Captagon, auch als Fenetyllin bekannt, ist ein psychoaktives Stimulans, das ursprünglich in den 1960er Jahren in Deutschland von der Degussa Pharma Gruppe entwickelt wurde. Ursprünglich als Medikament zur Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizitstörungen und Narkolepsie verwendet, wurde Captagon in den 1980er Jahren international aufgrund seiner missbräuchlichen Verwendung als illegale Droge reguliert und schließlich verboten.
Heute ist Captagon vor allem als Droge bekannt, die im Nahen Osten illegal hergestellt und gehandelt wird, und stellt auch in Deutschland eine Herausforderung für das Strafrecht dar.
Chemische Eigenschaften und Wirkmechanismus
Captagon enthält Fenetyllin, das im Körper zu Amphetamin und Theophyllin metabolisiert wird. Diese beiden Substanzen wirken stimulierend auf das zentrale Nervensystem, indem sie die Ausschüttung von Neurotransmittern wie Dopamin und Noradrenalin erhöhen. Diese Effekte führen zu erhöhter Wachsamkeit, Euphorie und einem gesteigerten Gefühl der Energie und Leistungsfähigkeit. Aufgrund dieser Wirkungen wurde Captagon besonders von Kämpfern in Konfliktgebieten im Nahen Osten genutzt, um deren physische und psychische Leistungsfähigkeit zu steigern.
Illegale Produktion und Verbreitung
Seit der Einstufung als illegale Substanz im Jahr 1986 unter dem UN-Übereinkommen über psychotrope Substanzen hat sich die Produktion von Captagon stark in den illegalen Bereich verlagert. Vor allem Syrien und der Libanon gelten als Hauptproduktionsorte, wobei kriminelle Netzwerke eng mit politischen und militärischen Akteuren, wie dem syrischen Regime, verknüpft sind. Der Europäische Drogenbeobachtungsstelle (EMCDDA) zufolge ist die Captagon-Produktion ein „Regime-gesteuertes Geschäftsmodell“, das zur Finanzierung von repressiven Maßnahmen genutzt wird.
Rechtslage in Deutschland
Captagon ist gemäß Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) ein verkehrs- und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel. Dies bedeutet, dass jeglicher Besitz, Handel oder die Herstellung ohne entsprechende Genehmigung illegal und strafbar ist. Insbesondere bei großen Mengen oder organisierter Beteiligung drohen hohe Freiheitsstrafen, da dies als schwerer Verstoß gegen das BtMG eingestuft wird.
Captagon: Ermittlungen und Strafverfolgung
Deutschland ist im internationalen Captagon-Handel vor allem als Transitland involviert. Große Mengen an Captagon-Tabletten werden aus Produktionsstätten in Syrien und dem Libanon über Deutschland nach Saudi-Arabien und andere Länder auf der Arabischen Halbinsel geschmuggelt. Laut Berichten des Bundeskriminalamts (BKA) werden in Deutschland regelmäßig Sendungen abgefangen, die Captagon enthalten und für den Export bestimmt sind. Diese Lieferungen sind häufig in Containern versteckt, die über deutsche Häfen wie Hamburg eingeführt werden. Ermittlungen zeigen, dass dabei oft Flüchtlinge und Migranten involviert sind, die aus Syrien oder dem Libanon stammen und als Teil krimineller Netzwerke fungieren.
Ein Beispiel aus dem Jahr 2018 zeigt, wie eine Lieferung von über einer Million Tabletten, versteckt in Möbeln aus Syrien, in Hamburg abgefangen wurde. Der Organisator, ein syrischer Flüchtling, plante, die Tabletten weiter in die Zielländer zu exportieren. Solche Fälle verdeutlichen die enge Verknüpfung von Migration, organisiertem Verbrechen und illegalem Drogenhandel. Übrigens: Auch hier in Aachen, genauer in Würselen, ploppte der bisher grösste bekannte Captagon-Fall auf.
Captagon ohne Fenetyllin
Illegales Captagon, das heutzutage beschlagnahmt wird, enthält nach aktuellen Analysen in der Regel kein Fenetyllin mehr. Stattdessen handelt es sich um Tabletten, die hauptsächlich aus Amphetamin und anderen psychoaktiven Substanzen wie Koffein, Theophyllin oder Paracetamol bestehen. Diese Variabilität zeigt, dass die illegalen Produzenten bestrebt sind, die Wirkung des ursprünglichen Medikaments nachzuahmen, um Konsumenten zu täuschen. Eine Analyse der Europäischen Drogenbehörde ergab, dass in Europa beschlagnahmte Captagon-Tabletten durchschnittlich 19-20 % Amphetamin enthalten. Oft wird dabei auch Koffein als Zusatzstoff gefunden, um die psychoaktiven Effekte zu verstärken.
