Corona & Prostitution: Schließung von Prostitutionsstätten vorläufig außer Vollzug gesetzt

Der 13. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat mit zwei Beschlüssen vom 28. August 2020 über Normenkontrolleilanträge entschieden, die sich gegen die in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der (6.) Niedersächsischen Verordnung zur Neuordnung der Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 vom 10. Juli 2020 (im Folgenden: Corona-VO) angeordnete Schließung von Prostitutionsstätten, Bordellen und ähnlichen Einrichtungen sowie der Straßenprostitution richteten.

In einem Verfahren hatte sich ein Vermieter von Prostitutionsfahrzeugen (sog. Lovemobilen) gegen die Schließung gewandt (Az.: 13 MN 299/20). Der 13. Senat hat in diesem Verfahren festgestellt, dass Lovemobile begrifflich nicht unter § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Corona-VO fallen, und diesen Antrag daher mangels Antragsbefugnis des Antragstellers verworfen. Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, dass der Verordnungsgeber, wenn er die Bereitstellung von Prostitutionsfahrzeugen verbieten wollte, den entsprechenden Rechtsbegriff aus § 2 des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) hätte verwenden müssen, der unter dem Oberbegriff „Prostitutionsgewerbe“ Prostitutionsstätten, Prostitutionsfahrzeuge, Prostitutionsveranstaltungen und Prostitutionsvermittlung regele.

Die Entscheidung sollte gerade auch im Hinblick auf Bußgelder für Prostituierte eine erhebliche Beachtung finden: Wo nämlich die Rechtsgrundlage für das Verbot bereits rechtswidrig ist muss man auch die Aussprache von Bussgeldern zumindest in Zweifel ziehen. Auch hier aber kommt es auf den Einzelfall an, jedenfalls dürfte es sich lohnen, bei Bussgeldern im Zusammenhang mit Corona und prüfen zu lassen, ob sich eine Gegenwehr lohnt.

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Jens Ferner

Strafverteidiger

Der Antragsteller des zweiten Verfahrens betreibt in Braunschweig eine derzeit geschlossene Prostitutionsstätte (Az.: 13 MN 307/20). Er hat seinen Antrag im Wesentlichen damit begründet, dass das vollständige und ausnahmslose Verbot, Prostitutionsstätten, Bordelle und ähnliche Einrichtungen sowie die Straßenprostitution für den Publikumsverkehr und Besuche zu öffnen, eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber den seit längerem unter Schutz- und Hygieneauflagen zugelassenen sog. körpernahen Dienstleistungen darstelle und daher gegen das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoße.

Dieser Antrag hatte Erfolg. Der Senat hat die in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Corona-VO enthaltene Regelung vorläufig und mit allgemeinverbindlicher Wirkung außer Vollzug gesetzt. Zur Begründung hat er zunächst herausgestellt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für ein staatliches Handeln auch angesichts des aktuellen Infektionsgeschehens weiterhin erfüllt seien. Die zuständigen Infektionsschutzbehörden seien allerdings verpflichtet, die Schutzmaßnahmen fortlaufend zu überprüfen und zu hinterfragen, ob es angesichts neuer Erkenntnisse etwa zu den Verbreitungswegen des Virus oder zur Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems verantwortet werden könne, die Schließung unter – gegebenenfalls strengen – Auflagen weiter zu lockern. In Bezug auf die in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Corona-VO enthaltene vollständige und ausnahmslose Schließungsanordnung spreche Überwiegendes dafür, dass diese Anordnung jedenfalls nicht mehr erforderlich sei, weil den Betreibern derartiger Einrichtungen mildere Beschränkungen auferlegt werden könnten, die den Gesundheitsschutz gleichermaßen fördern könnten. Zu berücksichtigen sei zunächst, dass sich die Schließungsanordnung nur auf bestimmte Einrichtungen und auf die Anbahnung und Erbringung sexueller Dienstleistungen auf den und im Umfeld der öffentlichen Straßen und Anlagen (Straßenprostitution) beziehe, während die Ausübung der Prostitution z.B. in Privatwohnungen oder Hotelzimmern ebenso wenig verboten sei wie die Bereitstellung von Prostitutionsfahrzeugen. Vor diesem Hintergrund könne es nur um eine Minimierung, nicht um einen völligen Ausschuss einer Infektionsgefahr im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen gehen. Dieser Zweck könne auch durch spezielle Hygienekonzepte sowie der Erhebung der Kontaktdaten erreicht werden. Den von dem Antragsgegner vorgetragenen Bedenken, wonach von vornherein wegen des im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen vorstellbaren erhöhten Bedürfnisses der Kunden nach Diskretion eine Einhaltung derartiger Vorgaben nicht kontrollierbar sei, ist der Senat mit eingehender Begründung nicht gefolgt:

Zu beachten ist auf der anderen Seite allerdings, dass der dabei typischerweise vorkommende Kontakt zwischen einer Dienstleisterin und einem Kunden der in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der (6.) Verordnung genannten Einrichtungen sich auf die Anwesenheit zweier Personen im Zimmer beschränkt, so dass die Gefahr der Bildung zahlloser Infektionsketten bereits in diesem Raum (wie etwa bei sonstigen Veranstaltungen in geschlossenen Räumen einschließlich Kinovorführungen, an denen nach § 24 Abs. 2 Satz 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung unter Beachtung verschiedener Hygiene- und Schutzauflagen bis zu 500 Personen gleichzeitig teilnehmen dürfen, vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 24.8.2020 – 13 MN 297/20 -, juris Rn. 36) nicht gegeben ist. Dem entspricht es, wenn das Robert Koch-Institut in seiner Stellungnahme vom 1. August 2020 (a.a.O.), zu der Feststellung gelangt, Erkenntnisse dazu, dass es sich bei der Erbringung sexueller Dienstleistungen um „Super-Spreader“-Ereignisse handele, gebe es bislang nicht.

Die vollständige Schließung von Prostitutionsstätten sei daher unverhältnismäßig und verletze den Antragsteller in seinem Grundrecht auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG). Ob zugleich ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vorliege, könne daher offen gelassen werden.

Die vorläufige Außervollzugsetzung habe zur Folge, dass bis zu einer möglichen Neuregelung durch den Verordnungsgeber für sexuelle Dienstleistungen auch die in § 8 Abs. 1 der Corona-VO enthaltenen allgemeinen Regelungen für körpernahe Dienstleistungen (Erstellung eines Hygienekonzepts, Einhaltung von Abstand zwischen den Kunden, Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, Desinfektion nach jedem Kunden, Dokumentation der Kontaktdaten) Anwendung fänden. (Quelle: Pressemitteilung des Gerichts)

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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