Zum Einsatz eines Boten bei einem Fernabsatzgeschäft

  • Wird bei Vertragsschluß oder -anbahnung ein Bote beauftragt, der zwar dem Verbraucher in unmittelbarem persönlichen Kontakt gegenübertritt, jedoch über den Vertragsinhalt und insbesondere über die Beschaffenheit der Vertragsleistung des Unternehmers keine näheren Auskünfte geben kann und soll, steht dies der Annahme eines Fernabsatzvertrages nicht entgegen.
  • Beauftragt der Unternehmer die Deutsche Post AG mit der Einholung der Unterschrift des Verbrauchers unter das Vertragsformular im Wege des Postident 2-Verfahrens, liegt der Einsatz von Fernkommunikationsmitteln vor, da der mit der Ausführung betraute Postmitarbeiter keine Auskünfte über Vertragsinhalt und -leistung geben kann und soll.

BGH, Urteil vom 21.10.2004, Az: III ZR 380/03

(1) Entgegen der in der Literatur feststellbaren Tendenz (Härting, Fernabsatzgesetz, 2000, § 1 Rn. 37 f; Lütcke, Fernabsatzrecht, 2002, § 312b Rn. 67; MünchKommBGB/Wendehorst, 4. Aufl., § 312b Rn. 42, siehe jedoch auch Rn. 44: bei Einschaltung von Angestellten eines Logistikunternehmens soll § 312f Satz 2 BGB eingreifen; Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl., § 312b Rn. 8; nicht eindeutig: Reich EuZW 1997, 581, 583: „Repräsentanten“ schließen Anwendung des Fernabsatzrechts aus; anders wohl Bamberger/Roth/Schmidt-Räntsch, BGB, § 312b Rn. 22) bedeutet der Einsatz von Boten beim Vertragsschluß oder bei seiner Anbahnung nicht stets, daß Direktkommunikationsmittel Verwendung finden.

(a) Der Schutzzweck der §§ 312b bis 312d BGB gebietet es, es als Einsatz von Fernkommunikationsmitteln zu bewerten, wenn bei Vertragsschluß oder -anbahnung ein Bote beauftragt wird, der zwar dem Verbraucher in unmittelbarem persönlichen Kontakt gegenüber tritt, jedoch über den Vertragsinhalt und insbesondere über die Beschaffenheit der Vertragsleistung des Unternehmers keine näheren Auskünfte geben kann und soll.

§§ 312b bis 312d BGB sowie das zuvor geltende inhaltsgleiche Fernabsatzgesetz beruhen auf der 97/7/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz – FernAbsRL (Abl. EG Nr. L 144 vom 4. Juni 1997, S. 19). Nach Nr. 14 der Erwägungsgründe der Richtlinie war Anlaß für die Schaffung von besonderen Vorschriften für den Fernabsatz, daß der Verbraucher in der Praxis keine Möglichkeit hat, vor Abschluß des Vertrages das Erzeugnis zu sehen oder die Eigenschaften der Dienstleistung im einzelnen zur Kenntnis zu nehmen. Die Fernabsatzvorschriften sollen dementsprechend zwei für Distanzgeschäfte typische Defizite ausgleichen (BGHZ 154, 239, 242 f; Bamberger/Roth/Schmidt-Räntsch aaO, Rn. 24; vgl. auch MünchKommBGB/Wendehorst aaO, Rn. 47): Der Verbraucher kann vor Abschluß des Vertrages die Ware oder die Dienstleistung nicht prüfen, und er kann sich an keine natürliche Person wenden, um weitere Informationen zu erlangen (Bamberger/Roth/Schmidt-Räntsch aaO). Diese Defizite vermag eine Person, deren Rolle sich auf die Botenfunktion in dem oben geschilderten engen Sinn beschränkt, trotz ihrer körperlichen Anwesenheit nicht zu beheben. Der Verbraucher ist in diesen Fällen ebenso schutzwürdig wie bei einem Vertragsschluß durch den Austausch von Briefen, bei dem er dem Post- oder Kurierboten nicht notwendig persönlich gegenüber steht. In diesen Fällen sieht das Gesetz ausdrücklich die Anwendbarkeit der Schutzvorschriften des Fernabsatzrechts vor (§ 312b Abs. 2 BGB; vgl. auch Begründung der Bundesregierung zum Fernabsatzgesetz vom 9. Februar 2000, BT-Drucks. 14/2658 S. 31 zu § 1 Abs. 2).