Die Rolle der Europäischen Union
Die Europäische Union hat im Rahmen ihrer Bemühungen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Drogenhandels Sanktionen gegen Personen und Organisationen verhängt, die an der Captagon-Produktion beteiligt sind. Im April 2023 führte die EU restriktive Maßnahmen gegen mehrere Personen durch, die dem Assad-Regime nahe stehen und für die Herstellung und den Handel mit Captagon verantwortlich gemacht werden. Diese Maßnahmen sind Teil einer umfassenden Strategie, den internationalen Drogenhandel zu bekämpfen und den Transit von illegalen Substanzen über Europa zu unterbinden.
Strafrechtliche Herausforderungen und Perspektiven
Für die Strafverfolgungsbehörden in Deutschland stellt der Captagon-Handel eine besondere Herausforderung dar. Die Netzwerke sind international vernetzt, operieren oft verdeckt und nutzen komplexe logistische Strukturen. Zudem wird die Produktion zunehmend dezentral organisiert, wobei verschiedene Produktionsschritte in unterschiedlichen Ländern durchgeführt werden, um die Entdeckung zu erschweren. Deutsche Behörden arbeiten daher eng mit internationalen Partnern wie Europol und der EMCDDA zusammen, um diese kriminellen Netzwerke zu zerschlagen und den Handel mit Captagon zu unterbinden.
Die wirtschaftlichen und politischen Verstrickungen verstärken diese Herausforderungen: Die Produktion und der Handel mit Captagon sind tief in die politischen und wirtschaftlichen Strukturen des Nahen Ostens verstrickt. Ein Bericht der Europäischen Drogenbehörde zeigt, dass die Captagon-Produktion eine bedeutende Einkommensquelle für das syrische Regime und verbündete Milizen darstellt. Der Captagon-Handel wird als „regime-gesteuertes Geschäftsmodell“ beschrieben, das maßgeblich zur Finanzierung von Repressionsmaßnahmen des Assad-Regimes beiträgt. Zudem besteht eine enge Verbindung zu libanesischen Akteuren und anderen kriminellen Organisationen in der Region. Es ist bekannt, dass kriminelle Gruppen, die auch in Europa tätig sind, an der Captagon-Produktion im Nahen Osten beteiligt sind, was die transnationale Natur dieses Handels verdeutlicht.
Tagesschau-Bericht zu Captagon
Die Tagesschau hat in einem aktuellen Bericht das Milliardengeschäft mit der Droge Captagon beleuchtet und dabei detailliert aufgezeigt, wie Deutschland zunehmend als Drehscheibe im internationalen Drogenhandel fungiert. In ihrem Bericht wird deutlich, dass Deutschland nicht mehr nur ein Transitland für Captagon ist, sondern dass die Produktion der Droge inzwischen auch hier stattfindet. Eine Untersuchung von verschiedenen ARD-Teams und der FAZ zeigt, dass Produktionsstätten wie in Regensburg mit internationalen Netzwerken verbunden sind, die eng mit syrischen und libanesischen Kartellen kooperieren.
Besonders alarmierend ist die Aussage des Bundeskriminalamts (BKA), dass nur etwa zehn Prozent des Handels bekannt seien, während der Großteil im Dunkelfeld abläuft. Laut Tagesschau könnte dies in Zukunft ein ernsthaftes Problem für Deutschland und Europa darstellen, da immer mehr Drogenkartelle ihre Produktion nach Europa verlagern, um unabhängiger von syrischen Netzwerken zu agieren.
Der Bericht macht auch deutlich, dass die Gewinne aus dem Captagon-Handel massiv in die Kassen des Assad-Regimes und der Hisbollah fließen, was die geopolitische Brisanz und die Auswirkungen auf die regionale Sicherheit verdeutlicht. Der Tagesschau-Bericht unterstreicht die dringende Notwendigkeit einer verstärkten internationalen Zusammenarbeit, um dieser Bedrohung effektiv zu begegnen.
Captagon im globalen Kontext
Geopolitische Dimension und staatliche Beteiligung im Captagon-Handel
Die Produktion und der Handel von Captagon haben sich in den letzten Jahren nicht nur zu einem gesundheitlichen, sondern auch zu einem erheblichen geopolitischen Problem entwickelt. Besonders in Syrien ist der Captagon-Handel eng mit den Machterhaltungsstrategien des Assad-Regimes verknüpft. Der Bericht der europäischen Drogenbehörde zeigt, dass regierungsnahe Akteure und sogar Ministerialebenen aktiv an der Produktion beteiligt sind. Der Handel mit Captagon dient dabei als finanzielle Lebensader angesichts der internationalen Sanktionen und der wirtschaftlichen Isolation des Landes. Syrische Regierungsvertreter nutzen ihre Infrastruktur, insbesondere Häfen wie Latakia, um große Mengen an Captagon-Tabletten über das Mittelmeer nach Europa und Nordafrika zu schmuggeln.
