Die digitale Verwertung von Musik hat sich in den letzten Jahren stark verändert: Streaming-Plattformen dominieren den Markt, doch mit neuen Vertriebswegen entstehen auch neue Herausforderungen. Eine davon ist der Missbrauch von Urheberrechtsbeschwerden, sogenannter „Copyright-Strikes“.
Das Landgericht Köln (Urteil vom 9. Januar 2025, Az. 14 O 387/24) hat nun entschieden, dass unberechtigte Urheberrechtsbeschwerden gegenüber Streaming-Diensten einen rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des betroffenen Künstlers darstellen. Die Entscheidung überträgt die BGH-Rechtsprechung zur unberechtigten Schutzrechtsverwarnung auf das digitale Umfeld und könnte weitreichende Konsequenzen für die Musikbranche und Content-Plattformen haben.
Sachverhalt
Im Zentrum des Falls steht ein Musiker, der nach Beendigung seines Vertrags mit einem Plattenlabel neue Musik über eine andere Vertriebsstruktur veröffentlichte. Das Label hatte sich jedoch nach der Veröffentlichung des Songs „I.“ auf diversen Streaming-Plattformen wie YouTube und Spotify mit einer Urheberrechtsbeschwerde gegen die Nutzung gewandt. Als Folge wurden die Inhalte weltweit gesperrt – eine Maßnahme, die sich für Musiker und Labels insbesondere in den ersten Tagen nach Veröffentlichung finanziell stark auswirkt.
Der Künstler wehrte sich vor Gericht und argumentierte, dass das Label keine Rechte an dem neu veröffentlichten Song habe. Das Landgericht Köln bestätigte im einstweiligen Verfügungsverfahren, dass die Urheberrechtsbeschwerde nicht gerechtfertigt war und die Sperrung der Inhalte eine unrechtmäßige Behinderung seines Gewerbebetriebs darstellte.
Rechtliche Analyse
1. Unberechtigte Urheberrechtsbeschwerde als Eingriff in den Gewerbebetrieb
Das Landgericht Köln stellte fest, dass eine unberechtigte Urheberrechtsbeschwerde gegenüber Streaming-Plattformen mit der klassischen Schutzrechtsverwarnung vergleichbar ist. In der bisherigen Rechtsprechung galt es bereits als unzulässiger Eingriff in den Wettbewerb, wenn ein Unternehmen Konkurrenten mit unberechtigten Schutzrechtsverwarnungen aus dem Markt drängen wollte (BGH, Beschluss vom 15. Juli 2005 – GSZ 1/04).
Das Gericht übertrug diese Wertung auf die digitalen Märkte. Urheberrechtsbeschwerden haben auf Plattformen wie YouTube oder Spotify oft eine unmittelbare Sperrwirkung, da die Plattformen aus Angst vor Haftungsrisiken schnell reagieren. Dies führt dazu, dass Inhalte von Künstlern vorsorglich entfernt werden – eine Situation, die von Rechteinhabern gezielt missbraucht werden kann, um Konkurrenten zu schädigen.
2. Kein Schutz für missbräuchliche Rechteberühmung
Das Gericht stellte klar, dass der Rechteinhaber seine Berechtigung konkret nachweisen muss. Das beklagte Label hatte sich darauf berufen, dass es nach wie vor Exklusivrechte an den Werken des Künstlers halte. Diese Argumentation wurde jedoch als haltlos zurückgewiesen, da die Vertragsbeziehung zwischen den Parteien bereits durch ein vorheriges Gerichtsurteil für beendet erklärt worden war.
Besonders problematisch war, dass das Label den „Copyright-Strike“ ohne vorherige Kontaktaufnahme oder eine Berechtigungsanfrage einreichte. Dies deutete für das Gericht darauf hin, dass die Maßnahme gezielt zur Behinderung des Künstlers genutzt wurde.
3. Wiederholungsgefahr und Unterlassungsanspruch
Das Landgericht bejahte eine Wiederholungsgefahr, da das Label keinerlei strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hatte. Zudem stellte das Gericht fest, dass das Label bereits zuvor ähnliche Maßnahmen gegen den Künstler ergriffen hatte, um dessen Karriere zu behindern. Diese Verhaltensweise wurde als systematische Störung des Wettbewerbs gewertet.
Bedeutung für die Musik- und Streaming-Branche
Die Entscheidung des LG Köln hat weitreichende Konsequenzen für Künstler, Labels und Streaming-Plattformen.
- Für Künstler bedeutet das Urteil eine Stärkung ihrer Rechte. Sie können sich künftig effektiver gegen missbräuchliche Urheberrechtsbeschwerden wehren. Insbesondere im digitalen Zeitalter, wo Veröffentlichungen stark von den ersten Tagen der Vermarktung abhängen, ist es entscheidend, sich gegen gezielte Behinderungen durch ehemalige Labels oder Geschäftspartner zur Wehr setzen zu können.
- Für Labels und Rechteinhaber setzt das Urteil klare Grenzen. Wer unberechtigt Schutzrechte geltend macht, riskiert nicht nur, dass eine gerichtliche Verfügung gegen ihn erlassen wird, sondern auch Schadensersatzforderungen. Das Urteil verdeutlicht, dass Plattformmechanismen nicht als taktisches Mittel zur Marktverdrängung missbraucht werden dürfen.
- Für Streaming-Plattformen könnte die Entscheidung eine Neubewertung der Sperrverfahren bedeuten. Bislang werden Urheberrechtsbeschwerden oft ohne tiefgehende Prüfung automatisch umgesetzt. Sollte sich die Rechtsprechung des LG Köln durchsetzen, könnte dies zu strengeren Anforderungen an die Beschwerdeprüfung führen, um Missbrauch zu verhindern.
Ausblick
Das Landgericht Köln hat mit seinem Urteil einen bedeutenden Beitrag zur Regulierung von Urheberrechtsbeschwerden auf digitalen Plattformen geleistet. Die Entscheidung macht deutlich, dass die Mechanismen von „Copyright-Strikes“ nicht missbraucht werden dürfen, um Konkurrenten aus dem Markt zu drängen.
Die Auswirkungen des Urteils könnten über den Einzelfall hinausgehen. Sollte sich die Rechtsauffassung durchsetzen, könnten sich Plattformen gezwungen sehen, ihre Beschwerdeverfahren transparenter und weniger anfällig für Missbrauch zu gestalten. Gleichzeitig ist es für Künstler und Content-Ersteller ein wichtiges Signal, dass sie sich gegen unberechtigte Behinderungen wehren können.
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