Beschwerde gegen falsch adressierten Strafbefehl

In einer in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerten Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe (16 Qs 14/24) wurde die Bedeutung einer korrekten Adressierung in strafrechtlichen Entscheidungen thematisiert und klargestellt, dass auch diejenigen, die fälschlicherweise als Adressaten einer gerichtlichen Entscheidung benannt werden, Beschwerde einlegen können, sofern sie hierdurch beschwert sind.

Diese Entscheidung macht aber zugleich auch deutlich, wie wichtig eine moderne Fehlerkultur in der deutschen Justiz wäre. Mit Blick auf den Sachverhalt muss man sich fragen, warum ein offensichtlich falsch adressierter , krampfhaft bemüht, vom Amtsgericht als richtig zugestellt angesehen werden wollte.

Sachverhalt

In dem zugrundeliegenden Fall erließ das Amtsgericht Pforzheim einen Strafbefehl gegen eine Person namens M. B., geboren am 02.10.1993. Eine Zustellung an der zuletzt bekannten Adresse war nicht möglich.

Eine Abfrage beim Einwohnermeldeamt ergab eine Adresse, die jedoch einem anderen M. B., geboren am 20.06.1982, zugeordnet war. Der Strafbefehl wurde fälschlicherweise an die Adresse des zweiten M. B. zugestellt, der daraufhin Beschwerde einlegte, da er mit dem eigentlichen Angeklagten lediglich den Namen, jedoch nicht das Geburtsdatum oder den Geburtsort teilte. Der Blick auf den Sachverhalt lässt einem beim Lesen anders werden, der Betroffene mag sich wie bei Kafka gefühlt haben:

Das Amtsgericht Pforzheim hat am 23.11.2023 gegen den am 02.10.1993 in K. geborenen M. B. einen Strafbefehl erlassen. Unter der zuletzt bekannten Wohnanschrift in der W. Str., K., war eine Zustellung nicht möglich. Auf Abfrage beim Einwohnermeldeamt wurde von dort eine Wohnanschrift für M. B., geboren 20.06.1982 in M. mitgeteilt. An dessen Anschrift in der R. Str. in M. wurde sodann der Strafbefehl am 07.12.2023 zugestellt.

Am 21.12.2023 gingen beim Amtsgericht Pforzheim zwei E-Mails ein, in denen der Absender, M. B., erklärte, er wohne in der B. in M., die Adresse R. Str. in M. sei die seines Vaters; zudem sei er nicht der am 02.10.1993 in K. geborene M. B., sondern am 20.06.1982 in M. geboren.

Des Inhalts der E-Mails ungeachtet, wurde dem Beschwerdeführer vom Amtsgericht erklärt, seine E-Mails seien als Einspruch gegen den Strafbefehl formwidrig. Mit am 23.01.2024 beim Amtsgericht Pforzheim eingegangenen Schreiben teilte der Beschwerdeführer nochmals mit, „ICH BIN NICHT M. B., W. Str., K., geb. 20.10.1993!“

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 25.01.2024 hat das Amtsgericht Pforzheim den Einspruch des Beschwerdeführers gegen den Strafbefehl vom 23.11.2023 als unzulässig verworfen.

Rechtliche Würdigung

Das Landgericht Karlsruhe hob hervor, dass jeder, der durch eine gerichtliche Maßnahme in seinen Rechten betroffen ist, auch wenn er nicht der ursprüngliche Adressat der Entscheidung ist, berechtigt ist, hiergegen Beschwerde einzulegen:

Beschwerdeberechtigt ist derjenige, der durch die Maßnahme in der Wahrnehmung geschützter Rechte und Interessen beschränkt wird; mithin in seiner Freiheit, seinem Vermögen oder einem sonstigen Recht in sachlich-rechtlicher oder verfahrensrechtlicher Art beeinträchtigt ist und deshalb ein Rechtsschutzinteresse geltend machen kann (BVerfG, BeckRS 2017, 137689 = BVerfG, StV 2018, 350; BGH, Beschluss vom 07.04.2020 – StB 8/20 = BGH NStZ-RR 2020, 171 [171]; Meyer-Goßner, , 66. Auflage, § 304 Rn. 6 m.w.N.).

Dabei genügt für die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde die reine Möglichkeit einer Rechtsgutsbeeinträchtigung (BGH a.a.O.; Neuhauser, in MüKo-StPO, 2. Auf- lage 2024, § 304, Rn. 38; OLG Hamburg (2. Strafsenat), Beschluss vom 08.03.2017 – 2 Ws 36/17, Rn. 10). Ob die Rechtsgutsbeeinträchtigung im Ergebnis vorliegt, ist wieder- um eine Frage der Begründetheit der sofortigen Beschwerde (BGH a.a.o.; OLG Hamburg a.a.O.).

Dies schließt mit dem Landgericht Personen ein, die fälschlicherweise als Adressaten eines Strafbefehls betrachtet werden. Besonders problematisch ist dies, wenn durch die falsche Zustellung eine Person mit rechtlichen Schritten rechnen müsste, die sie nicht zu verantworten hat. Das Gericht stellte fest, dass der Beschwerdeführer durch die fälschliche Zustellung beschwert war und somit berechtigt, die sofortige Beschwerde einzulegen.


Fazit und Auswirkungen

Die Entscheidung betont die Wichtigkeit der genauen Prüfung der Identität bei der Zustellung von strafrechtlichen Dokumenten. Fehler in der Adressierung können zu erheblichen persönlichen und rechtlichen Konsequenzen für Unbeteiligte führen. Die Möglichkeit der Beschwerde auch für fälschlicherweise benannte Personen unterstreicht den umfassenden Rechtsschutz, den das deutsche Rechtssystem bieten kann, um solche Fehler zu korrigieren.

Die Entscheidung des LG Karlsruhe stellt somit einen wichtigen Eckpfeiler dar, der die Notwendigkeit einer sorgfältigen und korrekten rechtlichen Prozessführung unterstreicht und die Rechte von Personen schützt, die irrtümlich in gerichtliche Auseinandersetzungen verwickelt werden könnten. Zugleich bleibt die rätselhafte Frage, was eigentlich in den zuständigen Köpfen beim Amtsgericht vorgegangen ist, die so krampfhaft an einem offenkundig fehlerhaften Strafbefehl festhalten wollten.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft. Ich bin Softwareentwickler, in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

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