Der BGH (VIII ZR 246/16) konnte sich zu der Frage äussern, wie genau es sich mit der Untersuchungsobligenheit im geschäftlichen Verkehr verhält. Dabei konnte der BGH sich einmal zum Umfang der Untersuchungsobliegenheit äussern, aber auch zur prozessualen Frage des notwendigen Vortrags hinsichtlich des Vorliegend eines Handelsbrauchs.
Umfang der Untersuchungsobliegenheit nach §377 HGB
So führt der BGH aus, dass hinsichtlich der Untersuchungsobliegenheit nach § 377 Abs. 1 darauf abzustellen ist, welche in den Rahmen eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs fallenden Maßnahmen einem ordentlichen Kaufmann im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung auch der schutzwürdigen Interessen des Verkäufers zur Erhaltung seiner Gewährleistungsrechte zugemutet werden können.
Bei dieser Abwägung von Positionen ist mit dem BGH zu berücksichtigen:
- Dass die Vorschriften über die Mängelrüge in erster Linie den Interessen des Verkäufers dienen, der nach Möglichkeit davor geschützt werden soll, sich längere Zeit nach der Lieferung oder nach der Abnahme der Sache etwaigen, dann nur schwer feststellbaren oder durch die Untersuchung vermeidbaren Gewährleistungsansprüchen ausgesetzt zu sehen.
- Allerdings dürfen die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Untersuchung nicht überspannt werden, weil ansonsten der Verkäufer, aus dessen Einflussbereich der Mangel kommt, in die Lage versetzt werden könnte, das aus seinen eigenen fehlerhaften Leistungen herrührende Risiko über das Erfordernis der Mängelrüge auf den Käufer abzuwälzen.
Knackpunkt ist letztlich die Frage, wo die Grenze des Zumutbaren liegt: Anhaltspunkte für die Grenzen der Zumutbarkeit bilden mit dem BGH vor allem
- der für eine Überprüfung erforderliche Kosten- und Zeitaufwand,
- die dem Käufer zur Verfügung stehenden technischen Prüfungsmöglichkeiten,
- das Erfordernis eigener technischer Kenntnisse für die Durchführung der Untersuchung beziehungsweise die Notwendigkeit, die Prüfung von Dritten vornehmen zu lassen
Das bedeutet hinsichtlich des Untersuchungsumfangs, dass die von § 377 Abs. 1 HGB geforderte Untersuchung letztlich nicht von derartigem Umfang und solcher Intensität sein, dass sie nach Art einer „Rundum-Untersuchung“ alle irgendwie in Betracht kommenden Mängel der Ware erfasst. Ein solcher Weg ist auch über allgemeine Geschäftsbedingungen nicht möglich, wie der BGH klar gestellt hat: Dabei ist es durchaus möglich, sowohl Art als auch Umfang einer gebotenen Untersuchung durch AGB in bestimmter Weise vorzugeben bzw. zu vereinbaren. Dies insbesondere im Hinblick auf die zu untersuchenden Eigenschaften und der dabei vorzugsweise anzuwendenden Methoden – jedenfalls wenn dies durch die Umstände veranlasst oder durch eine in dieser Richtung verlaufende Verkehrsübung vorgezeichnet ist und die Konkretisierung oder Generalisierung eine hinreichende Rücksichtnahme auf die beiderseitigen Interessen erkennen lässt.
Das bedeutet dann aber auch, dass es mit dem BGH unangemessen benachteiligend ist, wenn die Klausel ohne nähere Differenzierung nach Anlass und Zumutbarkeit stets eine vollständige Untersuchung der Ware auf ein Vorhandensein aller nicht sofort feststellbarer Mängel fordert und keinen Raum für Abweichungen lässt, in denen eine Untersuchung vernünftigerweise unangemessen ist oder dem Käufer sonst billigerweise nicht mehr zugemutet werden kann. Auf keinen Fall möglich ist es, dem Käufer in AGB die Untersuchung der Ware durch einen neutralen Sachverständigen vorzuschreiben.
Vortrag zum Handelsbrauch im Zivilprozess
Der BGH stellt klar, dass für die schlüssige Darstellung eines Handelsbrauchs nicht die bloße Behauptung genügt, in einem bestimmten Geschäftsbereich werde üblicherweise etwas in einer bestimmten Weise gehandhabt. Zwingend ist vielmehr der Sachvortrag konkreter Anknüpfungstatsachen, die den Schluss auf eine in räumlicher, zeitlicher und personeller Hinsicht ausreichende einheitliche, auf Konsens der beteiligten Kreise hindeutende Verkehrsübung in Bezug auf einen bestimmten Vorgang zulassen:
Für die schlüssige Darstellung eines Handelsbrauchs genügt nicht die bloße Behauptung, in einem bestimmten Geschäftsbereich werde üblicherweise etwas in einer bestimmten Weise gehandhabt. Ein solcher Vortrag erschöpft sich in der rechtlichen Aussage, die in § 346 HGB bestimmten Voraussetzungen für einen Handelsbrauch seien erfüllt, und gibt hierfür keine Tatsachen an. Unerlässlich ist vielmehr der Vortrag konkreter Anknüpfungstatsachen, die den Schluss auf eine in räumlicher, zeitlicher und personeller Hinsicht ausreichende einheitliche, auf Konsens der beteiligten Kreise hindeutende Verkehrsübung in Bezug auf einen bestimmten Vorgang zulassen (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 2017 – XI ZR 562/15, WM 2017, 1643 Rn. 57; OLG Celle, NJW-RR 2000, 178, 179; Urteil vom 7. Februar 2002 – 11 U 163/01, juris Rn. 18; OLG Stuttgart, TranspR 2004, 406, 410; OLG Düsseldorf, Urteil vom 2. November 2005 – VI-U (Kart) 13/05, juris Rn. 28; OLG Koblenz, NJW-RR 2006, 1065, 1066).
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