Zur Strafbarkeit des „Cyber-Groomings“

Es findet sich bei Heise-Online ein Artikel, in dem mehrere bekannte Strafrechtler auf das „Cyber-Grooming“ und dessen Strafbarkeit (§176 IV Nr.3 StGB) eingehen. Zu Recht finden sich dabei erhebliche Kritikpunkte in den Äußerungen – wobei allerdings nicht thematisiert wird, ob es wirklich strafbar ist.

Cyber-Grooming

Die Frage, wann der §176 IV Nr.3 StGB vorliegt, ist nämlich gar nicht so einfach – wenn man auf die Details achtet. Zuerst der Blick auf den Gesetzestext, der lautet gerafft:

Mit von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer […] auf ein Kind durch Schriften (§ 11 Abs. 3) einwirkt, um es zu sexuellen Handlungen zu bringen, die es an oder vor dem Täter oder einem Dritten vornehmen oder von dem Täter oder einem Dritten an sich vornehmen lassen soll

Nun muss man Wissen, dass „Schriften“ nicht einfach irgendein Begriff ist, es handelt sich um einen im §11 III StGB definierten Begriff mit vielen verschiedenen Facetten. In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/350, auf Seite 18) findet man dazu folgendes vom Gesetzgeber:

Danach wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft, wer durch Schriften, zu denen gemäß § 11 Abs. 3 auch Datenspeicher gehören, auf ein Kind einwirkt […]

Der Gesetzgeber schuf diesen Tatbestand speziell mit Blick auf Chaträume und ging in der Begründung offensichtlich davon aus, dass Nachrichten in Chat-Räumen unter den Schriften-Begriff des §11 III StGB fallen, in Form der „Datenspeicher“. Aber: Das steht keinesfalls fest. Vielmehr ist höchst umstritten (dazu nur Fischer, StGB, §11 Rn.36a), ob man das so sehen kann – verneindend Fischer, bejahend Schönke/Schröder (§176, Rn.14). Hintergrund ist, dass man zunehmend streiten muss, wo die Grenze zwischen Daten und Datenspeicher (also Inhalt und Verkörperung) zu ziehen ist. Das StGB jedenfalls verlangt diese Grenze und Fischer verweist zu Recht darauf, dass eben diese Grenze hier wohl überschritten wird (Fischer, StGB, §176 Rn.13a, 15). Vielleicht ist dies auch einer der Gründe, warum ich bisher kein Urteil zu diesem Tatbestand finden kann.

Kritik am Cyber-Grooming als Tatbestand

Die von den Strafrechtlern bei Heise geäußerte Kritik ist keine Einzelmeinung, sondern umfassend im Fischer-StGB-Kommentar, dem Praktiker-Kommentar schlechthin, zu finden. Ich zitiere sie hier (Fischer, StGB, §176, Rn.15):

Der gut gemeinte Tatbestand erscheint als etwas hilfloser Versuch, einer unkontrollierbaren Kommunikation Herr zu werden. Verständlich ist die fast vollständige Verlagerung in den subjektiven Bereich nur als Zugeständnis an polizeiliche Zwecke: Der Tatbestand erfasst einen (kleinen) Teilbereich von anbahnenden Vorbereitungshandlungen, die als solche äußerlich oft gar nicht zu erkennen sind. Da das täuschende „Kontakte-Knüpfen“ von Pädophilen in Chatrooms – ebenso wie in Badeanstalten, Autobussen oder Sportstätten – sich äußerlich schwer von sozialadäquatem Verhalten unterscheiden lässt, hat im Ergebnis der Tatbestand den Charakter einer Drohgebärde und mit Strafrecht kaum etwas zu tun. Ebenso gut könnte man unter Strafe stellen, „in Badeanstalten Kinder in sexueller Absicht abzusprechen“.

Die Kritik wird auch von Lenckner/Perron/Eisele im Schönke/Schröder-StGB-Kommentar geteilt, die darauf verweisen, dass eine sachgerechte Differenzierung angesichts der Tatsache nicht möglich ist, dass die Einwirkung mit Schriften auch ohne pornographischen Bezug ausreicht, nicht aber rein verbales Zudringen, gleich wie heftig oder gepaart mit Hilfsmitteln (etwa Süßigkeiten/). Hier kommt dann auch die Kritik, die man bei Heise lesen kann: Es erscheint fragwürdig, warum in diesem Bereich derart undifferenziert vorverlagert wird, während

selbst entsprechende Vorbereitungshandlungen eines Einzeltäters zu schwereren Straftaten, etwa einem , straflos sind (Sch/Sch, §176, Rn.14)

Es verbleibt eine Fülle von Kritik und viele Fragen – ich hoffe, mit diesem kurzen Artikel wurde zumindest klar, wo Strafrechtler mit ihrer Kritik ansetzen und warum man, je nach Gesprächspartner, auch mal die Antwort erhält, wäre „nur auf dem Papier“ strafbar.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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