Die Europäische Kommission hat schon im letzten Jahr einen Richtlinienentwurf zur Bekämpfung der Korruption vorgelegt, der nicht nur den bestehenden rechtlichen Rahmen stärken, sondern auch weitreichende Änderungen in nationalen Rechtssystemen anstoßen soll. Der Entwurf stößt jedoch auf gemischte Reaktionen: Während das Ziel der Harmonisierung breite Zustimmung findet, gibt es erhebliche Kritik an Umfang und Details der vorgeschlagenen Maßnahmen.
Ambitionierte Ziele in einem problematischen Kontext
Die Richtlinie soll als Teil der Null-Toleranz-Politik der EU gegen Korruption dienen und bestehende Regelungen ausweiten. Im Fokus stehen insbesondere die Harmonisierung von Straftatbeständen wie Bestechung und Amtsmissbrauch, der Schutz von Hinweisgebern und die Einrichtung unabhängiger Stellen zur Korruptionsbekämpfung. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass bestehende Unterschiede zwischen nationalen Regelungen eine wirksame Strafverfolgung erschweren und Korruption jährlich Schäden in Milliardenhöhe verursacht.
Dennoch wirft der Vorschlag zentrale Fragen auf: Die weite Definition von „öffentlichen Bediensteten“ und die Gleichstellung von Mandats- und Amtsträgern sorgen für Diskussionen, insbesondere im Hinblick auf den deutschen verfassungsrechtlichen Rahmen. Kritiker sehen hier eine Ausweitung der Strafbarkeit, die dem Prinzip des Strafrechts als ultima ratio widersprechen könnte.
Kernpunkte der Richtlinie und Kritik
Der Entwurf umfasst Maßnahmen zur Prävention und Strafverfolgung, darunter Mindesthöchststrafen für Korruptionsdelikte und die Verpflichtung zur Einrichtung unabhängiger, spezialisierter Stellen. Besonders auffällig ist die Betonung der Strafschärfung und Abschreckung – ein Ansatz, der in Deutschland teils kritisch gesehen wird, da er mit den Prinzipien des Verhältnismäßigkeits- und Bestimmtheitsgebots kollidieren könnte.
Die in Art. 9 vorgesehene Strafbarkeit der Veruntreuung geht zudem deutlich über den deutschen Straftatbestand der Untreue hinaus, indem sie weder einen Vermögensnachteil noch eine Vermögensbetreuungspflicht voraussetzt. Diese weite Fassung könnte nach Ansicht von Experten nicht nur dogmatische Brüche im deutschen Recht verursachen, sondern auch die Grenzen der EU-Gesetzgebungskompetenz überschreiten.
Ein weiteres kontroverses Thema ist die Einführung des Straftatbestands der „unerlaubten Einflussnahme“ (Art. 10). Kritisiert wird, dass die Strafbarkeit hier stark in das Vorfeld einer tatsächlichen Rechtsgutsverletzung verlagert wird. Die Definition der Einflussnahme bleibt vage und könnte rechtmäßige Tätigkeiten wie Lobbyarbeit unter Generalverdacht stellen.
Chancen und Herausforderungen bei der Umsetzung
Die Umsetzung der Richtlinie stellt die Mitgliedstaaten vor große Herausforderungen. In Deutschland müsste etwa die Weisungsabhängigkeit der Staatsanwaltschaften überdacht werden, um die Vorgabe einer „funktionalen Unabhängigkeit“ zu erfüllen. Zugleich könnte der Gesetzgeber gezwungen sein, bestehende Straftatbestände wie die Abgeordnetenbestechung (§ 108e StGB) grundlegend zu reformieren, um den Gleichlauf mit internationalen Standards herzustellen.
Dennoch bietet die Richtlinie auch Chancen: Sie könnte dazu beitragen, Korruptionsbekämpfung in Europa einheitlicher und effektiver zu gestalten und Vertrauen in öffentliche Institutionen zu stärken. Entscheidend wird sein, einen Ausgleich zwischen wirksamer Strafverfolgung und den Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Strafrechts zu finden.
Balance zwischen Ambition und Machbarkeit
Die neue EU-Richtlinie zur Korruptionsbekämpfung setzt ambitionierte Ziele und adressiert wichtige Herausforderungen. Zugleich birgt sie die Gefahr, nationale Rechtssysteme zu überfordern und verfassungsrechtliche Konflikte hervorzurufen. Die kommende Debatte in den Mitgliedstaaten wird zeigen, ob und wie sich diese Balance herstellen lässt – und ob die EU ihrem Anspruch, Korruption wirksam zu bekämpfen, gerecht werden kann.
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