Dass eine von der Staatsanwaltschaft zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision auch andere Wirkungen haben kann, hat der Bundesgerichtshof klargestellt (5 StR 347/22): Dieser hat nunmehr entschieden, dass im Falle einer zuungunsten eines Angeklagten eingelegten Revision der Staatsanwaltschaft, die nur im Strafausspruch Erfolg hat, der Grundsatz des fairen Verfahrens (abweichend von § 353 Abs. 1 StPO) zwingend auch die Aufhebung des Schuldspruchs mit den zugehörigen Feststellungen gebietet, soweit dieser auf einem im Rahmen einer Verständigung nach § 257c StPO abgelegten Geständnis des Angeklagten beruht.
Zwar ist nach § 353 Abs. 1 StPO ein angefochtenes Urteil nur insoweit aufzuheben, als die Revision begründet ist; die Feststellungen unterliegen der Aufhebung nur insoweit, als sie durch die Verletzung des Gesetzes betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Gemessen hieran wäre nur der Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben und der von dem Rechtsfehler nicht betroffene Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen. Doch das lehnt der BGH ab.
Hat eine zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft nur im Strafausspruch Erfolg, gebietet es der Grundsatz des fairen Verfahrens, abweichend von § 353 Abs. 1 StPO auch den Schuldspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben, wenn dieser – wie hier – auf einem Geständnis des Angeklagten beruht, das dieser im Rahmen einer Verständigung nach § 257c StPO abgelegt hat. Dies ergibt sich aus den folgenden Erwägungen des BGH:
Nach Aufhebung und Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht ist das zur Entscheidung berufene Tatgericht nicht an eine Verständigung gebunden, die in der Vorinstanz zustande gekommen war. Zwar ist der Wegfall der Bindungswirkung ausdrücklich nur in den Fällen vorgesehen, in denen rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, der in Aussicht gestellte Strafrahmen sei nicht mehr tat- oder schuldangemessen, oder in denen das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist (§ 257c Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO).
Die Bindungswirkung einer Verständigung gilt nach § 257c StPO aber nur für das Gericht, das die der Verständigung zugrunde liegende Prognose abgegeben hat; das nach Zurückverweisung zuständige (neue) Tatgericht ist nach dem Willen des Gesetzgebers nicht an die Verständigung gebunden (vgl. BT-Drucks. 16/12310, S. 15). Dies findet seine Rechtfertigung darin, dass andernfalls Richter, die an einer Verständigung nicht beteiligt waren und eine solche mit dem Inhalt auch nicht getroffen hätten, bei ihrem Urteilsspruch gebunden werden könnten. Es entspricht daher sowohl der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als auch der ganz überwiegenden Auffassung in der Literatur, dass nach Aufhebung und Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht das neue Tatgericht nicht an die in der Vorinstanz getroffene Verständigung gebunden ist (vgl. BGH, Urteile vom 1. Dezember 2016 – 3 StR 331/16, NStZ 2017, 373, 374; vom 26. Mai 2021 – 2 StR 439/20, StV 2022, 291, 292; Beschluss vom 17. Februar 2021 – 5 StR 484/20, BGHSt 66, 37; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 257c Rn. 27c; KK-StPO/Molden- hauer/Wenske, 8. Aufl., § 257c Rn. 26; SSW-StPO/Ignor/Wegener, 4. Aufl., §257c Rn. 88; LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 257c Rn. 64; BeckOK StPO/Eschelbach, 45. Ed., § 257c Rn. 30a; MüKo-StPO/Jahn/Kudlich, § 257c Rn. 148; HK-StPO/Temming, 6. Aufl., § 257c Rn. 32; ebenso für die Be- rufungsinstanz OLG Karlsruhe NStZ 2014, 294, 295 mwN; aA Kuhn StV 2012, 10, 11 f.; siehe auch SK-StPO/Velten, 5. Aufl., § 257c Rn. 29).
Die bloße Anwendung von § 353 StPO auf einen solchen Fall würde zudem zu einem nicht tragfähigen Ergebnis führen: Der Schuldspruch würde rechtskräftig, der Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden. Das Verschlechterungsverbot (§§ 331, 358 Abs. 2 StPO) gälte nicht, weil die Staatsanwaltschaft die Revision zuungunsten des Angeklagten eingelegt hatte. Das neue Tatgericht wäre nicht an die in der Vorinstanz zustande gekommene Verständigung gebunden und könnte gegen den Angeklagten deshalb eine Strafe verhängen, die über die im ersten Rechtsgang zugesagte Strafobergrenze hinausginge. Ohne Belang bliebe danach, dass der Schuldspruch (auch) auf einem Geständnis beruht, das der Angeklagte im Vertrauen auf diese Zusage abgegeben hatte. Im Ergebnis würde hiernach ein im Hinblick auf eine zustande gekommene Verständigung abgegebenes Geständnis verwertet, obwohl diese keinen Bestand hat. Dies wäre unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht mit dem verfassungsrechtlich abgesicherten Grundsatz des fairen Verfahrens vereinbar.
BGH, 5 StR 347/22
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