Es gibt Fälle, in denen die Grenzen der Notwehr aus Furcht (§ 33 StGB) überschritten werden und der Betroffene dann wegen eines Notwehrexzesses ohne Schuld gehandelt hat. Grundlegende Voraussetzung ist dabei das Bestehen einer objektiv gegebenen Notwehrlage; auf Fälle der sogenannten Putativnotwehr ist die Vorschrift des § 33 StGB nicht anwendbar!
Sozialethische Einschränkung des Notwehrrechts
Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein Täter, der den Angriff auf sich leichtfertig provoziert hat, von seinem grundsätzlich gegebenen Notwehrrecht nicht bedenkenlos Gebrauch machen und sofort ein lebensgefährliches Mittel einsetzen darf. Er muss vielmehr dem Angriff nach Möglichkeit ausweichen und darf zur sogenannten Trutzwehr mit einer lebensgefährlichen Waffe erst übergehen, nachdem er alle Möglichkeiten der Schutzwehr ausgenutzt hat; nur dann, wenn sich ihm diese Möglichkeit nicht bietet, ist er zu der erforderlichen Verteidigung befugt (dazu BGH, 4 StR 456/18 mwN).
Eine solche Einschränkung des Notwehrrechts setzt aber ein Verhalten voraus, das „von Rechts wegen vorwerfbar“ ist. Erforderlich ist eine schuldhafte Provokation, die dann vorliegt, wenn der Täter weiß oder wissen muss, dass andere durch dieses Verhalten zu einem rechtswidrigen Angriff veranlasst werden könnten (dazu BGH, 4 StR 456/18). Dies versteht sich bei einem festgestellten Krankheitsbild, bei dem ein Angeklagter „krankheitsbedingt“ sein Vorgehen nicht kontrollieren kann, nicht von selbst und hätte daher näherer Erörterung bedurft (dazu BGH, 4 StR 36/22).
Notwehrexzess und Krankheit
Überschreitet ein Angeklagter die Grenzen zulässiger Verteidigung aus krankheitsbedingt übersteigerter Furcht, so ist auch dann eine Strafbefreiung nach § 33 StGB möglich, wenngleich dies einer Unterbringung nach § 63 StGB nicht entgegensteht. Allerdings erfüllt nicht schon „jedes Angstgefühl“ das Merkmal der Furcht im Sinne des § 33 StGB; vielmehr muss ein durch das Gefühl des Bedrohtseins verursachter Störungsgrad vorliegen, bei dem der Täter das Geschehen nur noch in erheblich reduziertem Maße verarbeiten kann.
Die Annahme eines entschuldigenden Notwehrexzesses kommt auch in Betracht, wenn der in § 33 StGB genannte (asthenische) Affekt nicht die alleinige oder auch nur überwiegende Ursache für die Überschreitung der Grenzen der Notwehr gewesen ist; es genügt vielmehr, dass er ‒ neben anderen gefühlsmäßigen Regungen ‒ für die Notwehrüberschreitung mitursächlich war (BGH, 1 StR 779/97 und BGH, 4 StR 36/22).
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