Der Beschluss des Kammergerichts (KG) Berlin vom 27. Mai 2024 (Az.: 3 ORs 41/24) thematisiert die Herausforderungen bei der Bewertung der Schuldfähigkeit eines Angeklagten auf Basis eines polizeilichen Atemalkoholtests. Das Gericht setzte sich insbesondere mit der Frage auseinander, wie forensisch verwertbar die Ergebnisse solcher Vortests sind und inwieweit sie zur Grundlage für eine Beurteilung der Schuldfähigkeit gemacht werden können.
Rechtliche Aspekte
1. Wissenschaftliche Validität des Atemalkoholtests
Das Gericht stellte klar, dass die Ergebnisse eines Atemalkoholtests, bei dem der Atemalkoholwert in Milligramm pro Liter Blut gemessen und in einen Promillewert umgerechnet wird, keine wissenschaftlich validen Ergebnisse darstellen. Vielmehr handelt es sich um eine statistische Näherung, die nur bedingt forensisch verwertbar ist.
Dieser Punkt ist von entscheidender Bedeutung, da der Tatrichter bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit nicht allein auf diese Ergebnisse vertrauen sollte. Die Umrechnung von mg/l in Promille, wie sie häufig bei polizeilichen „Vortests“ angewendet wird, basiert auf einer allgemeinen Formel, die jedoch nicht die individuellen physiologischen Unterschiede berücksichtigt und daher keine präzisen Rückschlüsse auf den tatsächlichen Blutalkoholgehalt zulässt.
2. Befassung mit § 20 StGB bei signifikant hohen Werten
Das Gericht wies darauf hin, dass bei hohen Atemalkoholwerten eine Befassung mit der Frage der Schuldfähigkeit gemäß § 20 StGB grundsätzlich erforderlich ist. Allerdings betonte das KG Berlin, dass die Richtigkeit dieser Näherungswerte nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit belegt ist. Daher können diese Werte durch andere Beweisanzeichen, wie etwa ein kontrolliertes Leistungsverhalten des Angeklagten, leichter entkräftet werden als bei prozessual validen Blutalkoholwerten.
Das bedeutet, dass die gemessenen Werte nicht isoliert betrachtet werden sollten, sondern im Kontext der gesamten Beweislage zu bewerten sind. Beispielsweise könnte ein Angeklagter trotz hoher gemessener Werte noch in der Lage sein, komplexe Handlungen kontrolliert auszuführen, was gegen eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit spricht.
3. Anforderung an das Revisionsgericht
Das Revisionsgericht muss sicherstellen können, dass der Tatrichter kein irrtümlich unzutreffendes Messergebnis (z.B. Promille statt mg/l oder Blutalkohol statt Atemalkohol) seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat.
Diese Anforderung ist von großer Bedeutung, da ein solcher Irrtum zu einer falschen Einschätzung des Grads der Alkoholisierung und damit der Schuldfähigkeit führen könnte. Das KG Berlin verweist auf die Notwendigkeit, dass das Revisionsgericht solche potenziellen Fehler ausschließt, um eine gerechte Entscheidung zu gewährleisten.
Resümee
Der Beschluss des KG Berlin verdeutlicht die begrenzte Verwertbarkeit von Atemalkoholtests im Rahmen strafrechtlicher Verfahren, insbesondere bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit. Die Entscheidung unterstreicht die Notwendigkeit, solche Ergebnisse kritisch zu hinterfragen und im Kontext weiterer Beweisanzeichen zu bewerten. Zudem betont sie die Verantwortung des Revisionsgerichts, sicherzustellen, dass keine fehlerhaften Messergebnisse die Grundlage für gerichtliche Entscheidungen bilden.