(b) Etwas anderes dürfte gelten, wenn die eingeschaltete Person nicht darauf beschränkt ist, Willenserklärungen und Waren zu überbringen und entgegenzunehmen, sondern in der Lage und damit beauftragt ist, dem Verbraucher in einem persönlichen Gespräch nähere Auskünfte über die angebotene Ware oder Dienstleistung zu geben. Dies kann beispielsweise bei Vermittlern, Verhandlungsgehilfen oder sonstigen Repräsentanten des Unternehmens, die wegen der Einzelheiten der Leistung Rede und Antwort stehen (vgl. MünchKommBGB/Wendehorst aaO), der Fall sein.

(2) Das Postident 2-Verfahren vermittelt dem mit dessen Ausführung betrauten Mitarbeiter der Deutschen Post AG jedoch lediglich die Stellung eines bloßen Boten. Er ist nicht befugt und in aller Regel auch nicht in der Lage, den Kunden der Beklagten über die Vertragsleistung Auskunft zu geben.

(a) Nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Deutschen Post AG über den Postident-Service umfaßt der Postident 2-Dienst lediglich die Identifikation natürlicher Personen anhand des Personalausweises oder Reisepasses, die Erfassung der Ausweisnummer, die Einholung von zwei eigenhändigen Unterschriften des Empfängers zu den vom Auftraggeber definierten Zwecken und die Aushändigung von Unterlagen an den Empfänger (§ 1 Abs. 1 Nr. 2, § 2 Abs. 2 der AGB). Zum Leistungsumfang gehört hingegen nicht die Abgabe von Erklärungen rechtlicher oder tatsächlicher Natur für den Auftraggeber gegenüber dem Empfänger der Sendung.

(b) Der Postmitarbeiter besitzt zudem – von denkbaren Zufällen abgesehen – nicht die tatsächlichen und rechtlichen Kenntnisse, die erforderlich sind, um etwaige Fragen des Kunden zu den von der Beklagten angebotenen Leistungen beantworten zu können. Der Zusteller muß im Laufe einer Lieferfahrt in aller Regel eine Vielzahl verschiedenartiger Sendungen aushändigen und ist weder in der Lage noch mit dieser Zielsetzung beauftragt, sich mit dem Inhalt der einzelnen Aufträge zu befassen oder sich gar Wissen anzueignen, das über die Informationen, die der Auftraggeber dem Empfänger über das versandte Produkt zukommen läßt, hinausgeht. Zudem verfügt er nicht über die nötige Zeit, um abzuwarten, daß der Empfänger die übersandte Ware prüft und sich mit den Vertragsbedingungen des Versenders vertraut macht, um sodann gegebenenfalls weitergehende Informationen zu verlangen.

c) Die Beklagte handelt mit dem hier fraglichen Absatz der Mobilfunkgeräte und Kartenverträge im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebssystems, wie es weitere Voraussetzung für die Anwendung der Vorschriften über Fernabsatzverträge ist (§ 312b Abs. 1, 2. Halbsatz BGB). Hierfür ist erforderlich, daß der Unternehmer durch die personelle und sachliche Ausstattung innerhalb seines Betriebs die organisatorischen Bedingungen geschaffen hat, die notwendig sind, um regelmäßig im Fernabsatz zu tätigende Geschäfte zu bewältigen (Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Fernabsatzgesetzes aaO, S. 30; Bamberger/Roth/Schmidt-Räntsch aaO, Rn. 11 m.w.N.; MünchKommBGB/Wendehorst aaO, Rn. 49 m.w.N.; Fuchs ZIP 2000, 1273, 1275; Lorenz JuS 2000, 833, 838; Meents CR 2000, 610, 611). Diese Voraussetzung ist erfüllt, da sich die Beklagte durch die Angabe der „Bestell-Hotline“ systematisch die Technik der Fernkommunikation zunutze macht und für ihren Betriebsablauf in personeller und sächlicher Hinsicht ein eingespieltes Verfahren entwickelt hat, um den Abschluß und die Ausführung des Vertrages regelmäßig im Postwege zu vollziehen.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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