Insolvenzverwalter darf Insolvenzanfechtungsanspruch nicht zu stark hinauszögern

Der Insolvenzverwalter muss die ihm bekannten Konten der Hausbank des Schuldners in angemessener Zeit daraufhin überprüfen, ob ihm die Kontounterlagen vollständig vorliegen und ob die Kontounterlagen Anhaltspunkte für anfechtungsrelevante Vorgänge enthalten, so der BGH (IX ZR 138/21). Grob fahrlässige Unkenntnis von den tatsächlichen Voraussetzungen eines Insolvenzanfechtungsanspruchs setzt dabei voraus, dass der Insolvenzverwalter seine Ermittlungspflichten in besonders schwerem, auch subjektiv vorwerfbarem Maße verletzt hat.

Hinsichtlich eines in den Dreimonatszeitraum der Deckungsanfechtung fallenden Anfechtungstatbestandes liegt mit dem BGH nunmehr regelmäßig eine grob fahrlässige Unkenntnis vor, wenn der Insolvenzverwalter die Überprüfung der ihm bekannten bei der Hausbank des Schuldners geführten Konten über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterlässt und sich ihm aufgrund der aus den Kontounterlagen ersichtlichen Zahlungsvorgänge und der ihm bekannten sonstigen Tatsachen weitere Ermittlungen hätten aufdrängen müssen. Dazu führt der BGH aus:

Grob fahrlässig handelt der Insolvenzverwalter, wenn er die Überprüfung der Kontounterlagen bei der Hausbank auf Vollständigkeit sowie die Kontobewegungen auf verdächtige Buchungen – bezogen auf den Drei-Monats-Zeitraum der §§ 130, 131 InsO – innerhalb der ihm regelmäßig zur Verfügung stehenden Frist unterlässt und dieses Verhalten aus der Sicht eines verständigen und auf sein Interesse bedachten Gläubigers als unverständlich erscheint. Dies hängt insbesondere von dem Umfang des Insolvenzverfahrens und der vom Insolvenzverwalter vorrangig zu treffenden Maßnahmen, von dem Umfang der Forderungsanmeldungen sowie der Anzahl der zu überprüfenden Konten ab. Der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis wird umso weniger gerechtfertigt sein, je unübersichtlicher die Verhältnisse des Schuldners und je aufwändiger und damit zugleich fehleranfälliger die Auswertung der Forderungsanmeldungen sowie der vorhandenen Unterlagen sind. Hierbei trifft den Insolvenzverwalter die sekundäre Darlegungslast, wenn und soweit er – anders als der grundsätzlich für die gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB maßgeblichen Umstände darlegungs- und beweispflichtige Anfechtungsgegner, der sich auf die Einrede der beruft (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2016 – IX ZR 224/15, NZI 2017, 102 Rn. 8; MünchKomm-BGB/Grothe, 9. Aufl., § 199 Rn. 46 mwN) – alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (st. Rspr., vgl. statt aller: BGH, Urteil vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19, NJW 2021, 1669 Rn. 27 mwN; vom 10. Februar 2022 – IX ZR 148/19, NZI 2022, 397 Rn. 19). Dies gilt etwa für die Schritte, die der Insolvenzverwalter zur Überprüfung der Kontounterlagen auf Vollständigkeit und der Kontobewegungen auf verdächtige Buchungen unternommen hat.

Ist dem Insolvenzverwalter auf Grundlage der Kontoauszüge eine verdächtige Zahlung beziehungsweise Verrechnung zur Kenntnis gelangt oder hätte ihm ein solcher Vorgang nach den vorstehenden Ausführungen ohne grobe Fahrlässigkeit zur Kenntnis gelangen können, begründet dies allein noch nicht den Vorwurf der grob fahrlässigen Unkenntnis des Anfechtungstatbestands insgesamt…