Logistische Unterstützung durch nicht-staatliche Akteure
Eine wesentliche Rolle spielt hierbei die Hisbollah, die technische und logistische Unterstützung für die Produktion und den Schmuggel bietet. Die libanesische Miliz nutzt ihre Netzwerke und Expertise im Drogenhandel, um die Transportwege zu sichern und sicherzustellen, dass die Drogen auch außerhalb des Nahen Ostens in Märkte gelangen. Besonders im Qalamoun-Gebirge entlang der syrisch-libanesischen Grenze werden solche Kooperationen sichtbar, wobei Hisbollah-Kämpfer und staatlich unterstützte Milizen eng zusammenarbeiten, um den Handel zu schützen und zu expandieren.
Verlagerung der Produktionsstätten und neue Schmuggelrouten
Ein weiterer zentraler Punkt des Berichts ist die Verlagerung der Captagon-Produktion in Syrien von kleineren, mobilen Laboratorien hin zu industriellen Großanlagen in regimekontrollierten Gebieten. Diese Umstellung ging einher mit der Verlagerung der Transportwege. Während früher Landrouten über die Türkei und Jordanien eine größere Rolle spielten, verlagert sich der Schmuggel zunehmend auf maritime Routen, um Europa und Nordafrika als neue Transit- und Konsummärkte zu erschließen. Die Anpassungsfähigkeit der Schmuggler zeigt sich darin, dass sie zunehmend containerisierte Fracht nutzen und auch offizielle Häfen wie Tartus und Latakia verwenden, um den Drogenhandel international auszuweiten.
Gesundheitliche Risiken und die chemische Variabilität von Captagon
Ein weiteres Problem ist die Variabilität in der chemischen Zusammensetzung der Captagon-Tabletten. Aufgrund des eingeschränkten Zugangs zu Vorläufersubstanzen experimentieren die Produzenten mit verschiedenen Formeln, was zu einem erheblichen Gesundheitsrisiko für die Konsumenten führt. So wurden bei Analysen toxische Substanzen wie Nickel und Zink nachgewiesen, die zu schweren gesundheitlichen Schäden führen können. Diese chemische Variabilität macht es zudem schwieriger, das Produkt zu überwachen und die Produktion zu kontrollieren.
Die Nutzung des Captagon-Handels als Machtinstrument
Das Assad-Regime und seine Verbündeten nutzen den Captagon-Handel nicht nur zur finanziellen Unterstützung, sondern auch zur Festigung von Machtstrukturen innerhalb der Region. Die Einnahmen aus dem Drogenhandel fließen in die Finanzierung von Milizen und anderen bewaffneten Gruppen, die das Regime stützen. Dabei wird Captagon nicht nur als Finanzierungsquelle genutzt, sondern auch als Rekrutierungswerkzeug. Es gibt Hinweise darauf, dass Soldaten des syrischen Militärs und Mitglieder regierungsnaher Milizen Captagon zu günstigeren Konditionen angeboten wird, um diese an die Front zu locken und ihre Kampfmoral zu erhöhen.
Neue Zielmärkte: Europa und Nordafrika
Während der Golf weiterhin der Hauptabsatzmarkt für Captagon bleibt, deutet der Bericht darauf hin, dass Nordafrika und Südeuropa zunehmend als Transit- und potenzielle Konsummärkte dienen. Es ist unklar, ob diese Regionen nur als Durchgangsstationen für den Handel in andere Märkte genutzt werden oder ob sie sich als neue Konsummärkte etablieren könnten. Dies erfordert eine verstärkte Überwachung und Koordination von Strafverfolgungsbehörden, um diesen Trend zu bekämpfen.
Fazit
Captagon stellt im deutschen Strafrecht eine wachsende Herausforderung dar, da das Land als Transitregion für den internationalen Handel mit dieser Substanz genutzt wird. Die strafrechtliche Verfolgung von Captagon-Fällen erfordert eine enge internationale Zusammenarbeit sowie spezialisierte Kenntnisse der Netzwerke und ihrer Verflechtungen. Die EU und Deutschland setzen auf Sanktionen und Strafverfolgung, um die Produktion und den Handel dieser Droge nachhaltig zu bekämpfen und die Verbreitung in Europa einzudämmen.
Die aktuellen Entwicklungen im Captagon-Handel zeigen, dass es sich um ein komplexes, geopolitisch aufgeladenes Phänomen handelt, das weit über die Grenzen Syriens und des Nahen Ostens hinausreicht. Die enge Verknüpfung des Handels mit staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren, die chemische Variabilität und die Expansion in neue Märkte erfordern eine koordinierte internationale Reaktion, um diese wachsende Bedrohung effektiv zu bekämpfen.
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