LSG Baden-Württemberg verneint analoge Anwendung des § 8 Abs. 2 S. 3 SGB IV: Das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 16.12.2024 (Az. L 4 BA 2582/22) beschäftigt sich mit einem ebenso praxisrelevanten wie rechtlich vielschichtigen Thema: der sozialversicherungsrechtlichen Einordnung von Saisonarbeitskräften und der Frage, ob bei Falschangaben zum beruflichen Status ein Vertrauensschutz zugunsten des Arbeitgebers greift.
Im Zentrum steht die Beschäftigung polnischer Erntehelfer, die laut Fragebogen „Hausmänner“ waren, tatsächlich aber wirtschaftlich auf die Tätigkeit in Deutschland angewiesen waren. Der Kläger – ein Landwirt – wollte für diese keine Sozialabgaben entrichten. Zu Unrecht, wie das Gericht entschied.
Sachverhalt
Der Kläger, Betreiber eines landwirtschaftlichen Betriebs, beschäftigte zwischen 2014 und 2017 mehrere polnische Saisonarbeitskräfte auf Basis befristeter Arbeitsverträge. Die Beschäftigten gaben in Formularen an, im Herkunftsland als Hausmänner tätig zu sein. Damit sollten sie als kurzfristig geringfügig Beschäftigte nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV gelten – und damit sozialversicherungsfrei bleiben.
Im Rahmen einer Betriebsprüfung stellte die Rentenversicherung jedoch fest, dass die Beschäftigungen aufgrund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung berufsmäßig ausgeübt wurden, was zur Versicherungspflicht führte. Der Kläger wehrte sich unter anderem mit dem Argument, § 8 Abs. 2 Satz 3 SGB IV sei analog anzuwenden, da er sich auf die vermeintlich zutreffenden Angaben der Beschäftigten verlassen habe.
Rechtliche Analyse
Berufsmäßigkeit bei Saisonarbeit: Keine Fiktion, sondern Realität
Das LSG stellt klar: Eine kurzfristige Beschäftigung ist dann berufsmäßig und damit nicht mehr sozialversicherungsfrei, wenn sie für die betroffene Person keine bloße Nebentätigkeit ist, sondern ihren Lebensunterhalt wesentlich prägt. Dies war nach Überzeugung des Gerichts bei allen betroffenen Arbeitskräften der Fall. Sie lebten zeitweise ausschließlich vom Einkommen aus der Tätigkeit auf dem Hof des Klägers. Der Verweis auf die Eigenschaft als „Hausmann“ sei vor diesem Hintergrund lebensfremd.
Keine analoge Anwendung des § 8 Abs. 2 Satz 3 SGB IV
Der Kläger wollte die Schutzregelung des § 8 Abs. 2 Satz 3 SGB IV analog anwenden: Diese Vorschrift schützt Arbeitgeber vor rückwirkenden Beitragsforderungen bei Zusammenrechnung mehrerer geringfügiger Beschäftigungen. Das LSG lehnte dies klar ab. Es fehle an einer planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber habe die Vorschrift bewusst nur für Zusammenrechnungsfälle geschaffen, um legale Beschäftigung zu fördern – nicht zum allgemeinen Vertrauensschutz bei Fehleinschätzungen des Arbeitgebers.
Kein Vertrauensschutz bei realitätsfremder Annahme
Das Gericht führt weiter aus, dass der Kläger durch offensichtlich unplausible Angaben – etwa die Berufung zweier Ehepartner als Hausfrau und Hausmann – Anlass zu weiteren Prüfungen gehabt hätte. Die bloße Vorlage eines Formulars mit amtlichem Stempel befreit nicht von der Pflicht zur Plausibilitätskontrolle. Auch deshalb greife kein Vertrauensschutz.
Strafrechtliches Risiko nach § 266a StGB
Bemerkenswert ist die Klarstellung des Klägers in seiner Argumentation: Die rückwirkende Beitragspflicht führe im Ernstfall zur Erfüllung des objektiven Tatbestands von § 266a StGB (Vorenthalten von Arbeitsentgelt). Das Gericht bestätigt – indirekt –, dass dies zwar theoretisch zutreffen könne, bei fehlendem Vorsatz aber keine Sanktionierung zu erwarten sei. Immerhin wurden die Säumniszuschläge aufgehoben.
Ergebnis
Die Kernaussage des Urteils ist eindeutig: Arbeitgeber können sich bei der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung von Saisonarbeitsverhältnissen nicht auf bloße Formularangaben verlassen, wenn diese offenkundig lebensfremd sind. Ein allgemeiner Vertrauensschutz bei Falschangaben von Beschäftigten besteht nicht. Die Entscheidung stärkt die Rechtsklarheit und unterstreicht die Pflicht zur Plausibilitätsprüfung – gerade in wirtschaftlich sensiblen Bereichen wie der Saisonarbeit.
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