Die rechtliche Zulässigkeit nachvertraglicher Werbung beschäftigt Datenschutzbehörden und Unternehmen gleichermaßen. In einem aktuellen Urteil hatte sich das Verwaltungsgericht (VG, 4 K 2873/23) Bremen mit der Frage zu befassen, ob ein Energieversorger personenbezogene Daten ehemaliger Kunden für Haustürwerbung bis zu 24 Monate nach Vertragsende nutzen darf. Der Fall wirft grundlegende Fragen zur Reichweite des Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO, zur Zweckbindung und zur Interessenabwägung auf.
Sachverhalt
Die Klägerin, ein in Bremen ansässiger Energieversorger, führte zur Rückgewinnung ehemaliger Kunden Haustürwerbeaktionen durch. Hierfür verarbeitete sie Namen, Adressen sowie Vertrags- und Zählerdaten bis zu 24 Monate nach Vertragsende. Die Datenschutzaufsichtsbehörde untersagte diese Datenverarbeitung über einen Zeitraum von sechs Monaten hinaus und setzte ein Zwangsgeld fest. Sie argumentierte, die nachvertragliche Nutzung verstoße gegen die DSGVO, da eine Interessenabwägung zu Lasten des Versorgers ausfalle und eine Einwilligung erforderlich sei.
Die Entscheidung liefert Unternehmen praxisrelevante Leitlinien für zulässige nachvertragliche Werbemaßnahmen – und betont die Bedeutung einer klaren Datenschutzkommunikation.
Rechtliche Würdigung
1. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt
Das VG stellt zunächst klar, dass für die Rechtmäßigkeit der Anordnung auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen ist. Für die Beurteilung, ob eine Datenverarbeitung rechtmäßig ist, gilt nach Art. 6 Abs. 1 DSGVO ein abschließender Katalog von Erlaubnistatbeständen.
2. Primär- und Sekundärzweck der Verarbeitung
Die Verarbeitung zu Werbezwecken während eines laufenden Vertrags stellt unstrittig einen Primärzweck dar. Die nachvertragliche Haustürwerbung wurde vom Gericht hingegen als Sekundärzweck bewertet, der nur dann zulässig ist, wenn er mit dem Primärzweck vereinbar ist (Art. 6 Abs. 4 DSGVO).
3. Vereinbarkeit mit dem ursprünglichen Zweck und Informationspflichten
Die Klägerin hatte in ihren Datenschutzinformationen den Zweck der Direktwerbung benannt, allerdings primär für Postwerbung. Das Gericht folgte der Argumentation, dass die Haustürwerbung nicht hinreichend transparent dargestellt wurde. Gleichwohl sah es aufgrund der allgemeinen Bekanntheit solcher Werbeformen und der engen Bindung im Energielieferungsbereich eine hinreichende Zweckkompatibilität.
4. Interessenabwägung gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO
Im Rahmen der Interessenabwägung betonte das VG die grundsätzliche Anerkennung von Direktwerbung als berechtigtes Interesse. Haustürwerbung sei nach § 7 UWG zulässig, solange kein ausdrücklicher Werbewiderspruch vorliege. Die bloße Kündigung eines Vertrags genüge hierfür nicht. Die Datenverarbeitung sei erforderlich, da mildere Mittel, wie ein Verzicht auf personenbezogene Daten oder eine anonyme Ansprache, nicht gleich geeignet seien. Der Zeitraum von 24 Monaten sei angesichts üblicher Vertragslaufzeiten im Energiemarkt verhältnismäßig.
Das Urteil fügt sich in eine Linie ein, die Direktwerbung ohne ausdrückliche Einwilligung unter engen Voraussetzungen zulässt. Die Entscheidung verdeutlicht aber auch, dass Unternehmen bei der Gestaltung von Datenschutzerklärungen präzise und kanalspezifisch informieren müssen, um sich auf Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO stützen zu können. Die Vereinbarkeit von Primär- und Sekundärzwecken bleibt eine Einzelfallfrage, die sich an der Erwartungshaltung der Betroffenen orientiert.
Fazit
Das VG Bremen stärkt mit diesem Urteil die Möglichkeit von Unternehmen, auch nach Vertragsende Direktwerbung unter den Bedingungen der DSGVO durchzuführen. Voraussetzung ist jedoch eine sorgfältige Dokumentation der Interessenabwägung sowie eine transparente und kanalspezifische Information der Betroffenen. Die Entscheidung zeigt, dass Datenschutzaufsichtsbehörden ihre Anordnungen präzise begründen müssen und die Rechtsprechung den Gestaltungsspielraum der Verantwortlichen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben schützt.
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