Notwendigkeit einer Fehlerkultur und eines Risikomanagements in der deutschen Verwaltung

Die Innovationskraft eines Landes hängt stark von der Fähigkeit ab, Risiken einzugehen und aus Fehlern zu lernen. Gerade in der öffentlichen Verwaltung, die einen erheblichen Einfluss auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung hat, sind diese Fähigkeiten entscheidend.

Die aktuelle Studie der acatech beleuchtet die Effizienz und Agilität der öffentlichen Verwaltung in Deutschland und bietet wertvolle Einblicke in die Notwendigkeit einer ausgeprägten Fehlerkultur und eines effektiven Risikomanagements. Diese Analyse zeigt, wie wichtig es ist, die Struktur und Kultur der öffentlichen Verwaltung zu modernisieren. Ein Wandel hin zu mehr Agilität und Risikobereitschaft ist notwendig, um die Innovationsfähigkeit zu steigern und den Wohlstand zu sichern.

Die Notwendigkeit einer Fehlerkultur und eines Risikomanagements

Eine Fehlerkultur in der Verwaltung ermöglicht es, aus gemachten Fehlern zu lernen und kontinuierlich Verbesserungen zu implementieren. Fehler sollten nicht als Schwächen betrachtet, sondern als Chancen zur Weiterentwicklung genutzt werden. Ein solches Umfeld fördert die Bereitschaft, neue Ideen zu entwickeln und umzusetzen, was wiederum die Innovationsfähigkeit steigert.

Risikomanagement ist hierbei ebenso zentral. In einer risikofreudigen Kultur wird nicht blindlings gehandelt, sondern systematisch analysiert, welche Risiken eingegangen werden können und welche Maßnahmen zur Risikominimierung ergriffen werden müssen. Diese strategische Herangehensweise ermöglicht es, Innovationen voranzutreiben, ohne die Stabilität und Sicherheit zu gefährden.

Wie sollte eine Fehlerkultur aussehen?

Eine effektive Fehlerkultur in der öffentlichen Verwaltung sollte mehrere zentrale Elemente enthalten:

  1. Lernbereitschaft und Offenheit: Fehler sollten als Lernmöglichkeiten betrachtet werden. Dies bedeutet, dass Mitarbeiter ermutigt werden, Risiken einzugehen und neue Ideen auszuprobieren, ohne Angst vor negativen Konsequenzen haben zu müssen​​.
  2. Schulung und Ausbildung: Bereits in der Ausbildung sollten Kompetenzen im Umgang mit Fehlern und Risiken gefördert werden. Dies hilft dabei, eine langfristige Veränderung in der zu Fehlern zu erreichen​​.
  3. Klarer Rahmen und Unterstützung: Es muss klare Leitlinien geben, wie mit Fehlern umzugehen ist. Führungskräfte spielen eine zentrale Rolle, indem sie eine Vorbildfunktion übernehmen und eine offene Kommunikation fördern. Hierzu gehört auch die Implementierung von Feedbacksystemen wie 360-Grad-Feedback und regelmäßigen Retrospektiven​​.
  4. Strukturelle Anpassungen: Die Schaffung von Innovationslaboren und interdisziplinären Teams kann dabei helfen, innovative Lösungen zu entwickeln und Fehler konstruktiv zu nutzen. Beispiele wie das InnovationLab im IT-Referat der Stadt München zeigen, wie solche Strukturen erfolgreich implementiert werden können​​.

