das Fehlen der Baugenehmigung nicht ausreichend offengelegt worden.
Diese Befunde werfen jedoch methodische und dogmatische Fragen auf. Zum einen hinterfragt das Gericht nicht, ob die Nachrangklauseln überhaupt wirksam in die Verträge einbezogen wurden. Wenn sie unwirksam wären, träten die behaupteten Risiken nicht ein – und eine Belehrung über nicht existierende Gefahren wäre überflüssig. Zum anderen ignoriert das Gericht, dass die Informationspflicht primär beim Emittenten liegt. Die Plattform ist nur für die technische Übermittlung verantwortlich – nicht für die inhaltliche Richtigkeit der Vermögensanlagen-Informationsblätter (VIB).
Darüber hinaus ist die Annahme, es bestehe bei qualifizierten Nachrangdarlehen lediglich eine „Absichtserklärung“ zur Rückzahlung, inhaltlich unzutreffend. Der Rückzahlungsanspruch ist existent, jedoch durchsetzungsbeschränkt. Dass er bedingt ist, macht ihn nicht unverbindlich.
3. Fehlende Differenzierung der Schutzgesetzqualität
Der Kläger hatte sich zusätzlich auf § 14 Abs. 1 FinVermV als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB berufen. Das LG lässt diese Frage unbeantwortet, obwohl sich hierzu eine intensive Debatte entwickelt hat (vgl. OLG Celle, BKR 2023, 681; ablehnend Buck-Heeb, BKR 2023, 687). Eine fundierte Auseinandersetzung mit dieser dogmatisch hochrelevanten Frage fehlt vollständig.
4. Bedeutung für Schwarmfinanzierungsdienstleister (ECSP-VO)
Obgleich die Entscheidung nach nationalem Recht erging, ist ihre Ausstrahlungswirkung auf Anbieter mit Erlaubnis nach der Europäischen Crowdfunding-Verordnung (ECSP-VO) bedeutsam. Zwar sind qualifizierte Nachrangdarlehen unter der ECSP-VO nicht zulässig, doch zeigt das Urteil, wie streng nationale Gerichte das Informationsregime bei risikoäquivalenten Produkten handhaben können. Art. 5 und Art. 19 ECSP-VO fordern Prüf- und Informationspflichten, deren Reichweite in der Praxis noch nicht abschließend geklärt ist. Eine Übertragung der Ravensburger Maßstäbe auf den EU-rechtlichen Kontext erscheint zwar dogmatisch problematisch, ist aber gleichwohl rechtspolitisch relevant.
Schlussfolgerung
Die Entscheidung des LG Ravensburg ist aus haftungsdogmatischer Sicht angreifbar. Sie überdehnt das Konzept des Auskunftsvertrags und verwischt die Verantwortungslinien zwischen Emittent und Plattformbetreiber. Zwar ist der Gedanke verbraucherschützender Transparenz zentral für das Kapitalmarktrecht – doch bedarf es eines differenzierten Maßstabs, der digitale Plattformkommunikation, die Funktion des VIB und die Rolle des Emittenten angemessen einbezieht. Das Urteil mag dem Einzelfall gerecht werden, bietet jedoch kaum verallgemeinerbare Leitlinien für die Praxis. Die Berufung beim OLG Stuttgart dürfte deshalb mit Spannung zu erwarten sein.
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