Verhältnismäßigkeit körperlicher Durchsuchung mit vollständiger Entkleidung nach Haftbesuch

Das (2 BvR 1810/19) konnte sich wieder einmal zur Anordnung körperlicher Durchsuchungen in der JVA äussern – hier ging es um eine (auch noch durch Allgemeinverfügung) angeordnete , die nach Besuchskontakt mit vollständiger Entkleidung verbunden sein sollte. Die JVA hatte insoweit eine solche Durchsuchung vorgesehen

an jedem sechsten Gefangenen und an jedem achten Sicherungsverwahrten nach einer Besuchsvorführung. Davon solle abgesehen werden, soweit die Gefahr des Missbrauchs des Besuchsrechts besonders fernliegend sei

Um den erniedrigenden, pauschal vorgesehenen, Eingriff dann Rund zu machen, war im der Beschwerde zu Grunde liegenden Fall auch noch gleich nicht nur das eigentliche JVA-Personal zu zweit, sondern auch noch ein Auszubildender anwesend. Befremdlich mag schon anmuten, dass das BayOLG hier keinerlei Bedenken hatte. Das Bundesverfassungsgericht sah das (natürlich) anders.

Hervorzuheben ist als erstes, dass mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowohl bei Einzelfallanordnungen als auch bei Allgemeinanordnungen nach den Vollzugsgesetzen zwingend zu erwarten ist, dass die Verfügung der Anstaltsleitung erkennen lässt, dass von der generellen Anordnung der Durchsuchung abgewichen werden kann – dies ist Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (BVerfG, 2 BvR 2815/11):

Ein verhältnismäßiger Ausgleich zwischen dem allgemeinen , der Wahrung der Intimsphäre des Gefangenen und dem Sicherheitsinteresse der Vollzugsanstalt ist nur zu erreichen, wenn den vollstreckenden Vollzugsbeamten durch den Wortlaut der Anordnung die Möglichkeit belassen wird, von ihr abzuweichen, wenn die Gefahr des Missbrauchs des Besuchs durch den Gefangenen fernliegt oder ihr mit gleich geeigneten, milderen Mitteln begegnet werden kann.

Jedenfalls in den Fällen, in denen für die handelnden Vollzugsbediensteten erkennbar ist oder mit praktikablem Aufwand erkennbar gemacht werden könnte, dass nach den konkreten Umständen des Einzelfalls die Gefahr eines Missbrauchs des bewilligten Besuchs durch den Gefangenen fernliegt, gebührt dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Vorrang (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 5. November 2016 – 2 BvR 6/16 -, Rn. 36). Ohnedies obliegt es der Anstaltsleitung schon angesichts der besonderen Eingriffsintensität, vor Erlass einer Allgemeinanordnung zu prüfen, inwiefern sie ihrem Sicherheitsinteresse auch durch weniger eingreifende Maßnahmen hinreichend Rechnung tragen kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. März 2019 – 2 BvR 2294/18 -, Rn. 20).

Peinliche Begründung des Landgerichts

Es fällt mir ersichtlich schwer, die richtigen Worte zu finden, angesichts dieses Prozederes und dass Gericht hier einfach „durchwinken“ wollten. Man muss kein grossartiger Verfassungsrechtler sein, um zu merken, dass hier von Beginn an eine Schieflage besteht – vor allem beim Ermessen, zuletzt aber dabei, dass ein Auszubildender in dieser äusserst Erniedrigenden Situation anwesend war. Die polemische Frage, in was konkret er hier ausgebildet werden sollte drängt sich gerade zu auf.

Es ist mitunter erschreckend, wie schnell die Justiz vergisst, dass es im Strafvollzug um Menschen geht – mit dem naturgegebenen Recht auf Achtung und Respekt. Auch wenn der Strafvollzug naturgemäß mit der Einschränkung von Grundrechten verbunden ist, ist damit noch lange nicht jegliches erniedrigendes Verfahren gleich diskutabel. Auch und gerade hier gilt: Je grundrechtsintensiver ein Eingriff ist, umso mehr muss argumentiert und abgewägt werden. Gerade der Verweis auf Pauschalitäten und Formblätter sollten in diesem Zusammenhang immer die Alarmlampen angehen lassen.

