Biozidverordnung und Essigspray: Mit Urteil vom 6. Februar 2025 (Az. I ZR 40/24) hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine wettbewerbsrechtlich wie europarechtlich bedeutsame Entscheidung zum Anwendungsbereich der Biozidverordnung (Verordnung [EU] Nr. 528/2012) getroffen.
Gegenstand des Verfahrens war die Frage, ob ein als „Essigspray EXTRA STARK“ bezeichnetes Reinigungsmittel als Biozidprodukt im Sinne der Verordnung einzuordnen ist – mit erheblichen Folgen für die Zulassung und Bewerbung des Produkts. Die Entscheidung enthält wegweisende Klarstellungen zur Abgrenzung von Biozidprodukten gegenüber bloßen Reinigungsmitteln und zur parallelen Anwendung unionsrechtlicher Regelwerke.
Sachverhalt
Die Klägerin und die Beklagte vertreiben Reinigungsmittel im Bundesgebiet. Streitgegenständlich war das Produkt „H. by S. Essigspray EXTRA STARK“, ein Gemisch aus u. a. 10 % Essigsäure, Zitronensäure und Duftstoffen. Die Beklagte hatte dieses Produkt mit Aussagen wie „beseitigt 99,99 % aller Bakterien, Schimmelpilze und speziellen Viren“ sowie „hygienisch sicher“ beworben. Die Klägerin sah darin einen Verstoß gegen Marktverhaltensregelungen der Biozidverordnung. Während das Landgericht und das Oberlandesgericht Frankfurt der Klage stattgaben, hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zurück.
Rechtliche Analyse
Anwendungsbereich der Biozidverordnung
Zentral für die Entscheidung ist die Auslegung von Art. 2 Abs. 3 Buchst. m Biozid-VO, wonach die Verordnung nicht für Produkte gilt, die unter andere spezifische EU-Vorschriften fallen, „sofern sichergestellt ist, dass die Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt in gleicher Weise geregelt sind“.
Der BGH stellt zunächst klar: Die parallele Anwendung der Biozidverordnung und der CLP-Verordnung (Verordnung [EG] Nr. 1272/2008) ist nur dann möglich, wenn das Produkt auch tatsächlich in den Geltungsbereich beider Verordnungen fällt. Die bloße Bewerbung mit desinfizierender Wirkung allein führt nicht automatisch zur Einstufung als Biozidprodukt. Maßgeblich ist die objektive Zweckbestimmung.
Abgrenzungskriterien
Der BGH betont, dass für Reinigungsmittel, die keine Biozidprodukte sind, die Biozidverordnung nicht anwendbar ist. Entscheidend sei, ob das Produkt aufgrund seiner Zusammensetzung und beabsichtigten Hauptwirkung zur Bekämpfung schädlicher Organismen bestimmt ist (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a Biozid-VO).
Im konkreten Fall ließ sich nach Ansicht des Gerichts nicht hinreichend feststellen, dass das Essigspray primär desinfizierende Zwecke erfüllt. Der Rückgriff auf Aussagen wie „beseitigt Bakterien und Viren“ sei zwar problematisch, reiche aber für die Annahme eines Biozidprodukts nicht aus, wenn es sich tatsächlich um ein Haushaltsreinigungsmittel handelt.
Verfahrensrechtliche Konsequenz
Mangels ausreichender Feststellungen zur tatsächlichen Produktfunktion und deren Marktwahrnehmung hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das OLG Frankfurt zurückverwiesen. Das Berufungsgericht muss nun klären, ob die desinfizierende Wirkung lediglich eine Nebenfunktion darstellt oder die Hauptfunktion des Produkts ist.
Der BGH hat mit dieser Entscheidung die Anforderungen an die Abgrenzung zwischen Biozidprodukten und Reinigungsmitteln geschärft. Die Bewerbung eines Produkts mit desinfizierender Wirkung allein rechtfertigt noch nicht die Einstufung als Biozidprodukt. Entscheidend ist vielmehr die objektive Zweckbestimmung des Produkts im Markt.
Schlussfolgerung
Die Quintessenz des Urteils liegt in der deutlichen Betonung der funktionalen Betrachtung und der Zweckbestimmung bei der Einordnung in den Anwendungsbereich der Biozidverordnung. Für Hersteller und Händler bedeutet dies: Vorsicht bei gesundheitsbezogenen Werbeaussagen. Wer sich nicht im Anwendungsbereich der Biozid-VO wähnt, muss dennoch mit deren Marktverhaltensregelungen rechnen, wenn die Aufmachung des Produkts entsprechende Erwartungen beim Verbraucher weckt. Die Entscheidung bietet damit praxisrelevante Hinweise für Produktentwicklung, Kennzeichnung und Marketing – und markiert zugleich eine dogmatisch präzise Anwendung unionsrechtlicher Normen.
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