Entbindung vom Schöffenamt wegen beruflicher Verhinderung

Das Oberlandesgericht Hamm, 2 Ws 36/20, hat klargestellt, dass die Entscheidung des Vorsitzenden, einen Schöffen auf dessen Antrag wegen beruflicher Verhinderung an einem bestimmten Sitzungstag von der Dienstleistung zu entbinden, von dem zur Entscheidung über den Besetzungseinwand nach § 222b Abs. 3 StPO berufenen Rechtsmittelgericht nur auf Willkür zu überprüfen ist. Ist dem Schöffen aus beruflichen Gründen die Teilnahme an einem Sitzungstag der auf mehrere Tage anberaumten unzumutbar, so ist dessen Entbindung durch den Vorsitzenden unter Verzicht auf die denkbare Anberaumung eines „Ersatzfortsetzungstermins“ in aller Regel nicht willkürlich:

Ob einem Schöffen die Dienstleistung im Sinne von § 54 Abs. 1 S. 1 GVG zugemutet werden kann, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei ist – zur Wahrung des Rechts auf den gesetzlichen Richter – ein strenger Maßstab anzulegen. Berufliche Gründe rechtfertigen dabei nur ausnahmsweise die Verhinderung eines Schöffen. Zu berücksichtigen sind daher lediglich Berufsgeschäfte, die der Schöffe nicht oder nicht ohne erheblichen Schaden für sich oder den Betrieb aufschieben oder bei denen er sich nicht durch einen anderen vertreten lassen kann, weil die Geschäfte ihrer Art nach ein Vertreter nicht zulassen oder ein geeigneter Vertreter nicht zur Verfügung steht (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 04.02.2015, 2 StR 76/14, zitiert nach juris). Der zur Entscheidung nach § 54 Abs. 1 GVG berufene Richter hat unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere unter Berücksichtigung der Belange des Schöffen, des Verfahrensstandes und der voraussichtlichen Dauer des Verfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen über die in Rede stehende Entbindung zu entscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 02.05.2018, 2 StR 317/17 m.w.N, zitiert nach juris).

Diese Ermessensentscheidung des Kammervorsitzenden ist durch den Senat im Rahmen der Überprüfung nach § 222b Abs. 3 StPO lediglich am Willkürmaßstab zu messen.

Dies hat der BGH unter Geltung der alten Rechtslage vor Novellierung des § 222b StPO durch das am 13.12.2019 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10.12.2019 mit Blick auf § 54 Abs. 3 S. 1 GVG, § 336 S. 2 Alt. 1 StPO klargestellt. Eine Richtigkeitsprüfung kommt danach über den Willkürmaßstab hinaus nicht in Betracht und ist auch verfassungsrechtlich nicht geboten (vgl. BGH, Urteil vom 22.11.2013, 3 StR 162/13; Urteil vom 05.08.2015, 5 StR 276/15, Urteil vom 08.05.2018, 5 StR 108/18 u.a., jeweils zitiert nach juris). Das Revisionsgericht hatte – nach der bis zum 13.12.2019 geltenden Rechtslage – die Entscheidung auf eine diesbezügliche Verfahrensrüge nicht auf ihre Richtigkeit, sondern allein daraufhin zu überprüfen, ob sie sich unter Berücksichtigung des Grundgedankens des § 54 GVG als unvertretbar und damit als objektiv willkürlich erweist (vgl. BGH Urteil vom 02.05.2018, 2 StR 317/17 m.w.N, zitiert nach juris). Willkür in diesem Sinne liegt nicht erst bei einer bewussten Fehlentscheidung, sondern bereits dann vor, wenn die mit der Entbindung des Schöffen verbundene Bestimmung des gesetzlichen Richters grob fehlerhaft ist und sich so weit vom Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt, dass sie nicht mehr gerechtfertigt erscheint (vgl. BGH, Urteil vom 14.12.2016, 2 StR 342/15, zitiert nach juris).

Oberlandesgericht Hamm, 2 Ws 36/20
Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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