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Jens Ferner

Strafverteidiger

Ermessen durch Formblatt

Natürlich hat das Landgericht die Frage des Ermessens gesehen – und liess das Ankreuzen und Unterschreiben eines Formblattes genügen. Die höflich gewählten Worte des Bundesverfassungsgerichts mögen hierzu genügen:

Jedoch hat das Landgericht in Verkennung von Bedeutung und Tragweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in nicht nachvollziehbarer Weise angenommen, dass sich aus dem von zwei Bediensteten unterzeichneten Formblatt bereits ohne weitere Prüfung ergebe, dass diese das der Justizvollzugsanstalt zustehende Ermessen sorgfältig ausgeübt und im Einzelfall geprüft hätten, ob die Gefahr des Missbrauchs durch den Beschwerdeführer fernliege sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sei. Auf dem Formblatt ließ sich lediglich ankreuzen, ob die Gefahr des Missbrauchs des Besuchs nach den genannten Kriterien besonders fernlag oder nicht. Ein Feld zur Dokumentation konkreter Erwägungen oder eine sonstige Möglichkeit zur Begründung der Gefahr eines Missbrauchs des Besuchs durch den Gefangenen ist in dem verwandten Formblatt nicht vorgesehen. Daher genügt das bloße Ankreuzen des vorgesehenen Feldes in dem konkret eingesetzten Formblatt nicht, um bereits daraus auf eine sorgfältige Ermessensabwägung im Einzelfall zu schließen.

Da gibt es nichts zu ergänzen, das hier ist Verfassungsrecht auf Studiums-Ebene.

Mildere Maßnahmen

Auch das ist Grundlagenwissen – das Bundesverfassungsgericht hat der Strafkammer ins Stammbuch geschrieben, dass – natürlich! – zu prüfen ist, ob es mildere Maßnahmen gibt, was man gleich mal ganz unterlassen hat:

Das Landgericht hat sich auch nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob andere Maßnahmen, die den Austausch von gefährlichen Gegenständen während des Gefangenenbesuchs oder deren Einschmuggeln mit gleicher Effektivität wie körperliche Durchsuchungen mit vollständiger Entkleidung unterbinden können, ausgeschöpft wurden (…) Insbesondere hat es nicht geprüft, ob die Verwendung besonderer Anstaltskleidung mit verschlossenen Nähten als mildere und gleichgeeignete Alternativmaßnahme möglich gewesen wäre, um die Sicherheit und Ordnung der Justizvollzugsanstalt hinreichend zu wahren. Das Landgericht hat auch insoweit Bedeutung und Tragweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verkannt.

Es fällt schwer, derart eklatante Fehler anders zu deuten als in die Richtung, dass den betreffenden Richtern das menschliche Schicksal und der würdige Strafvollzug schlicht egal sind.

Anwesenheit des Auszubildenden

Und natürlich, das springt einen doch geradezu an: Warum muss da noch eine Dritte Person, zumal noch ein Auszubildender anwesend sein? Hierauf muss man doch wenigstens eine Antwort haben, denn ohne diese Frage samt zugehöriger Antwort kann es doch schon gar keine Abwägung geben – diese Frage stellt man sich auch beim Bundesverfassungsgericht:

Ferner ist auf dem Formblatt nicht vermerkt, dass eine weitere Person zu Ausbildungszwecken die körperliche Durchsuchung durchgeführt hat oder jedenfalls anwesend war. Inwieweit die Bediensteten der Justizvollzugsanstalt erwogen haben, ob die – grundsätzlich durchaus in Betracht kommende – Anwesenheit der dritten Person zu Ausbildungszwecken unter Berücksichtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers notwendig war und die körperliche Durchsuchung nicht auch durch einen Bediensteten und den Auszubildenden zu zweit hätte durchgeführt werden können, kann weder dem Formblatt noch den von der Justizvollzugsanstalt im gerichtlichen Verfahren nachgeschobenen Ermessenserwägungen entnommen werden.


Insgesamt traurig und schade, wie hier eine vorhersehbare Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts provoziert wurde. Das Strafvollzugsrecht in Deutschland muss – wie das Strafprozessrecht – endlich wieder auf den Prüfstand hinsichtlich einer modernen, humanistischen Handhabung. Und die Strafvollstreckungskammern müssen sich auch bei scheinbar täglichen Eingriffen dringend vor Augen halten, dass es um Grundrechte geht – sonst gibt es halt Klatschen wie die vorliegende.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Strafverteidigung, dem IT-Recht und Arbeitsrecht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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