Elemente eines effektiven Risikomanagements

Ein besseres Risikomanagement in der öffentlichen Verwaltung sollte mehrere Schlüsselelemente umfassen:

  1. Prozessmanagement etablieren: Ein permanentes Prozessmanagement ist notwendig, um Risiken kontinuierlich zu identifizieren und zu bewerten. Dies umfasst die Dokumentation und Analyse bestehender Prozesse sowie die regelmäßige Überprüfung und Optimierung dieser Prozesse​​.
  2. Interdisziplinäre Teams: Die Bildung interdisziplinärer Teams, die unterschiedliche Perspektiven und Expertise einbringen, kann helfen, Risiken frühzeitig zu erkennen und kreative Lösungen zu entwickeln. Solche Teams sollten in der Lage sein, flexibel auf Veränderungen und neue Herausforderungen zu reagieren​​.
  3. Transparenz und Kommunikation: Transparenz ist ein entscheidender Faktor im Risikomanagement. Es sollte klare Kommunikationskanäle geben, über die Informationen zu Risiken und deren Management ausgetauscht werden können. Regelmäßige Reports und Meetings tragen dazu bei, alle Beteiligten auf dem Laufenden zu halten und gemeinsame Lösungen zu entwickeln​​.
  4. Schulung und Weiterbildung: Die Kompetenzen der Mitarbeiter im Umgang mit Risiken müssen durch gezielte Schulungen und Weiterbildungsmaßnahmen gestärkt werden. Dies umfasst sowohl technische als auch methodische Kenntnisse, die für ein effektives Risikomanagement notwendig sind​​.
  5. Nutzerzentrierte Gestaltung: Bei der Digitalisierung von Verwaltungsprozessen sollte die Nutzerperspektive von Beginn an berücksichtigt werden. Dies hilft, potenzielle Risiken bereits in der Planungsphase zu identifizieren und zu minimieren​​.

Position von Deutschland im internationalen Vergleich

Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass Deutschland hinsichtlich der Digitalisierung und Agilität der öffentlichen Verwaltung hinterherhinkt. Laut dem DESI-Index liegt Deutschland bei den digitalen öffentlichen Diensten auf Platz 18 von 27 EU-Staaten. Diese Position verdeutlicht den Nachholbedarf bei der Implementierung effizienter, digitaler Verwaltungsprozesse, die entscheidend für eine moderne, innovationsfreudige Verwaltung sind.

Andere Länder, wie Estland oder Finnland, haben gezeigt, dass eine digitalisierte und agile Verwaltung nicht nur möglich, sondern auch notwendig ist, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Deutschland muss hier dringend aufholen, um die Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu sichern.

Juristen sind risikoavers

Die acatech-Studie beleuchtet kritisch den hohen Anteil von Juristen in Führungspositionen der deutschen öffentlichen Verwaltung und die damit verbundenen Herausforderungen. Juristen spielen aufgrund ihrer rechtlichen Expertise eine unverzichtbare Rolle in der Verwaltung, da sie sicherstellen, dass administrative Prozesse und Entscheidungen rechtssicher und gesetzeskonform sind. Allerdings bringt diese Dominanz von Juristen auch erhebliche Nachteile mit sich, insbesondere wenn es um Innovationsfreude und Risikobereitschaft geht.

Juristen sind durch ihre Ausbildung darauf trainiert, Risiken zu minimieren und rechtliche Sicherheit zu gewährleisten. Diese Denkweise führt oft zu einer Kultur der Übervorsicht, bei der der Fokus stark auf Fehlervermeidung und Einhaltung gesetzlicher Vorgaben liegt. Dies kann die Innovationsfähigkeit erheblich einschränken, da neue und unkonventionelle Ansätze häufig mit Unsicherheiten verbunden sind und ein gewisses Maß an Risiko erfordern. In einer Verwaltung, die stark von juristischem Denken geprägt ist, werden solche Ansätze oft schon im Keim erstickt, was zu einer starren und wenig dynamischen Verwaltungskultur führt.

Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass Deutschland mit knapp über 45 Prozent den höchsten Anteil an Juristen in Führungspositionen der öffentlichen Verwaltung aufweist. Dieser Wert liegt deutlich über dem europäischen Durchschnitt und stellt eine Besonderheit dar. Länder wie Schweden und Norwegen haben einen wesentlich geringeren Anteil an Juristen in leitenden Positionen und weisen gleichzeitig eine höhere Agilität und Innovationsfähigkeit in ihren Verwaltungsstrukturen auf. Diese Länder profitieren von einer diverseren Zusammensetzung ihrer Führungskräfte, die neben rechtlicher Expertise auch Erfahrungen aus der Privatwirtschaft und anderen Fachbereichen einbringen. Diese Vielfalt an Perspektiven fördert eine offenere und risikobereitere Kultur, die für die Bewältigung der Herausforderungen des digitalen Wandels unerlässlich ist.

Hemmt Vorsicht im Umgang mit Risiken die Innovationsfreude?

Die Studie zeigt, dass eine übermäßige Vorsicht und das Bestreben, Fehler um jeden Preis zu vermeiden, die Innovationsfreude in der öffentlichen Verwaltung erheblich einschränken können. Eine Kultur, die ausschließlich auf Fehlervermeidung ausgerichtet ist, behindert kreative Lösungsansätze und die Bereitschaft, neue Wege zu beschreiten.

Hier ist ein Umdenken erforderlich. Fehler sollten als integraler Bestandteil des Innovationsprozesses betrachtet werden. Eine Verwaltung, die bereit ist, kalkulierte Risiken einzugehen und aus Fehlern zu lernen, wird langfristig erfolgreicher sein und den Herausforderungen der Zukunft besser gewachsen sein.

Gigerenzers Perspektive auf Risiko

Der renommierte Risikoforscher Gerd Gigerenzer hat in seinen Arbeiten betont, dass Menschen und Organisationen lernen müssen, mit Unsicherheiten umzugehen und Entscheidungen unter Unsicherheit zu treffen. Gigerenzer argumentiert, dass eine gewisse Risikokompetenz notwendig ist, um in einer komplexen Welt erfolgreich zu agieren.

Für die öffentliche Verwaltung bedeutet dies, dass neben der klassischen Risikominimierung auch eine Risikokompetenz entwickelt werden muss. Dies umfasst die Fähigkeit, Unsicherheiten zu akzeptieren und dennoch fundierte Entscheidungen zu treffen. Ein solches Risikomanagement kann helfen, die Verwaltung agiler und anpassungsfähiger zu machen, was letztlich auch die Innovationsfähigkeit stärkt.


Ausblick: Was kann von dieser Studie erwartet werden?

Die Erkenntnisse aus der acatech-Studie bieten eine wertvolle Grundlage für eine Reform der öffentlichen Verwaltung in Deutschland. Durch die Förderung einer Fehlerkultur und die Implementierung eines strategischen Risikomanagements kann die Verwaltung effizienter und innovativer werden. Die Herausforderungen sind groß, doch die Chancen, die sich daraus ergeben, ebenso.

Ein verstärkter Fokus auf digitale Transformation, die gezielte Rekrutierung von Fachkräften mit unterschiedlichen beruflichen Hintergründen und die Förderung einer agilen und risikokompetenten Führungskultur sind wesentliche Schritte, um die Verwaltung zukunftsfähig zu machen. Wenn diese Maßnahmen konsequent umgesetzt werden, kann die deutsche Verwaltung nicht nur die aktuellen Herausforderungen meistern, sondern auch als Vorbild für andere Länder dienen.

Soweit die hohe Anzahl von Juristen in Führungspositionen der öffentlichen Verwaltung angesprochen wird, wird wohl zu Recht darauf verwiesen, dass diese Tendenz zur juristischen Dominanz zu einer kulturbedingten Risikoscheu führt, die Innovationen hemmt. Juristen sind nun einmal durch ihre Ausbildung darauf trainiert, Risiken zu minimieren und rechtliche Sicherheit zu gewährleisten. Aber das sollte auch die Frage aufwerfen, ob man nicht deswegen die Art wie Juristen ausgebildet werden, auf den Prüfstand stellt.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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