Mit Beschluss vom 25.03.2025 (Az. 1 ORs 51/25) hat das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg ein bemerkenswertes Urteil zu einem ungewöhnlichen, aber rechtlich relevanten Fall gefällt: Es ging um die Frage, ob und wie Einnahmen aus Betäubungsmittelhandel bei der Berechnung des anrechenbaren Einkommens im Sozialleistungsrecht berücksichtigt werden müssen. Im Mittelpunkt stand die rechtstechnisch brisante Konstellation: Können bei illegalem Einkommen Betriebsausgaben geltend gemacht werden?
Sachverhalt
Der Angeklagte bezog Leistungen nach dem SGB II („Hartz IV“) und verschwieg dabei, dass er gleichzeitig durch den Handel mit Drogen erhebliche Einkünfte erzielte. Wegen Sozialleistungsbetrugs wurde er zunächst zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Die Vorinstanzen (Amtsgericht Emden und Landgericht Aurich) legten dem Schuldspruch zugrunde, dass die Erlöse aus dem Drogenhandel vollständig als Einkommen im Sinne des § 11 SGB II zu werten seien.
Das Landgericht Aurich nahm dabei die Bruttoeinnahmen aus dem Betäubungsmittelverkauf als „anrechenbares Einkommen“, ohne zuvor die Ausgaben für den Wareneinkauf zu ermitteln oder zu berücksichtigen. Diese unterlassene Differenzierung war letztlich Gegenstand der erfolgreichen Revision.
Rechtliche Analyse
Einkommen aus Straftaten im SGB II: eine anerkannte Größe
Grundsätzlich – so das OLG – können auch Einnahmen aus strafbaren Handlungen wie Drogenhandel als Einkommen im Sinne des § 11 SGB II berücksichtigt werden, wenn sie zur Deckung des Lebensunterhalts zur Verfügung stehen. Das ist nicht neu und wurde von der sozialgerichtlichen Rechtsprechung bereits bestätigt (z. B. LSG Hamburg, Urt. v. 04.06.2019 – L 4 AS 203/16).
Abzug von Aufwendungen: Wertungsneutralität auch bei Straftaten
Das Novum liegt in der Konsequenz: Nach § 11b Abs. 1 Nr. 5 SGB II sind notwendige Aufwendungen, die mit der Einkommenserzielung verbunden sind, vom Einkommen abzuziehen – auch dann, wenn dieses auf Straftaten beruht. Dabei ist laut OLG eine rein wirtschaftliche und wertungsneutrale Betrachtung vorzunehmen. Strafrechtliche oder moralische Kategorien spielen keine Rolle, wenn es um die Frage geht, welche Beträge als „Nettoeinkommen“ beim Leistungsbezug relevant sind. Dies bedeutet: Auch beim Drogendealer sind Einkaufspreise Betriebsausgaben im sozialrechtlichen Sinne.
Das Gericht verweist dabei auf steuerrechtliche Parallelen sowie Urteile des FG Baden-Württemberg, das Depotgebühren zur Verschleierung von Kapitaleinkünften als Werbungskosten anerkannt hatte.
Folge: Fehlerhafte Einkommensberechnung – Urteil aufgehoben
Das Landgericht hatte es versäumt, die Aufwendungen für den Einkauf der Drogen zu ermitteln oder auch nur zu schätzen. Insofern war die Einkommensberechnung fehlerhaft. Weil nicht ausgeschlossen werden konnte, dass diese Fehleinschätzung Auswirkungen auf Schuldspruch und Einziehungsentscheidung hatte, hob das OLG das Urteil auf und verwies die Sache zurück zur erneuten Verhandlung.
Ergebnis
Die Kurzfassung: Das OLG Oldenburg bestätigt die Anrechenbarkeit illegal erzielter Einnahmen auf Sozialleistungen – verlangt aber zugleich die strikte Anwendung der einkommensmindernden Abzugstatbestände auch in diesen Fällen. Wer durch Straftaten Geld verdient, muss sich dieses zwar anrechnen lassen, darf jedoch wie jeder andere Leistungsempfänger auch „Betriebsausgaben“ geltend machen – selbst wenn sie aus illegalen Geschäften resultieren.
Diese Entscheidung ist ein Musterbeispiel für den Grundsatz rechtlicher Wertungsneutralität und verdeutlicht, dass selbst bei moralisch fragwürdigen Sachverhalten das Recht konsistent und systematisch angewendet werden muss.
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