Vielmehr kommt es im zweiten Schritt darauf an, ob sich dem Insolvenzverwalter weitere Ermittlungen im Hinblick auf einen möglichen Anfechtungsanspruch hätten aufdrängen müssen. Das ist dann der Fall, wenn und sobald jeder sorgfältig arbeitende Verwalter den aus den Kontoauszügen ersichtlichen Vorgang aufgrund konkreter Verdachtsmomente zum Anlass genommen hätte, dessen Anfechtbarkeit zu überprüfen. Unterlässt der Insolvenzverwalter in einem solchen Fall gleichwohl weitere Ermittlungen, wird seine Unkenntnis der anspruchsbegründenden Umstände zu dem Zeitpunkt grob fahrlässig, an dem seine Nachforschungen zum Erfolg geführt hätten (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 2008 – XI ZR 395/07, NJW 2009, 587 Rn. 15; MünchKomm-BGB/Grothe, 9. Aufl., § 199 Rn. 31). Dies ist im Einzelfall auf Grundlage einer Gesamtabwägung aller Umstände zu entscheiden. Maßstab ist, ob die dem Insolvenzverwalter bereits bekannten Tatsachen eine Unterlassung weiterer Ermittlungen im Hinblick auf die Voraussetzungen eines Anfechtungstatbestandes aus der Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Gläubigers als unverständlich erscheinen lassen.

Konkrete Verdachtsmomente können sich insbesondere aus einer Forderungsanmeldung ergeben. Insoweit ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Anmeldung einer Forderung zur Tabelle Informationen enthalten kann, welche dem Insolvenzverwalter die Kenntnis von Anfechtungsansprüchen vermitteln können (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2016 – IX ZR 224/15, NZI 2017, 102 Rn. 21; vgl. Kubusch/Graf, NZI 2018, 634, 635). Aus der Forderungsanmeldung können sich zudem Hinweise auf weitere Ermittlungserfordernisse und -ansätze ergeben.

Auch der Zahlungsvorgang selbst kann verdächtige Elemente enthalten, die dem Insolvenzverwalter Anlass für weitere Ermittlungen geben können. Das kann etwa der Fall sein, wenn die Zahlung im Vergleich zu anderen Vorgängen besonders hoch ist, sofern sich die Höhe der Zahlung nicht ohne Weiteres mit der wirtschaftlichen Situation des Schuldners in Einklang bringen lässt, oder wenn sich die Zahlung in sonstiger Weise – etwa nach Empfänger oder Zeitpunkt – von den übrigen regelmäßigen Kontobewegungen abhebt.

Ebenso können sich aus dem Verhalten des Schuldners konkrete Verdachtsmomente ergeben. Insbesondere ist der Schuldner gehalten, dem Insolvenzverwalter die vollständigen Kontoauszüge und sonstige (Geschäfts-)Unterlagen, aus denen der Hintergrund etwaiger anfechtbarer Zahlungen hervorgeht, vorzulegen (vgl. § 97 InsO). Werden dem Insolvenzverwalter diese Unterlagen ohne ersichtlichen Grund nicht (vollständig) zur Verfügung gestellt, wird dies jeder sorgfältige Verwalter regelmäßig zum Anlass für weitere Nachforschungen nehmen.

Umgekehrt können die Umstände des Einzelfalls dazu führen, dass sich das Unterlassen weiterer Ermittlungen trotz vorliegender Verdachtsmomente als lediglich einfach fahrlässig darstellt. Auch insoweit ist es denkbar, dass besonders unübersichtliche Verhältnisse des Schuldners oder sonstige in dem Insolvenzverfahren oder dem Verhalten der Beteiligten begründete Umstände, wie etwa Verschleierungsmaßnahmen des Schuldners oder auch des Anfechtungsgegners selbst, Fehleinschätzungen des Insolvenzverwalters begünstigen und seine Untätigkeit nicht mehr als schlechterdings unverständlich erscheinen lassen.

Die Darlegungs- und für das Vorliegen solcher Verdachtsmomente trägt der Anfechtungsgegner als derjenige, der sich auf die Einrede der Verjährung beruft. Doch kommt auch insoweit eine sekundäre Darlegungslast in Betracht 

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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